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Samstag, 18. November 2017

Angst vor der eigenen Endlichkeit

Ich habe Momente, da falle ich in ein schwarzes Loch. Alles dreht sich, ich habe Todesangst, ich werde mir der Endlichkeit des Lebens zutiefst bewusst und das versetzt mich in eine solche Panik, dass ich zittere, die Luft anhalte und erstarre. Das Herz rast. Es sind Momente, wo ich Dinge begreife, die das menschliche Gehirn eigentlich nicht begreifen kann. Die Unendlichkeit des Universums zum Beispiel und vor allem die Gewissheit des eigenen Todes, die Auslöschung meiner Person und die Weiterexistenz der Welt ohne mich. Dinge, die man sich eigentlich nicht vorstellen kann und deshalb verdrängt, werden plötzlich begreifbar und kreisen glasklar in meinem Verstand. Es ist unerträglich und ich bin nach solchen Attacken immer fix und fertig.

Sie halten relativ kurz an, nur ein paar Minuten, und danach ist alles wieder beim Alten. Während man im normalen Alltagsleben theoretisch weiß, dass man sterben muss wie alle Menschen auch, das Leben der anderen weitergeht und man innerhalb kurzer Zeit vergessen ist, kommt in solchen Momenten das Begreifen mit aller Macht und Ausweglosigkeit und stürzt mich ins Bodenlose, ins Schwarze, ins Unerträgliche. Ich begreife dann das eigentlich Unbegreifliche, und das ist furchtbar, schmerzhaft und grauenhaft. Es ist, als würde die normale Beschränktheit des menschlichen Verstandes für einen kurzen Moment ausgehebelt und man erhält Anteil am "Weltgehirn". Es fühlt sich an, als würde man gleichzeitig verrückt und allweise werden. Ich weiß nicht, wie ich es anders beschreiben soll. Es ist panik- und angsteinflößend und gleichzeitig faszinierend.

Ich hatte diese Momente schon früher. Zwar weiß ich nicht mehr, wann es angefangen hat, aber seit meinen frühen Zwanzigern erinnere ich mich daran. Ein anthroposophischer Freund hat damals immer gesagt, als ich ihm das erzählte: "Das ist die Erfahrung des Nichts." Früher fühlte ich mich noch ausgelieferter und verwirrter, mittlerweile weiß ich auch mitten in diesen Momenten, dass sie bald vorüber gehen. Die Intensität ist geblieben und die Häufigkeit sogar angestiegen, je älter ich werde. Es sind keine konkreten Auslöser erkennbar, auch wenn neuerdings immer öfter beim Anblick von alten Menschen das Bewusstsein der Vergänglichkeit hochkommt. Trotzdem falle ich dabei selten in diese "Attacken" hinein. Sie treten unvorhersehbar tags, nachts, in jeder Situation auf, manchmal wochenlang gar nicht, dann wieder öfter. Ein gewisser Ruhezustand ist Voraussetzung dafür, und kurioserweise hat die Häufigkeit zugenommen, obwohl ich selten Ruhe und Muße habe. Ich habe keinen Einfluss darauf und kann in den Momenten auch nichts tun, damit sie aufhören.

Ich vermute, dass es sowas wie Panikattacken sind, allerdings geht es darin nicht um die Angst, irgendetwas im Leben nicht bewältigen zu können, sondern schon immer nur um die Endlichkeit meiner Existenz, die räumliche Unendlichkeit des Universums und gleichzeitig seine zeitliche Endlichkeit, verbunden mit den Fragen: was war davor, was kommt danach? Wobei ich die Vorstellung, dass es eine lange Geschichte vor mir gegeben hat, nicht ganz so unvorstellbar finde wie die Tatsache, dass es nach mir einfach so weitergehen wird. Das klingt vielleicht narzisstisch, aber ich empfinde das in diesen Momenten ganz existenziell. Die Erkenntnis der Vergänglichkeit schneidet wie ein Blitz durch meinen Körper.

Quelle: Pixabay

Die Kinder als Trost?

Man hat früher zu mir gesagt, dass es besser werden würde, wenn Kinder da sind, weil man dann die Gewissheit hat, sozusagen in den Kindern weiterzuleben und etwas von sich selbst auf der Erde zu hinterlassen. Besser geworden ist es nicht, seit ich Kinder habe, im Gegenteil, die eigene Endlichkeit ist mir noch stärker bewusst geworden und die Angst vor dem Ende noch intensiver. In den letzten Jahren haben wir meine Schwiegereltern beerdigt. Ich habe gesehen, wie schnell alles, was ein Leben ausgemacht hat, entsorgt und vergessen ist, und während es Menschen gibt, denen das nichts bedeutet, finde ich das ganz schrecklich. Ich sehe, wie die Jahreszeiten und Geburtstage vergehen, und all das führt näher ans Ende. Besonders der Herbst und Winter werden von Jahr zu Jahr immer schwerer für mich zu ertragen. Ich sehe, dass ich seit fast 7 Jahren und noch ca. 14 weitere Jahre nicht so oder nur eingeschränkt leben kann, wie ich eigentlich gern möchte. Ich sehe, wie meine Eltern und Verwandten älter werden, das Verhältnis immer schwieriger wird und die Familien auseinanderfallen, seit die Großelterngeneration nicht mehr da ist. Ich sehe, wie schnell alles in Vergessenheit gerät. Ich merke, wie schnell ich selbst vergesse.

All das macht mir ehrlich gesagt große Angst. Einerseits lebe ich zwar in den Kindern weiter, andererseits erinnern sie mich aber auch mehr als je zuvor an mein eigenes Ende. Das ist schmerzhaft und manchmal auch schon mit dem normalen Bewusstsein kaum auszuhalten. In den schwarzen Momenten ist das unmöglich. Die Existenz der Kinder hat darauf keinerlei Auswirkung, weder ist sie ein Trost noch kann sie solche Momente verhindern. Eher hat sie sie noch verstärkt. Das ist insofern merkwürdig, weil mein Empfinden sonst generell weniger tief geworden ist, seit ich die Kinder habe.

Im Sturm "Xavier", der Anfang Oktober über Norddeutschland tobte, ist eine Frau ums Leben gekommen, die ich persönlich kannte. Es ist schon viele Jahre her, seit sich unsere Wege beruflich kreuzten, und wir haben kaum mehr als ein paar Worte gewechselt. Trotzdem fühlte sich dieser Tod für mich anders an als sonstige unpersönliche Todesfälle, und die Irrationalität eines solch verfrühten Lebensendes trat besonders deutlich zum Vorschein. Das hat mich stark beschäftigt und lässt mich bis heute nicht los. Sie war nur ein Jahrzehnt älter als ich, als ein dummer Zufall, anders kann man es nicht nennen, während des Sturms ihr Leben auslöschte. Es ist unbegreiflich und führte mir die eigene Endlichkeit und besonders auch die potentielle Plötzlichkeit des Endes hart vor Augen. Ich ringe streckenweise stark mit dem Thema und nein, meine Kinder sind mir dabei kein Trost. Das eine hat mit dem anderen für mich überhaupt nichts zu tun.

Ungefähr die Hälfte meines Lebens ist vorbei. Die zweite Hälfte vergeht bekanntlich immer schneller. Und obwohl ich mir wünsche, dass die Kinder älter werden und ich dadurch wieder etwas freier leben kann, habe ich gleichzeitig Angst davor, denn mit dem Älterwerden der Kinder vergeht mein eigenes Leben. Diese Ambivalenz ist schwer auszuhalten. Ich möchte sie ja gern noch lange begleiten und sehen, wie sie ihr Leben gestalten. Andere, leichtere Gemüter als ich würden jetzt sagen: "Ach was, genieße einfach jeden Moment deines Alltags, damit du weißt, du hast dein Leben gut gelebt." So simpel ist das aber für mich nicht und wird es auch nie werden. Aber auch das gehört zu meiner Existenz dazu. Vielleicht kommt dieses Gefühl, wenn das Hamsterrad des Alltags etwas nachlässt. Was aber nichts an der Unausweichlichkeit des Endes ändert. Wir müssen alle mit dieser Perspektive leben. Der eine verdrängt, dem anderen gelingt das nicht. Ich gehöre zu Letzteren, schon immer. Daran hat die Mutterschaft nichts geändert. Und bei euch?

Donnerstag, 9. November 2017

Das Schlafen verlernt

Ich habe das Schlafen verlernt. Ich kann nicht mehr schlafen, nicht mehr abschalten, nicht mehr tief in das Reich des Morpheus versinken. Ich bin immer mit einem halben Ohr da, das Gehirn ist auf Standby, bereit, sofort zu reagieren, wenn ein Kind ruft. Ich brauche jeden Abend sehr lange, um überhaupt einzuschlafen, liege wach im Bett und warte auf den Schlaf. Ich schlafe nie tief und bin meist sofort wieder da, wenn ich dann nachts geweckt werde. Und dann liege ich wieder ewig wach. Manchmal ist das Kreisen der Gedanken daran schuld, manchmal sind es äußere Störungen wie Schlafgeräusche der Kleinen, die ja meist noch neben mir schläft. Meist jedoch liegt es daran, so vermute ich jedenfalls, dass mein Gehirn, das nun fast 7 Jahre in ständiger Bereitschaft ist, einfach nicht mehr abschalten kann. Es findet nicht mehr in den kompletten Ruhezustand.

Ich habe das gemerkt, als ich in diesem Jahr erstmals, seit ich Mama bin, zwei Mal für 3 Tage allein verreist war. Ich habe in diesen 2 x 2 Nächten geschlafen, ja, auch durchaus gut geschlafen, aber überhaupt nicht tief, ich brauchte wie zuhause ewig lange, um einzuschlafen, und war morgens viel zu früh wach, dafür, dass ich eigentlich hätte ausschlafen können. Obwohl ich allein war und für niemanden Verantwortung hatte, konnte ich mich, was die Schlafprobleme betrifft, in der kurzen Zeit nicht umstellen. Ich würde dringend mal wieder tiefe und lange Schlafnächte brauchen, aber es ist einfach nicht mehr möglich. Jetzt, wo die Kinder alt genug sind und mich nur noch selten nachts brauchen, ist das umso frustrierender. Ich habe das Schlafen durch die Kinder verlernt.

Bildquelle: Pixabay

Der Große war anfangs ein grauenhafter Schläfer, sowohl tagsüber als auch nachts. Stundenlang saß ich in den Nächten mit ihm im Stillsessel, musste immer wieder zu ihm, wenn er im Bett lag und schrie, und es gab viele Nächte in seinem ersten Lebensjahr, in denen er 3 Stunden knallwach war und herumgetragen werden musste. Dazu kam, dass er trotz dieser schlechten Nächte den Schlaf nicht morgens verlängert hat, sondern schon immer ein Frühaufsteher war (zwischen 5 und 6 Uhr). Das war für mich eigentlich das Schlimmste. Mit 15 Monaten verbesserte sich sein Nachtschlaf deutlich und er schlief dann ungefähr jede zweite Nacht durch, allerdings in Phasen, d.h. ein paar Tage lang gar nicht und dann einige Tage jede Nacht, vereinfacht gesagt. Es war unberechenbar, aber eine große Verbesserung. Mit 3 1/4 Jahren (da war die Kleine schon 1 Jahr alt!) schlief er dann endlich zuverlässig durch, und seitdem ist er wirklich ein super Schläfer. Er schläft gut ein und sehr tief, er kann auch in neuen Umgebungen mittlerweile wunderbar schlafen und er benötigt uns nachts eigentlich gar nicht (Ausnahmen bei Krankheit). Ich staune, wie er sich so komplett gewandelt hat und das Schlafen, das Zur-Ruhe-Kommen und Abschalten selbst mit der Zeit "gelernt" hat. Ich habe es aber zuerst durch ihn VERlernt.

Die Kleine war von Anfang an ganz anders in ihrem Schlafverhalten. Sie schlief tagsüber wunderbar im ersten halben Jahr, nachts etwas durchwachsener, aber für mich erträglicher als der Große seinerzeit. Ich bekam mehr Schlaf ab als bei ihm, da sie nachts schnell wieder einschlief und kaum lange nächtliche Wachphasen hatte. Allerdings wachte sie auch mit über einem Jahr, als der Große begann, besser zu schlafen, noch sehr oft auf und wollte teilweise alle 1-2 Stunden nachts stillen. Das war ziemlich anstrengend und ich war froh, als das vorbei war. Mit ca. 19 Monaten konnte sie durchschlafen, allerdings schläft sie bis heute (sie ist 4 1/2 Jahre) nicht zuverlässig durch, sondern wacht noch manchmal nachts auf. Es ist kurios, dass das Kind, was anfangs grottenschlecht schlief, nun der zuverlässige Durchschläfer ist und die Kleine eher die unzuverlässige Schläferin. Da ich meist bei ihr schlafe, bin ich davon natürlich auch direkt beeinflusst. In unserem Mallorca-Urlaub letzte Woche hatte sie einen solchen nächtlichen Husten (bei völliger Gesundheit tagsüber), dass ich eine Woche lang nachts kein Auge zugetan habe. Dort konnte ich ja auch nicht in ein anderes Zimmer ausweichen wie zuhause. Mit ihr habe ich schon sehr viele Nächte durch, in denen sie sich ständig erbrochen hat. Sowas kenne ich vom Großen gar nicht. Sie braucht auch viel Körperkontakt und kommt mir nachts sehr nahe, ich habe ihre Füße im Gesicht und ihre Hand an meinem Hals. Das lässt mich nicht schlafen bzw. weckt mich immer wieder auf. Sie hat aber Angst und wandert nachts in der Wohnung herum, wenn ich nicht bei ihr schlafe. Deshalb können wir daran auch im Moment nicht viel ändern.

Ich bin, selbst wenn ich schlafe, immer mit einem halben Ohr da, immer im Standby-Modus, bereit, sofort aufzuspringen, wenn ein Kind ruft, weint, schlecht träumt, erbricht oder raus muss. Mit einem Klick bin ich hellwach und einsatzfähig, so, als hätte ich gar nicht geschlafen. Einen richtigen Tiefschlaf kenne ich schon lange nicht mehr. Früher habe ich viel und lebhaft geträumt, das hat fast völlig aufgehört. Ich vermisse meinen guten, erholsamen, regenerativen, unbeschwerten Schlaf sehr!

Mir wurde gesagt, das mit dem Schlafen käme irgendwann wieder. Man könne das wieder lernen! Ich glaube da nicht dran. Ich fürchte, es ist endgültig vorbei. Ich werde nie wieder tief, lange und unbeschwert schlafen. Ich werde mich immer in Bereitschaft fühlen, auch nachts. Das Gehirn wird wohl nie wieder so abschalten können wie früher. Dass mir Schlaf fehlt, sieht man mir an. Dass mir Schlaf fehlt, fühle ich selbst. Aber ich kann ihn nicht herbeizwingen. Ich gehe spät ins Bett, weil ich sowieso wach liege. Und weil der späte Abend die einzige Zeit ist, wo ich längere Zeit ungestört und allein sein kann. Ich schlafe schon länger schlecht und das ist auch in Phasen völliger Erschöpfung der Fall. Oder eben auch, wenn ich mal allein in einem Hotelzimmer bin, was dieses Jahr erstmals vorkam. Seit fast 7 Jahren unterbrochene Nächte fordern ihren Tribut. Das Gehirn hat sich darauf eingestellt, dass es nicht schlafen darf. Und ich fürchte, dieser Vorgang ist nicht wieder umkehrbar.

Als Kind war uns unverständlich, dass unsere Eltern auch am Wochenende freiwillig um 7 Uhr aufstanden. Niemals wollten wir so werden! Aber wahrscheinlich werden wir das nicht verhindern können, denn mit eigenen Kindern verlernt man das Schlafen. Dabei würde man genau in dieser Lebensphase den Schlaf so dringend brauchen. Lieber Schlaf, komm bitte wieder zurück zu mir!

Donnerstag, 5. Oktober 2017

WMDEDGT? am 5. Oktober 2017 - Mama-Auszeit und Sturm

Es ist der 5. des Monats (Wahnsinn, schon Oktober!) und bei Frau Brüllen werden wieder unter #wmdedgt (Was machst du eigentlich den ganzen Tag?) Berichte des Tagesablaufes von Bloggern gesammelt. Ich bin heute für eine kleine Mama-Auszeit an die Ostsee gefahren. Der Tag war geprägt vom Sturm Xavier. Und so war mein Tag:

6:15 Uhr
Der Wecker klingelt. Es regnet. Heute werde ich die Kinder in die Schule und die Kita bringen. Sonst macht das der Mann, aber heute haben wir getauscht.

6:30 Uhr
Der Mann fährt schon früh zur Arbeit, weil er die Kinder heute abholen muss. Wir drei frühstücken und machen uns fertig.

7:30 Uhr
Wir verlassen die Wohnung und gehen zuerst zur Schule, wo der Große spätestens um 7:50 in seinem Klassenzimmer sein muss. Danach bringe ich die Kleine zur Kita. Glücklicherweise klappt mit der Verabschiedung alles, obwohl ich ihr natürlich gesagt habe, dass ich verreise und erst am Samstag wiederkomme. Gestern abend waren beide Kinder nämlich ziemlich anhänglich.

8:15 Uhr
Ich bin wieder zuhause und packe mein Köfferchen, räume den Geschirrspüler aus, lege Wäsche zusammen und wische nochmal das Bad durch. Alles geht superschnell und ich bin zu früh fertig. Ungewohntes Gefühl!

9:45 Uhr
Ich breche zum Bahnhof auf, wo meine Regionalbahn abfährt. Es ist genau die gleiche Uhrzeit und der gleiche Zug, mit dem damals der Große und ich zu unserer Mutter-Kind-Kur losgefahren sind. Ich fahre nämlich in unseren damaligen Kur-Ort, weil ich Sehnsucht nach der Ostsee habe. Ich muss daran denken, wie aufregend damals alles für mich war, weil ich überhaupt nicht wusste, was mich erwartete.


10:15 bis 14:00 Uhr
Eine herrlich ruhige und angenehme Zugfahrt auf die Insel Usedom. Die Zeit vergeht wie im Flug und ich genieße es, einfach ganz lange aus dem Fenster zu starren, ohne angesprochen zu werden, ohne Essen zu reichen, zu beschäftigen und zur Toilette begleiten zu müssen. Es regnet Bindfäden und die Nachrichten bezüglich des Sturms Xavier verdichten sich. Ich hoffe, dass ich noch rechtzeitig ankomme. Geschafft! Ich muss weinen, als ich die bekannten Wege langgehe und denke mit Wehmut an die schöne Zeit bei der Mutter-Kind-Kur zurück.

14:30 Uhr
Ich beziehe mein Hotelzimmer und bin vom kurzen Weg ziemlich nass. Meine Klamotten und Schuhe müssen trocknen und ich bleibe vorerst im Zimmer. Ich habe sogar ein Sofa zum Relaxen! Draußen ist alles grau in grau und windig.


16:00 Uhr
Der Regen wird nicht besser und ich gehe nochmal raus. Nach 2 Minuten bin ich völlig durchnässt. Tapfer will ich trotzdem bis zum Strand laufen. Es stürmt wie verrückt und es ist kein Mensch unterwegs. Auch das Meer ist aufgepeitscht.


Ich hole mir noch ein Fischbrötchen für später. Es macht keinen Sinn bei diesem Wetter. Auf dem Rückweg statte ich noch meiner damaligen Kurklinik einen Besuch ab und stelle fest, dass bei unserem Wohntrakt ein zusätzlicher Trakt gebaut wird. Alles ist eine riesengroße Baustelle und viel enger nun. Was hatten wir für ein Glück! Auch mit dem Wetter... So wie heute habe ich unseren Kur-Ort in den 3 Wochen Kur nie erlebt.


17 Uhr
Ich kapituliere und gehe völlig durchnässt ins Hotel. Den Rest des Abends verbringe ich im Hotelzimmer und stelle fest, wie herrlich lang der Tag doch ist, wenn man niemanden zu versorgen hat. Das Schweigen, die Stille tun mir extrem gut. Abschalten kann ich aber noch nicht so richtig. Ich höre Phantomschreie und -streit und muss immer wieder weinen, weil ich weiß, dass mir dieses Immer-Funktionieren-Müssen im Alltag eigentlich viel zu viel ist. Ich weiß aber auch, dass ich es nicht ändern kann.

18 Uhr
Der Mann schickt mir Nachrichten von der Lage in Berlin. Er ist heil mit den Kindern nach Hause gekommen. Allerdings gab es Verwüstungen durch den Sturm in unserer Straße, der Bahnverkehr ist eingestellt worden und der Haupteingang zur Schule meines Großen wurde wegen eines herabgestürzten Daches gesperrt. Puh!


Ich mache mir jetzt einen gemütlichen Abend und hoffe auf etwas ruhigeres Wetter für morgen. Ich möchte am Strand entlang und durch den Wald wandern und die Ostsee-Luft in mich aufsaugen, bevor es am Samstag wieder nach Hause geht. Und vor allem die Ruhe genießen!

Mehr #wmdedgt gibt es bei Frau Brüllen.


Samstag, 29. Juli 2017

Familienpause dringend gesucht

Wenn nichts mehr läuft, alle voneinander genervt sind, schon ein kleiner Funke ausreicht, um eine Explosion hervorzurufen und die Devise nur noch "Durchhalten!" heißt, dann bräuchte man eigentlich dringend eine Pause voneinander. Die Eltern von den Kindern, die Kinder von den Eltern, die Kinder untereinander und die Eltern auch. Eine räumliche, mentale und emotionale Pause, um zur Ruhe zu kommen, sich zu sammeln und wieder Kraft zu schöpfen für den lauten, turbulenten Familienalltag. Um Abstand zu gewinnen und sich wieder aufeinander zu freuen. Um zu schätzen, was man in und an der Familie hat. Um positiv an einen Tag, ein Wochenende oder einen Urlaub heranzugehen.

Bildquelle: Pixabay

Für uns Eltern wäre eine Pause von den Kindern gut, um sich mal vom jahrelangen Funktionieren auszuruhen, Stille zu genießen, eine ruhige Mahlzeit einzunehmen und wieder positive Dinge an den Kindern sehen zu können. Wir sind aktuell so erschöpft, genervt und gestresst vom Dauerbeschuss, dem Lärmpegel, den Auseinandersetzungen und täglichen Kämpfen. Wir sind schon morgens überreizt und sitzen beide manchmal weinend am Frühstückstisch. Jede kurze Auszeit und Erholung, die wir dem anderen Elternteil ermöglichen, wird durch neuen Stress zunichte gemacht. Wir sind einfach kaputt, von der Arbeit, vielen Terminen, unzähligen Besorgungen und Gedanken, der Aufregung wegen der anstehenden Einschulung des Großen, der anstrengenden Phase mit der Kleinen und natürlich wie immer deswegen, weil wir alles allein machen müssen, wie in meinem Text "Es braucht ein Dorf..." beschrieben. Ach, wären doch die Kinder mal ein Wochenende weg! Noch nie, nicht ein Mal gab es das.

Auch für die Kinder wäre eine kleine Pause, ein Abstand von den Eltern, sicherlich gut. In einer anderen Umgebung, mit anderen Bezugspersonen, wo sie ihr Verhalten mehr kontrollieren müssen, mit anderen Erlebnissen und Eindrücken. Mit Menschen, die ganz anders mit ihnen umgehen als wir Eltern. Das ist zwar in der Kita der Fall, aber die Kita ist auch für sie Gewohnheit, kein Ausbrechen aus dem Alltag. Und spätestens am Nachmittag sind ja die Blitzableiter aka Mama oder Papa wieder da. In meinen Augen wäre es dringend nötig, dass die Kinder und wir und auch die Kinder untereinander ab und zu ein paar Tage getrennt sind. Das würde allen gut tun und wir würden wieder mehr schätzen, was wir aneinander haben, uns mehr im Umgang miteinander bemühen und nicht auf alles so gereizt reagieren. Und damit meine ich alle Parteien, Eltern und Kinder.

Anstelle einer Pause voneinander fahren wir bald zusammen in den Sommerurlaub. Juhu, könnte man meinen, endlich Erholung und Entschleunigung, mehr Zeit und Ruhe für die Familie und damit Hoffnung für ein friedlicheres Zusammenleben. Andere Menschen als wir würden auf diesen Zusammenhang setzen. Wir dagegen blicken mit Angst und Unlust diesem Sommerurlaub entgegen, der zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt stattfinden könnte. Denn wenn 4 Menschen gerade nicht miteinander können, wird es sicherlich nicht besser, wenn sie 24 Stunden am Tag aufeinander hocken. Für mich als hochsensible Mama ist das ja sowieso immer eine schwierige, anstrengende, manchmal unerträgliche Situation, meine Kinder rund um die Uhr bei mir zu haben. Starte ich dann noch erschöpft und überreizt in solch einen Urlaub, mit einer Kleinen, die sich in der schlimmsten Phase ihres bisherigen Lebens befindet, einem Großen, der durch die nahende Einschulung und die Vorschulpubertät auch verunsichert und nervös ist und einem Mann, der aufgrund seiner eigenen Erschöpfung und Überforderung nichts auffangen und abfedern kann, dann werden meine mickrigen Akkus sicherlich keinen Tag halten. Wenn uns dann noch das Wetter im Stich lässt wie oft in den letzten Sommerurlauben, dann sehe ich schwarz.

Ich selbst tanke Kraft und komme zur Ruhe nicht per se durch Urlaub und das Zusammensein mit der Familie, sondern durch Abstand, Alleinsein, Zu-Mir-Finden und ausreichende Regeneration. Schöne Erlebnisse und Unternehmungen mit den Kindern mag ich natürlich gern, und diese sind im Urlaub wahrscheinlicher als im Alltag. Ich hoffe, dass wir schöne Dinge zusammen erleben werden und alle dadurch wieder etwas Auftrieb kriegen.

Am Montag hat der Große seinen letzten Kitatag. Das wird sehr emotional. Danach betreuen ihn meine Eltern für 3 Tage hier vor Ort. Sofern sie am Nachmittag auch die Kleine übernehmen, kann ich auf etwas Ruhe und Freizeit hoffen. Das würde mir gut tun, und den Kindern sicherlich auch. Auch Menschen, die sich mögen, brauchen mal Pause voneinander. Und wenn wir dann alle wieder etwas mehr in unserer Mitte sind, könnten wir vielleicht etwas entspannter in unseren Sommerurlaub starten. Vielleicht freuen sich dann die Kinder auch wieder auf uns und umgekehrt...

Mittwoch, 24. Mai 2017

Eine Fahrradtour mit und ohne Launen

Wir sind gerade im Urlaub und haben für den Vormittag eine Fahrradtour mit den Kindern geplant. Wir wollen uns dafür 2 Fahrräder ausleihen; der Große hat sein eigenes mit und die Kleine will in den Kindersitz. Die Sonne scheint, es ist wunderbares Fahrradwetter und wir freuen uns auf eine schöne Runde um den See mit vielen Zwischenstationen. Die Strecke von ca. 9 km kennen wir schon, denn das war unsere erste gemeinsame Fahrradtour mit dem damals 4-jährigen Großen, der frisch Fahrradfahren gelernt hatte. So können wir die Kinder gut vorbereiten und sie wissen, worauf sie sich freuen können (Bisons, Spielplatz, Eisessen).

Tour 1:

Wir sind alle fertig und bereit zum Losgehen, während der Große wieder einmal beim Anziehen streikt. Trotz Klamotten-Alternativen, viel Geduld und der Aussicht auf einen schönen Tag weint er, verweigert und wälzt sich wie immer herum. Irgendwann ist er vor der Tür, wütet und beschimpft uns und sein Fahrrad, das er zum 6. Geburtstag bekam, und schreit, dass er nicht mitfährt und überhaupt, dass er gar nichts mehr mit uns machen will. Wer jetzt denkt, er wolle nur keinen Fahrradausflug machen, irrt. Diese Situation haben wir fast jeden Tag, egal ob Alltag oder Urlaub, und es wird einfach nicht besser.

Die Kleine und ich gehen schon zur Rezeption, um die Fahrräder auszuleihen. Es dauert alles ein wenig, bis die Räder angepasst sind. Der Große weint die ganze Zeit vor unserem Ferienhaus. Der Mann versucht ihn zu animieren und hat schon jetzt keine Lust mehr. Irgendwann kommen sie dann doch heulend. Der Fahrradkindersitz befindet sich auf dem größeren Fahrrad, das der Mann fahren soll. Waaahh, die Kleine will aber bei Mama sitzen! Der Sattel lässt sich nicht niedriger (für mich) einstellen. Es geht nicht. Die Kleine steht kurz vor einem Heul-Wutausbruch. Ich zeige ihr, dass ich mit dem großen Fahrrad wirklich nicht fahren kann. Sie grummelt, aber sagt dann: "Na gut, dann fahr ich bei Papa". Puh!

Der Große jammert immer noch, aber nun geht es endlich los. Das erste Stück der Tour ist eine herrliche Bergab-Strecke. Ich fahre mit dem Großen zusammen und wir brausen den Berg hinunter. Das macht Spaß und er hört auf zu meckern. Auf den ersten Kilometern sind dann tatsächlich alle ruhig und zufrieden. Die Natur ist wunderbar, aber die Anspannung steckt noch in allen drin und ich nehme nur einen Bruchteil meiner Umgebung wahr. Da unsere Starts in den Tag fast immer so anstrengend sind, lässt sich das nicht mehr so einfach abschütteln.


Wir machen eine kleine Pause an einem Skulpturen-Aussichtspunkt. Der Große möchte auf einen Säbelzahntiger klettern. Die Kleine kommt dazu und will auch oben sitzen. Das findet aber der Große nicht gut: "Immer will sie das, was ich mache!", und geht meckernd weg. Der Mann faucht irgendwas Genervtes und der Große ist noch beleidigter. Er beschimpft erneut den Papa und die ganze Welt. Die Stimmung ist schon wieder unterirdisch. Irgendwann schaffe ich es, den Großen wieder zu beruhigen, und wir fahren weiter.

Wir kommen zu einem Aussichtspunkt an einer Bisonweide. Die Kleine wollte unbedingt Bisons sehen, darauf hat sie sich die ganze Zeit gefreut. Es sind keine zu sehen. Ihre Laune rutscht in den Keller. Auf Familien-Fotos hat sie nun keine Lust mehr und knatscht vor sich hin. Zum Glück ist sie mit Snacks zufriedenzustellen. Weiter geht es wieder eine tolle Brausestrecke entlang. Auf den Wiesen am Westufer des Sees grasen cremefarbene Charolais-Kühe. Das sieht sehr idyllisch aus, ich mache Fotos, aber die Kleine hat darauf weiterhin keine Lust.


Wir machen Halt an einem Aussichtspunkt mit Kletterparcours. Leider gibt es nur einen für meine 2 Kinder. Das reicht nicht. Sie fangen an zu streiten und ärgern sich gegenseitig, bis der Große wieder schimpfend das Weite sucht. Es ist so nervend. Die Umgebung ist wunderschön und ich versuche krampfhaft, das Gute-Laune-Fähnchen hochzuhalten. Der Mann hat längst aufgegeben und gibt nur noch eskalationsfördernde Bemerkungen von sich. Wir fahren in Richtung Seepromenade und kommen zu einem Spielplatz. Dort wird konfliktfrei (!) geklettert. Beim Aufbruch merkt man allerdings schon der Kleinen an, dass etwas in ihr gärt, sie jammert, will nicht in den Kindersitz, sich nicht anschnallen lassen, keinen Helm aufsetzen. Ich glaube, sie ist müde und will zu mir, also schnalle ich sie an, aber mitfahren muss sie weiterhin beim Mann. Sie weint etwas, aber als wir Pferde sehen, geht es wieder.


Unsere letzte Station ist der Eisladen an der Seepromenade. Jeder bekommt ein leckeres Eis und wir sitzen herrlich im Schatten auf einer Bank am See. Ein Traum. Die Kleine bedient sich an meinem Eis, naja, was soll's. Wir sind jetzt echt kaputt und die zunehmende Mittagswärme wird unangenehm. Es gibt Streit ums Getränk, die Kleine gibt es nicht frei, der Große hat Durst. Wieder will sie nicht in den Kindersitz, sondern mit mir fahren bzw. es ist jetzt alles doof. Sie schreit und schimpft und bockt und verweigert. Ich versuche mit Engelszungen, sie zu beruhigen, wir wollen losfahren, es ist heiß, wir haben Hunger und noch einen Anstieg vor uns. Der Mann ist super genervt, ich rede auf die Kleine ein, sie schreit und der Große grummelt. Wir unterhalten die halbe Seepromenade mit unserem Schauspiel.

Irgendwann geht es nicht mehr, wir kriegen sonst einen Sonnenstich. Es sind nur ca. 23 Grad, aber die Sonne hat Kraft und wir sind direkt am See. Die Kleine muss jetzt in den Kindersitz, schreit, weint, tritt, tobt und boxt den Papa für den Rest der Strecke in den Rücken. Sie schnallt sich selbst den Helm ab und fährt helmlos. Das letzte Stück ist ein Anstieg, wir keuchen alle, der Große fängt an zu meckern. Der Mann strampelt mit der schreienden Kleinen den Berg hinauf. Nach insgesamt 2,5 h wieder im Ferienhaus angekommen, dirigieren wir die Kinder ins dunkle, kühle Schlafzimmer. Dort beruhigen sie sich schnell und machen erstmal Pause. Wir Eltern kümmern uns ums Mittagessen und unsere eigene Verfassung und sind fix und fertig - weniger von der Fahrradtour als vielmehr von den Launen und Befindlichkeiten der Kinder. Ein Genuss war das nicht, für keinen. Im Gegenteil. Ich erzähle dem Mann, was für Touren andere Eltern mit ihren Kindern machen, sei es mit Fahrrad, im Auto, mit dem Zug oder Flugzeug. Nichts davon würde mit unseren Kindern funktionieren. Wir hatten reichlich Proviant mit, haben Pausen gemacht, Spielgelegenheiten und Interessantes für die Kinder eingebaut, die Strecke war nicht zu schwer und sehr abwechslungsreich, das Wetter eigentlich ideal. Trotzdem kann man das nur als gescheiterten Vormittag bezeichnen.

Tour 2:

Am Nachmittag wagen wir uns nicht nochmal auf eine Familien-Fahrradtour. Da wir die Räder aber bis zum nächsten Morgen gemietet haben, sage ich zum Mann, er solle doch abends nochmal alleine die Runde um den See fahren. Das macht er und kommt nach 25 Minuten wieder. Huch, ich hatte gedacht, er genießt es und ist den ganzen Abend unterwegs. Da er schon wieder zurück ist und die Kleine schnell einschläft, kriege ich auch noch Lust auf eine Tour. Also nach kurzer Überwindung um 20:20 Uhr noch auf's Rad geschwungen, um allein die gleiche Runde wie am Vormittag abzufahren.

Ich brause den Berg hinunter und spüre die Freiheit, die Geschwindigkeit und die laue Abendluft. Die Sonne schimmert über dem See, der friedlich daliegt. Bald geht es in den Wald hinein. Ruhe und Einsamkeit umfängt mich. Zwei Hasen flüchten vor mir, ein Bussard steigt auf. Es duftet nach Blüten. Ich merke, dass ich diesen Geruch auf der Tour mit den Kindern nicht wahrgenommen hatte, so wie ich vieles nicht wahrnehme, wenn ich mit ihnen unterwegs bin. Ich empfinde viel tiefer und intensiver, wenn ich allein, ohne Kinder bin. Die frisch-grünen Blätter, die Stille des Waldes, das Bei-Mir-Sein, das Freiheitsgefühl, es ist herrlich. Ich genieße die Abendstimmung mit allen Fasern.


Ich fahre an den Skulpturen vorbei und denke mit Grauen an die Streitereien der Kinder am Vormittag. Ich treffe andere Fahrradfahrer, die ebenfalls den Abend genießen. Am Bison-Aussichtspunkt mache ich Halt, es sind immer noch keine Bisons zu sehen, aber das Panorama ist phantastisch. Es ist absolut herrlich, ich bin total glücklich. Der Blick auf den See in einer fast menschenleeren Gegend. Dann geht es mit Geschwindigkeit bergab, ich jauchze und strecke die Beine ab. Die Charolais-Kühe sind immer noch da und grasen in der Abenddämmerung. Auf der großen Wiese am See haben sich Wildgänse eingefunden, die ich eine Weile beobachte. Diese Stille!

Auch die letzte Etappe fahre ich ruhig und glücklich und lasse die Tour auf einer Bank mit Blick auf den See ausklingen. Am Wegesrand sind Getreidefelder, Vögel zwitschern, Pärchen gehen spazieren, Rennradfahrer und Inline-Skater nutzen die tollen Routen. Nach etwas über einer Stunde komme ich zuhause an und bin selig. So fühlt sich für mich Glück, Genuss und Freiheit an. Der Kontrast zu der Tour am Vormittag ist krass. Nicht nur empfinde ich es mit den Kindern viel einschränkender und weniger intensiv und nach nun 6 Jahren des Mamaseins denke ich, das wird sich auch nicht mehr ändern, sondern es ist auch höchst anstrengend, ständig zwei oder vielmehr drei Menschen in ihren Missstimmungen, Emotionen und Launen regulieren und vermitteln zu müssen. Es saugt mich aus, es kostet unheimlich viel Kraft, die mir beim Genießen schöner Momente dann fehlt. Aber bei der Abend-Tour allein habe ich mich gespürt, habe Kraft getankt und genossen. Das war so schön!


Montag, 19. Dezember 2016

Wenn der Wutsturm kommt

Ich sitze auf dem Sofa, immer noch fix und fertig. Mir ist flau im Magen und durch meinen Kopf dröhnt das Wutgeschrei der Kleinen, das schon 3 Stunden zurückliegt. Fast 45 Minuten lang war sie völlig außer sich, hat gewütet und getobt, geschrien und geweint, getreten und Dinge nach mir geworfen. Nichts half. Ich war bei ihr, habe sie begleitet, ohne ungeduldig, sauer oder selbst wütend zu werden. Ich habe zwischendurch geweint, weil ich ihr überhaupt nicht helfen konnte und auch aus Mitleid mit mir selbst, weil sich dieser Wutsturm wiedermal an mir entladen hat. Aber ich bin ganz ruhig geblieben. Ich saß auf dem Fußboden im Flur, wo sie hockte und sich herumwälzte, habe die Arme nach ihr ausgestreckt, wenn ich das Gefühl hatte, sie öffnet sich ein Stück weit. Ich sah es in den zusammengekniffenen Augen in ihrem wutverzerrten, schreienden Gesicht, dass sie gern wollte, aber nicht konnte. Nach einer langen Weile kam sie sogar zwei Mal kurz zu mir und versuchte, sich anzuschmiegen, stieß mich aber gleich wieder von sich und brüllte noch mehr. Es ging noch nicht. Ich war still, habe nichts gesagt, sondern nur gewartet. Jedes Wort, jede Handlung verstärkte das Gebrüll nur. Die Kinder waren spät mit dem Papa nach Hause gekommen. Wir wollten Abendbrot essen, der Große saß schon am Tisch. Er hielt sich die Ohren zu. Der Mann brachte ihn mit seinem Essen ins Kinderzimmer, um ihn zu schützen. Irgendwann, nach einer unendlich scheinenden Zeit, es waren fast 45 Minuten, beruhigte sich die Kleine endlich und war wieder zugänglich. Dann ließ sie auch wieder Körperkontakt zu. Wir aßen zusammen und kuschelten auf dem Sofa.

Woher kam dieser Wutsturm? Früher wäre ich völlig ratlos und überfordert gewesen und hätte mir solch eine heftige Reaktion nicht erklären können. Oft war ich auch gekränkt. Mittlerweile kenne ich meine Kinder und weiß meist, worauf und wie sie reagieren. Ich habe mich auch selbst weiterentwickelt. Und das macht mich ruhiger. Ich denke, es war eine Kombination aus diversen unglücklichen Faktoren. Es war Freitag und die Kinder waren kaputt von der Woche. Die Kleine machte seit kurzem keinen Mittagsschlaf mehr in der Kita und war nachmittags immer enorm knatschig gewesen. Der Mann hatte die Kinder am Vortag und am Wutsturm-Tag von der Kita abgeholt und sie hatten mich an diesen beiden Tagen 10 Stunden lang nicht gesehen. Er war an beiden Nachmittagen mit den Kindern noch bis 18:15 Uhr unterwegs gewesen und das ist für sie extrem anstrengend, besonders im Winter. An den Nachmittagen war laut Aussage des Mannes alles super gewesen, d.h. die Kleine muss sich sehr zusammengerissen haben, da sie bei mir seit Wegfall des Mittagsschlafs immer motzig gewesen war. Nach der stundenlangen Anpassung in der Kita kam also noch das Zusammenreißen beim Papa dazu. Vielleicht war sie auch sauer auf mich, dass sie so lange von mir getrennt sein musste. Sie war also erschöpft, müde, kaputt, hatte mich vermisst, war gleichzeitig sauer und musste ihre Emotionen sehr lange unterdrücken. Als sie nach Hause kam und mich sah, kam das alles hoch. Und wenn sich so vieles in einem Menschen anstaut, muss das irgendwie raus. Dann fehlt nur noch ein Tropfen, der zur Explosion führt.

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Der konkrete Auslöser war: ich hatte für beide Kinder ein Mini-Mitbringsel auf den Tisch gelegt. Als die Kleine das sah und sich irgendwie benachteiligt fühlte, brüllte sie los. Da ihr Mitbringsel sie so sehr aufregte, packte ich es wieder weg. Das regte sie natürlich noch mehr auf. Dann musste ich mich kurz um den Großen im Bad kümmern. Das war zuviel für sie. Der Wutsturm brach sich Bahn und ließ sich nicht mehr stoppen. Zum Glück war ich ausgeruht und ausgeglichen, da ich an beiden Tagen nach der Arbeit noch zwei Stunden allein zuhause war, bis die Kinder kamen. Bin ich gestresst, angeschlagen oder unter Druck, klappt das Geduldigsein und Ruhigbleiben nicht so gut. Zum Glück war auch noch eine andere Betreuungsperson, der Papa, greifbar, der sich um den Großen kümmern konnte. Wenn man allein mit beiden Kindern ist, muss das andere Kind in dieser Zeit komplett zurückstecken und warten. Denn wenn ich mich um das Geschwisterkind kümmere, wird die Wut immer stärker. Und auch nach dem Wutsturm bekommt ja das sich gerade beruhigende Kind meine Aufmerksamkeit. Wenn ich mich dann gleich wieder dem Geschwisterkind zuwende, regt sich das Wutsturm-Kind nämlich wieder auf. Das sind sehr schwierige, kräftezehrende Situationen für alle Beteiligten.

Nachdem die Autonomiephase der Kleinen bisher wirklich - im Vergleich zum Großen - recht glimpflich verlaufen ist und meist gut zu händeln war, weil ihre Wut nicht ganz so heftig und körperlich war, ihre Ausraster berechenbarer waren und sie sich schon immer leichter beruhigen ließ als der Große, durchläuft sie nun seit einigen Monaten doch noch eine deutlich extremere Phase. Sie wird jetzt immer sehr schnell wütend, manchmal ärgert sie jede Kleinigkeit, und sie lässt sich kaum noch von außen beruhigen, sondern man muss wirklich mit ihr zusammen warten, bis der Wutsturm vorbei und sie wieder zugänglich ist. Ich tröste mich immer damit, dass es das letzte Aufbäumen ihrer Autonomiephase ist. Sie ist jetzt 3 1/2 Jahre alt. Und es macht für mich einen großen Unterschied in der "Nachbereitung" solcher Wutstürme, dass man, weil sie ein sehr kuscheliges, anschmiegsames Wesen hat, danach wieder mit ihr knuddeln und schmusen kann. Das war ja beim Großen nicht möglich gewesen und das macht viel aus.

Trotzdem kosten mich solche Ausraster immer noch viel Kraft, ich bin richtig aufgewühlt, weil ich in diesen Momenten soviel Energie aufbringe, um der Kleinen bzw. beiden Kindern gerecht zu werden. Und ich weiß noch, wie ausgelaugt ich nach den häufigen und heftigen Wutstürmen des Großen immer war. Für die Kinder selbst ist das natürlich auch unglaublich anstrengend, aber sie erholen sich schneller. Mir hängt das noch stundenlang nach. Diesmal aber nicht, weil ich mich zermarterte und mit meinen Reaktionen haderte, wie früher oft, sondern ich wusste, ich hatte genau richtig reagiert. Sondern weil es eben Kraft kostet und ich danach liebevoll weiter mache, ohne sie spüren zu lassen, wie erschöpft ich davon bin. Weil ich mitleide, wenn eines meiner Kinder leidet und ich es nicht herausholen kann. Weil ich mich selbst in solchen Situationen sehe, als kleines Kind, das nicht aufgefangen wurde. Weil ich schon eine sehr kräftezehrende Autonomiephase beim Großen hinter mir habe. Und weil sich besonders viel immer bei mir entlädt.

Ich kann das übrigens viel besser zuhause auffangen als draußen in der Öffentlichkeit. Draußen, vor allem in Gegenden, wo wir Leute treffen, die wir kennen, bin ich viel schneller gestresst und ungeduldig. Ich weiß, dass das bei manchen Eltern umgekehrt ist. Bei mir wirkt dann der zusätzliche Druck von außen so, dass ich nicht so reagiere, wie ich eigentlich möchte. Kennt ihr das auch?

Ich hoffe, dass ich die Kleine auch noch durch den Rest ihrer Autonomiephase so geduldig und verständnisvoll begleiten kann wie an diesem Abend. Ich bedauere es, dass ich beim Großen damals noch nicht so weit war, aber die Umstände waren eben tatsächlich andere und man entwickelt sich als Eltern ja auch weiter. Es gibt immer einen Auslöser und eine oder mehrere Ursachen für solche Wutstürme, auch wenn diese für uns auf den ersten Blick vielleicht nicht oder schwer zu erkennen sind. Aber wir sollten es zumindest versuchen. Ich führe mir immer mein Mantra vor Augen, dass die Ruhe der Bezugsperson die wichtigste Voraussetzung zur Beruhigung des Kindes ist. Das hilft durch die Wutstürme hindurch. Auch nach mehreren Jahren als wutsturm-erprobte Mama strengen mich solche Situationen furchtbar an. Aber ich bleibe ruhiger als früher. Und das hilft tatsächlich - dem Kind und uns selbst.

Nach einer Begebenheit am Freitag, 16.12.2016.

 
Mit diesem Beitrag bewerbe ich mich für den scoyo ELTERN! Blog Award 2017. Alle Infos dazu hier.

Dienstag, 27. September 2016

Was ich als Mama gerne besser machen würde (Blogparade #ichwürdegerne)

Ich glaube, fast jede/r von uns war eine perfekte Mama oder ein perfekter Papa, bevor er/sie selbst Kinder bekam und merkte, dass einiges (vieles) anders läuft als vorgestellt. Man hatte die Erziehungsweisheit mit Löffeln gefressen und war der Überzeugung, ein Drehen an Schräubchen A bringt den gewünschten Mechanismus in Gang. Und fragte sich, warum das denn bei anderen Eltern und deren Kindern nicht funktionierte. Nun ja, seit wir selbst Eltern sind, sind wir schlauer und demütiger. Wir wissen, dass Kinder Individuen sind, die nicht nach Schemata funktionieren. Wir wissen, dass ein bestimmtes Verhalten unsererseits nicht unbedingt das erhoffte Ergebnis bei unserem Kind ergibt. Manchmal sehen wir sogar das Gegenteil davon. Und trotzdem bemühen wir uns immer, gute, liebevolle, zugewandte Eltern zu sein, uns ständig zu reflektieren und zu korrigieren. Und haben immer noch gewisse Ansprüche an uns selbst im Kopf, an denen wir uns messen. Das ist manchmal destruktiv, wenn es sich um völlig überzogene, mit dem eigenen Charakter oder dem Wesen des Kindes nicht vereinbare Ansprüche handelt. Oft aber regt es dazu an, sich zu fragen, was man noch besser machen kann als Mutter/Vater. Dazu passt die aktuelle Blogparade von Leben & Erziehen: Was wir als Eltern gerne besser machen würden, an der ich mit diesem Beitrag teilnehme. Einige Eltern schreiben, dass sie gern mehr basteln würden oder ausgefeilte Brotdosen herrichten würden oder nicht so stark auf ihr Handy fixiert sein möchten. Bei mir sind es eher mentale und emotionale Dinge, die ich gern besser machen würde.

1.) Ich würde gern das Zusammenleben mit meinen Kindern mehr genießen. Ich bin oft unruhig, gestresst oder manchmal auch gelangweilt in Gegenwart meiner Kinder. Ich frage mich viel zu oft: "Was machst du da?" Ich stehe eigentlich unter einer permanenten Anspannung, wenn ich mit meinen Kindern zusammen bin, und kann das so gut wie nie abschütteln. Das liegt nicht daran, dass ich noch so viele Dinge im Hinterkopf habe, die erledigt werden müssten (manchmal auch daran), sondern eher an dem ständigen Funktionieren-Müssen, der Bereitschaft, dem Reagieren-Müssen. Das schlaucht mich wirklich unheimlich, legt sich wie ein schwerer Stein in meinen Magen und beeinträchtigt auch die allerschönsten Momente bzw. es gibt nur sehr wenige Augenblicke, wo sich der Stein auflöst. Das ist schade und ich weiß nicht, was man da machen kann. Ich hätte es gern anders und würde die Kinder gern mehr genießen, so wie ich früher die Natur, Reisen oder Musik genossen habe. Manchmal gelingt es mir, den Kopf bewusst auszuschalten oder durch tiefe Bauchatmung den Stein im Bauch etwas leichter zu machen. Oft genug leider nicht.

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2.) Ich würde gern noch ruhiger und gelassener im Umgang mit meinen Kindern werden und den Stress oder Ärger, den ich habe, nicht an ihnen auslassen. Dazu muss ich sagen, dass ich schon tausendmal ruhiger geworden bin als früher (vor den Kindern), als ich wegen vielen Kleinigkeiten explodiert bin. Dies wurde leider in der Anfangszeit mit dem Großen noch extremer, da mein psychischer und physischer Stress in dieser Zeit enorm war. Mittlerweile habe ich realisiert, dass tatsächlich eine der wichtigsten Komponenten im Umgang mit Kindern die eigene Ruhe ist und arbeite täglich daran, meine Stressauslöser zu erkennen, bevor sich alles auf den Kindern entlädt. Das gelingt natürlich nicht immer, da meine Ausgangsbasis (hochsensibel, keine Stressresistenz und kaum Verarbeitungsstrategien) einfach sehr schlecht ist. Aber ich versuche es und bemerke oft ganz deutlich, wie eines zum anderen kommt und die Spirale sich dreht. Ich bin ein emotionaler Mensch und würde gern viel mehr Ruhe ausstrahlen, vor allem für meine Kinder, geduldiger sein und nicht alles so an mich rankommen lassen. Das ist zumindest ein Aspekt, an dem ich mehr arbeiten kann als an Punkt 1.

3.) Ich würde gern etwas mutiger sein und mir mehr mit den Kindern zutrauen. Also ALLEIN mit den Kindern. Ich bin ein sehr vorsichtiger und abwägender Mensch und durchdenke potentiell riskante Dinge so oft, dass ich mir selber manchmal im Weg stehe. Sicherlich hilft diese Vorsicht auch dabei, sich keinen Situationen auszusetzen, die mich überfordern oder allzu sehr stressen würden. Aber manchmal würde ich mich gern mehr trauen. Ich bewundere Menschen (bzw. halte sie für verrückt), die allein mit Baby und Kleinkind in den Urlaub fahren. Nie-niemals hätte ich so etwas gewagt, dazu waren meine Kinder, meine eigenen psychischen Kräfte und die fremden Umstände viel zu unberechenbar. Dagegen freue ich mich über jede kleine Herausforderung, die ich meistere. Ich war stolz, als ich zum ersten Mal beide Kinder allein ins Bett brachte. Mir fiel ein Stein vom Herzen, als der Besuch bei meinen Eltern inklusive längerer Busfahrt mit beiden Kindern letztes Jahr gut klappte oder als ich im März dieses Jahres zusammen mit meinen Eltern und den Kindern im Kurzurlaub war. Das sind für mich echt Herausforderungen, weil ich nie wissen kann, wie sie laufen werden. Ich würde gern noch mehr solcher Erfolgserlebnisse haben, aber oft traue ich mich einfach nicht. Habe Angst, krank zu werden oder die Nerven überzustrapazieren. Wie gesagt, ich finde es gut, seine Kräfte korrekt einzuschätzen, aber etwas mehr Mut wäre sicherlich nicht verkehrt. Ich arbeite daran, mir in kleinen Schritten mehr zuzutrauen, ohne mich zu überfordern.

Rückschau:

Was die vergangenen 5 1/2 Jahre, seit ich Mama bin, angeht, gibt es natürlich auch so einiges, was ich aus der Rückschau gern anders gemacht hätte. Vor allem in der Babyzeit und in der sich direkt anschließenden Autonomiephase des Großen hätte ich gern besser reagiert, als ich es zu diesem Zeitpunkt konnte. Ich hätte weniger hadern und mich viel mehr auf ihn einlassen müssen. Ich hätte deutlicher Entlastung einfordern müssen, um dadurch wieder Kraft für ihn und mich zu haben. Ich hätte kreativer sein und schneller fernab der üblichen Erziehungsansichten schauen müssen, was helfen könnte. Und ich hätte nicht so viel zweifeln sollen. Das wäre für ihn und für mich gut gewesen. Leider wusste ich damals noch nicht viel über ihn und über mich und konnte vielfach nicht aus meiner Haut. Das bedauere ich unheimlich. Andererseits sehe ich auch, welche Entwicklung ich als Mama durch das Zusammenleben mit meinen Kindern gemacht habe und welche Wege ich beschritten habe. Wege der Gleichwürdigkeit und des Respekts vor Kindern, die mich weit weg von der eigenen Erziehung führen und die ich beibehalten und weiter ausbauen möchte. Ich tröste, wie ich selbst nie getröstet worden bin. Ich fange auf, wie ich nie aufgefangen worden bin. Ich ergreife Partei, wie für mich (als Kind) nie Partei ergriffen worden ist. All das ist das Produkt meines bisherigen Mamalebens und ich spüre, dass ich auf einem guten Weg bin. Das heißt aber eben nicht, dass man nicht immer noch etwas besser machen kann. Als Mama oder Papa ist man wahrscheinlich immer auf dem Weg und nie am Ziel.

Ich habe übrigens meinen Großen befragt, was ich besser machen könnte als Mama. Ihm fiel heute leider nichts sein. Naja, ich denke, spätestens in der Pubertät wird er mir die Frage beantworten können;-)

Und was würdet ihr als Mama oder Papa gern besser machen?

Donnerstag, 11. August 2016

Ruhe- und Actionbedürfnis bei meinen Kindern

Dass meine Kinder sehr verschieden sind, dürfte meinen Lesern bekannt sein. Ich habe ja schon mehrfach darüber geschrieben und die Unterschiedlichkeit macht sich in den verschiedensten Bereichen bemerkbar. Heute möchte ich mal über ihr Ruhe- bzw. Actionbedürfnis nachdenken, weil mir in einem Gespräch ein paar Dinge bewusst geworden sind.

Ich selbst bin ja ein sehr ruhebedürftiger Mensch. Ich bin eigentlich am liebsten allein und kruschel vor mich hin. In der Wohnung, in einer Ferienwohnung, im Garten etc., in meinem eigenen Rhythmus, ohne jemandem Rechenschaft schuldig zu sein, ohne Rücksicht zu nehmen und ohne gestört zu werden. Das brauche ich und wenn ich das nicht regelmäßig habe, werde ich erst unleidlich und später wütend-aggressiv. Das war z.B. in den Babyzeiten der Fall, als ich so gut wie nie allein zuhause war.

Die andere Seite von mir dagegen braucht Action und Anregungen, Unternehmungen, Reize und Input. Ich bin kein Stubenhocker, es gab und gibt kaum Tage, die ich komplett zuhause verbrachte, ich werde unruhig, wenn ein Wintertag verstreicht, ohne dass ich einen Fuß vor die Tür gesetzt habe (meist gehe ich dann wenigstens kurz im Dunkeln nochmal raus). Ich bin bei uns meist die Ideengeberin für Ausflüge und würde am liebsten jedes Wochenende etwas Tolles erleben. Ich bin auch dann total selig, wenn der Ausflug schön war.

Es ist wie ein Pendel, das immer hin und her schwingt, zwischen Ruhe- und Actionbedürfnis. Das richtige Maß zu finden ist sehr schwierig und während mir schnell Dinge zuviel werden, kann ich ebenso eine zu lange Zeit ohne Input nicht vertragen und werde unzufrieden. Ich brauche auch Herausforderungen, die mich nicht allzu sehr überfordern, und setze mich diesen bewusst selbst aus. Zum Beispiel verabrede ich mich oder uns immer wieder ganz bewusst, obwohl es eigentlich anstrengend für mich ist, wir alle nicht die geselligsten Menschen sind und ich danach eine Zeit brauche, bis ich wieder runtergefahren bin. Ich finde es aber wichtig, das zu üben, habe auch das Bedürfnis nach Austausch und Abwechslung und möchte gern, dass die Kinder lernen, dass man Freundschaften pflegen muss.

Bei meinen Kindern kommt es mir so vor, als seien diese beiden Seiten, die in meinem Wesen integriert sind, auf die beiden Kinder aufgespalten. Der Große ist genauso ruhebedürftig wie ich, ohne allerdings meine Sehnsucht nach Anreizen zu haben. Die Kleine dagegen ist umtriebig und actionbedürftig, ohne dass man nach aktuellem Stand ein großes Ruhebedürfnis bei ihr erkennen könnte (vielleicht kommt das noch). Das macht unseren Alltag, besonders am Wochenende oder im Urlaub, etwas kompliziert. Der Große möchte am liebsten zuhause bleiben. Das kann ich verstehen, denn ich bin auch gern (allein) zuhause. Ich möchte ihm das auch durchaus ermöglichen, weiß ich doch, wie wichtig das für Charaktere wie unsere ist. Die Kleine möchte gern raus und steht meist schon angezogen im Hausflur, während der Große noch im Schlafanzug von einem Ausflug überzeugt werden muss. Ich möchte auch gern etwas unternehmen, weil ich Input brauche und weil ich mich eh' nicht ausruhen kann, wenn wir zu viert zuhause sind. Ich freue mich, dass die Kleine Lust auf Unternehmungen hat und ärgere mich gleichzeitig, dass der Große sich sträubt, obwohl ich ihn verstehen kann.

Der Große verkörpert sozusagen meine ruhebedürftige und die Kleine die actionbedürftige Seite.  Während ich für mich selbst schauen und entscheiden kann, beiden Bedürfnissen Rechnung zu tragen und dies vor den Kindern auch immer recht gut schaffte, ist es nun umso schwieriger, da die Kinder darin so gegensätzlich sind und die in mir vorhandenen gegensätzlichen Pole ansprechen und herausfordern. Wir bemühen uns, dem Großen regelmäßig ruhige Zeiten zuhause zu ermöglichen, in denen wir auch versuchen, die Kleine von ihm fern zu halten. Zum Beispiel geht vormittags einer mit der Kleinen raus und der Große bleibt mit dem anderen Elternteil zuhause. Das genießt er sehr. Ebenso braucht und genießt es die Kleine, dass man mit ihr rausgeht. Leider ist es nicht so, dass der Große, wenn er einen Vormittag zuhause hatte, dann kompromissbereiter ist, was einen nachmittäglichen Ausflug angeht. Meist ist es sehr schwierig und nervenaufreibend, ihn dazu zu animieren. Die Kleine dagegen hibbelt schon an der Tür herum und kann es kaum erwarten, bis es endlich losgeht. Der Papa ist da übrigens ziemlich leidenschaftslos und macht sowohl das eine als auch das andere gern mit bzw. ihm macht das Fehlen des einen oder anderen nicht so viel aus.

Vielleicht verändern sich diese Extreme auch noch im Laufe der Jahre. Der Große war nämlich anfangs so unruhig, auch motorisch unruhig, dass er keine 30 Sekunden still an einem Ort verharrte. Ausruhen war Fehlanzeige. Dass er seinem Ruhebedürfnis auch selbst nachgeht, indem er die Tür des Kinderzimmers schließt und sich zurückzieht oder sagt, dass er zuhause bleiben will, kam erst mit der Zeit. Ich finde es gut, dass er sich dessen nun so bewusst ist und möchte das unterstützen. Ich weiß selbst zur Genüge, wie wichtig Auszeiten für hochsensible Menschen sind. Allerdings fehlt mir bei ihm eben das Bedürfnis nach Anregungen. Das verkörpert die Kleine, die wiederum kaum Regeneration und Ruhe zu brauchen scheint. Diese beiden Pole, die beide in mir verankert sind und hin und her pendeln, wirken im Moment wie aufgeteilt unter meinen Kindern. Ich bin gespannt, wie sich das noch entwickeln wird. Aktuell ist das sehr schwer zu vereinbaren.

Wie ist das bei euch und euren Kindern? Habt ihr noch Tipps für das Vereinbaren der verschiedenen entgegengesetzten Bedürfnisse?

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Sonntag, 1. Mai 2016

Erinnerungsfetzen IV - Familienachterbahn

Hier kommt wiedermal ein aufwühlendes Erinnerungsschnipsel, diesmal nicht aus der Babyzeit meiner Kinder, sondern noch gar nicht allzu lange zurückliegend, das sowohl die emotionale Verbindung zwischen dem Großen und mir beinhaltet als auch die Zerrissenheit zwischen den Bedürfnissen meiner beiden Kinder. Da wir gerade am gleichen Ort Urlaub machen wie damals, ist die Erinnerung daran jetzt sehr präsent. Ich habe sie seinerzeit im Urlaubsbericht nicht festgehalten, wie ich jetzt bemerkte, wahrscheinlich, weil ich selbst noch zu aufgewühlt war. Deshalb hole ich das nun nach.

Wir reisen sehr gern in einen vertrauten Ferienpark und steuern uns bekannte Ziele an. In unserem Urlaub im September 2015 besuchten wir von dort aus wiedermal den riesigen, nahegelegenen Freizeitpark. Diesmal waren die Großeltern dabei. Ich wusste aus dem vorherigen Besuch, dass eine sogenannte Familienachterbahn neu eröffnet hatte, die für Kinder ab 4 Jahren freigegeben war. Ich stellte mir das altersangemessen als etwas größere Eisenbahn vor, die leicht auf und ab fuhr. Nichts Verrücktes also. Der Große war auch schon ganz aufgeregt, war er doch im März 2015 4 Jahre alt geworden und konnte sie also schon nutzen. Nach einigen Kleinkindattraktionen kamen wir bei der Familienachterbahn an. Ich wollte erstmal an der Seite schauen, ob sie etwas für den Großen ist. 4-Jähriger ist nicht gleich 4-Jähriger und ich bin immer sehr darauf bedacht, ihn zwar Herausforderungen auszusetzen, aber nicht zu überfordern. Die Strecke sah schon ziemlich heftig aus. Es kam aber nicht gleich eine Achterbahn und der Große und der Papa wurden ungeduldig. Als dann noch eine Gruppe nahte, eilten sie mit dem Opa zum Eingang, ohne eine Achterbahnfahrt beobachtet zu haben. Dagegen konnte ich es gleich darauf erleben und wusste sofort, dass das nichts für den Großen ist. Ich rannte in Panik zum Eingang, aber zu spät, die Männer waren schon fast am Einstieg. Ich konnte sie nicht mehr zurückhalten.

Ich stand also mit der Kleinen und der Oma seitlich neben der Strecke und beobachtete, wie die nächste Achterbahn Fahrt aufnahm. Es gab nur Zweiersitze, d.h. der Große saß nicht einmal in der Mitte zwischen Opa und Papa, sondern wie jeder am Außenrand. Ich hatte gehofft, dass der Papa wenigstens den Arm um ihn legen würde, zum Schutz und zur Stabilisierung, aber das ging wohl gar nicht, wie ich danach erfuhr. Er war mit Abstand der Jüngste in den Waggons. Die Achterbahn wurde sofort schneller und schoss um die Kurven sowie von den Höhen hinunter. Es war schwindelerregend und definitiv noch nicht geeignet für ein 4-jähriges Kind. Ich sah sein Gesicht, sah, wie sein Kopf hin und her geschleudert wurde, fühlte seine Angst und Verwirrung und gleichzeitig den Willen, stark zu sein. Ich konnte ihm nicht helfen. Es war eine furchtbar hilflose, emotional abgründige Situation, ich geriet in Panik, fing an zu weinen und zu schreien. Es war für mich definitiv die falsche Entscheidung, den Großen da mitfahren zu lassen, ohne dass er vorher gesehen hatte, was ihn erwartet, und ich hielt den Papa in dem Moment für sehr verantwortungslos und uneinfühlsam. Er wusste ja selbst nicht, wie schnell und rasant die Achterbahn sein würde. Gerade deshalb hätte man wenigstens einmal zuschauen müssen. Für den Großen wie auch für mich ist das sehr wichtig. Wir stürzen uns nicht in Abenteuer, wir beobachten vorher und entscheiden dann. Genau das war nicht möglich gewesen.


Glücklicherweise war die Fahrt schnell vorbei. Ich rannte zum Ausgang, ließ die Kleine im Buggy einfach stehen (die Oma kümmerte sich um sie) und als der Papa mit einem komplett verwirrten Großen auf dem Arm herauskam, streckte er die Arme nach mir aus und ich übernahm ihn wortlos. Er war weiß im Gesicht und sein ganzer Körper total schlaff. Ich trug ihn lange herum, hielt ihn ganz fest, redete ihm beruhigend zu. Mir gelang in diesem Moment der schwierige Spagat, selbst innerlich total aufgelöst zu sein und trotzdem dem Großen Ruhe und Sicherheit zu vermitteln. In dem Moment, wo ich ihm Halt geben konnte und musste, weil kein anderer dazu fähig gewesen wäre, fiel die Panik von mir ab und ich war ganz stark. Die Oma sagte hinterher zu mir, dass sie es toll fand, wieviel Ruhe und Besonnenheit ich ausstrahlte. Er wurde schnell ruhiger und fühlte sich bald wohler. Leider schrie sich die Kleine ab dem Zeitpunkt, als ich den Großen auf den Arm nahm, wirklich die ganze Zeit in ihrem Buggy die Seele aus dem Leib. Weder der Papa noch die Großeltern konnten bei ihr etwas ausrichten, niemand durfte sie schieben oder herausnehmen. Sie tat mir unheimlich leid, aber ich musste das in dem Moment ausblenden. Ich musste für meinen Großen da sein, exklusiv. Deutlich spürt man in solchen Momenten die Zerrissenheit zwischen den Bedürfnissen der Kinder und das Unvermögen bzw. die Unmöglichkeit, für beide gleichzeitig da zu sein. Der Große brauchte mich in dem Moment und der Kleinen gefiel das nicht.

Es dauerte vielleicht eine Viertelstunde, in der ich den Großen herumtrug und die Kleine (damals 2 1/2) schrie und weinte. Als ich ihn für stabil genug hielt, übergab ich ihn wieder dem Papa und Opa. Sie kümmerten sich weiter gut um ihn und sorgten für etwas Ruhe. Ich tröstete die Kleine, die sehr aufgebracht war. Sie beruhigte sich relativ schnell, als sie bei mir war, aber ich musste sie danach noch eine Weile herumtragen, bis sie wieder richtig ausgeglichen war. Ihr könnt euch sicher vorstellen, dass mich die ganze Situation ziemlich ausgelaugt hatte. Ich brauchte erstmal eine Weile, um mich wieder zu sammeln und all die für den Großen mitgefühlten Emotionen wieder abzuschütteln. Er hatte im weiteren Verlauf des Tages noch wunderbare Erlebnisse im Freizeitpark und war wieder gefestigt. Es war wirklich noch ein sehr schöner Tag und man hatte nicht das Gefühl, dass ihm etwas nachhing. Bis heute Morgen.

Beim Frühstück sagten wir den Kindern, dass wir heute wieder in den besagten Freizeitpark fahren wollten. Der Große zeterte wie üblich beim Anziehen und als er in Schluchzen ausbrach, kuschelten wir auf dem Sofa zusammen. Irgendwie kamen wir auf das Achterbahnerlebnis zu sprechen und er sagte von sich aus, dass er das nicht wieder machen wolle, weil ihm das zu wild war und der Wind im Gesicht wehgetan hatte. Und der Kopf so hin und hergeworfen wurde, dass ihm ganz schwindlig wurde. Er habe sich damals nicht getraut, es Papa zu sagen und hatte ja auch nicht gewusst, was auf ihn zukommt, erinnerte sich aber noch sehr gut, dass ich ihn danach lange getröstet hatte. Wir hatten in der ganzen Zwischenzeit nie wieder davon gesprochen. Ich sagte ihm, dass mein "Trick" bei unbekannten Sachen ist, ein paarmal vorher zu beobachten und dann zu entscheiden, ob es was für mich ist oder nicht. Ich weiß aber auch, dass es schwer für ihn ist, sein Gefühl durchzusetzen, wenn ihm eine andere Erwartungshaltung entgegenkommt. Das ist ein lebenslanger Lernprozess, auch für mich. Und in dem Fall hatte er ja nicht mal die Chance, zu beobachten, was ihn erwartet.

Als wir dann heute im Freizeitpark waren und zur "Familienachterbahn" kamen, schauten wir an der Seite zwei Fahrten zu. Der Große rekapitulierte nochmal kurz seine Erinnerungen und sagte deutlich, dass er aktuell nicht damit fahren wolle. Vielleicht, "wenn ich viel größer bin". Es gibt dort andere, altersangepasstere Attraktionen und wir hatten viel Spaß. Aber ich war wirklich erstaunt, wie präsent ihm selbst das Erlebnis noch war, obwohl er es nie angesprochen hatte. Für mich ist es ein weiterer Erinnerungsfetzen, den ich nie vergessen werde.

Und hier die bisherigen Erinnerungsfetzen:
Erinnerungsfetzen I
Erinnerungsfetzen II
Erinnerungsfetzen III

Montag, 16. November 2015

Wenn die Wohnung zu klein wird

Immer, wenn alle vier Familienmitglieder gleichzeitig zuhause sind wie an den Wochenenden, kriege ich Beklemmungen und Platzangst in unserer Wohnung. Es ist mir alles zu eng, zu laut, zu nah und zu direkt. Eigentlich müsste unsere Wohnungsgröße von 90 m² und 4 Zimmern für uns ausreichen. Leider gibt es kaum Rückzugsmöglichkeiten bzw. man hört einfach alles. Alle Zimmer gehen von einem langen Flur ab und haben recht dünne Wände. Als die Kleine z.B. als Baby im Schlafzimmer schlief, konnten wir in der angrenzenden Küche nichts machen, weil es sich anhörte, als würde man im gleichen Zimmer werkeln. Da die Kinder ständig raus und rein gehen oder die Türen eh' offen stehen, ist es immer unruhig und laut. Wenn ich am PC sitze und die Tür zum Arbeitszimmer schließe, dauert es keine 2 Minuten und ein Kind kommt zu mir. Daneben liegt das Kinderzimmer, man hört jeden Mucks. Das Wohnzimmer ist zwar mit einer Schiebetür von der Küche abgetrennt, aber akustisch quasi ein Raum. Es gibt nirgendwo Ecken/ Nischen, wo man sich ein wenig separieren könnte. Die Räume sind bis auf das Kinderzimmer alle recht klein. Der Flur nimmt mit 10 m² schon viel von der bewohnbaren Fläche weg.

Mittwoch, 12. August 2015

Ich-Zeit und schlechtes Gewissen - Blogparade #MeTime

Seit langem wieder mal eine Blogparade, die mich anspricht: die liebe Mama on the Rocks konstatiert genervt: Zeit für mich? Haha. und fragt nach den Bedürfnissen von Eltern nach #MeTime. Wie wichtig ist Zeit für sich selbst, wie kann man sie in einem turbulenten Kleinkindhaushalt bekommen oder einfordern und was ist mit dem schlechten Gewissen? Ein interessantes Thema, was sicherlich alle Eltern in mehr oder weniger ausgeprägter Form betrifft.

Grundsätzlich spielen da für mich verschiedene Faktoren hinein. Erstens: was bin ich selbst für ein Mensch, wie hoch ist mein Freizeitbedürfnis, habe ich viele Interessen, kann ich schnell um- bzw. abschalten, kann ich Geräusche in der Wohnung/im Haus ausblenden und parallel etwas für mich tun, wie gut kann ich mich zurücknehmen, fordere ich meine Bedürfnisse zur Not auch "gegen" die Bedürfnisse anderer Familienmitglieder ein, leide ich sehr unter einem Mangel an Ich-Zeit etc. Dazu kommen die "äußeren" Umstände: habe ich externe Entlastung, z. B. durch Großeltern (den Partner zähle ich hier nicht mit, weil der ja das gleiche Problem hat, wenn er berufstätig ist), beschäftigen sich die Kinder viel oder wenig allein (da gibt es große Unterschiede), wie sind die Wohnumstände, gibt es Rückzugsmöglichkeiten etc.

All diese Faktoren beeinflussen das Empfinden, ob jemand subjektiv genügend Zeit für sich hat, enorm. Bei Mama on the Rocks beispielsweise stelle ich es mir sehr schwierig vor, neben der häufigen Anwesenheit der Kinder im Haus im HomeOffice zu arbeiten und gleichzeitig den Haushalt auf Stand zu halten. Dennoch schafft sie es, sehr produktiv und präsent zu sein, was jedoch, wie sie selbst schreibt, zu Lasten ihrer Freizeit jenseits von Arbeit und Blog geht. Freizeit bedeutet für sie: Arbeitszeit oder Zeit zum Bloggen. Für mehr reicht es momentan nicht. Wünsche und Sehnsüchte werden auf später verschoben. Aber wann ist später? Ist man dann gesundheitlich noch fit genug, um das zu machen, was man jahrelang vermisst hat? Kann man ein Bedürfnis nach Ich-Zeit lange zurückhalten, ohne krank zu werden? Das sind alles Fragen, die jeder individuell für sich beantworten muss. Und man sollte Verständnis für jemanden aufbringen, bei dem es anders ist, weil die Voraussetzungen eben ganz andere sind. Manche empfinden Zeit mit der Familie als Freizeit, manche brauchen das Alleinsein, andere wollen ihren Hobbies nachgehen und manche haben gar kein ausgeprägtes Bedürfnis nach Ich-Zeit oder können das eben problemlos zurückstellen, ohne was zu vermissen. So unterschiedlich sind Menschen, und bei Eltern ist alles noch einen Zacken schwieriger wegen der äußerst begrenzten Zeit und der Mehrfachbelastung.

Wie ist es bei mir? Zusammengefasst: starkes Ich-Zeit-Bedürfnis, Schwierigkeiten abzuschalten, Tendenz zu somatischen Beschwerden bei Nichterfüllung elementarer Bedürfnisse (Alleinsein, Ruhe, Rückzug), kleine, sehr aufmerksamkeitsbedürftige Kinder und keinerlei Entlastung jenseits der Kita. Eine ungünstige, zeitweise explosive Mischung, und ich habe auch nach fast 4 1/2 Jahren Elternseins noch keine zufriedenstellende Lösung gefunden, die auch mein schlechtes Gewissen berücksichtigt. Ignorieren kann ich das Problem nicht, dafür ruft es zu laut, und wenn ich mich zu sehr vernachlässige, werde ich krank und kann nicht für meine Kinder sorgen. Das darf nicht passieren. Allzu sehr zu Lasten meines Mannes kann ich aber meinem Ich-Zeit-Bedürfnis auch nicht nachgehen, sonst bricht er zusammen und das Problem verschiebt sich nur. Ich denke, alle Eltern hadern mit der wenigen Zeit für sich selbst und das ist sicherlich überall ein Streitpunkt, weil sich immer einer benachteiligt fühlt. Manchmal der, der mehr arbeitet, manchmal der, der mehr Zeit mit den Kindern verbringt, und meist der, dessen Freizeitbedürfnis stärker ausgeprägt ist.

Das ist auch ein sehr wichtiger Punkt zwischen den Eltern, der oft genug zu Unzufriedenheit führt. Wer empfindet den Wunsch nach Ich-Zeit stärker, wer kann sich besser zurücknehmen, wer funktioniert besser ohne Pause, wem macht die permanente Präsenz weniger aus? Schwierig zu messen und unmöglich zu vergleichen oder von außen zu beurteilen. Ich denke, dem Elternteil, der ein subjektiv größeres Freizeitbedürfnis hat oder der unter dem Mangel mehr leidet, sollte auch mehr Ich-Zeit ermöglicht werden, da dieser sonst unzufrieden, gereizt oder krank wird. Was aber, wenn es niemanden außer dem Partner gibt, der entlasten könnte? Was, wenn ein riesengroßes schlechtes Gewissen bei jeder abgerungenen Stunde mitschwingt? Was, wenn die Bedürfnisse der Kinder dagegen stehen (beispielsweise, weil ein Kind noch nicht ohne die Mama einschläft)? Es ist eine schwierige Gratwanderung, die man immer wieder auf's Neue austarieren muss.

Nochmal zurück zu mir: ich bin sicherlich diejenige von uns beiden, die ein subjektiv höheres Freizeit- und Freiheitsbedürfnis hat. Ich brauche Pausen und Auszeiten wie die Luft zum Atmen. Ich leide mehr darunter, pausenlos funktionieren zu müssen. Ich werde unruhig und gereizt. Ich habe immer so vieles im Kopf, was ich eigentlich noch machen möchte. Wenn ich eine Perspektive habe, also weiß, dann und dann hast Du regelmäßig mal eine oder zwei Stunden für Dich, dann geht es eigentlich. Dann kann ich das Zusammensein mit den Kindern auch genießen und schätzen. Wenn ich aber auf Dauer nicht zu Dingen komme, die mir wichtig sind (wie das Bloggen beispielsweise), dann frustriert mich das ungemein, macht mich hibbelig und setzt mich unter ungesunde Daueranspannung. Und dann reichen 2 Stunden Freizeit nicht im geringsten aus, um mich wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Das war schon in der Babyzeit des Großen so, und keiner konnte es verstehen.

Ein Patentrezept habe ich noch nicht gefunden. Das Wichtigste ist erst einmal, für sich selbst zu sorgen, d.h. das zu erkennen und einzufordern, was einem gut tut. Dagegen kämpft jedoch das schlechte Gewissen, was bei Mamas meiner Erfahrung nach sowieso stärker ausgeprägt ist. Man ist auch nicht immer stark genug, um für sich einzustehen. Dann ist es Aufgabe des anderen Elternteils, sanft aber eindrücklich an Auszeiten zu erinnern, diese zu ermöglichen oder Unterstützung zu organisieren. Ein schwieriges Unterfangen. Da wir keine Unterstützung haben, bleibt alles an meinem Mann hängen, was mir auch ein ungutes Gefühl gibt. Meine Ich-Zeit geht auf seine Kosten.

Ich habe tatsächlich erst durch die Kinder gemerkt, wie viel Bedürfnis nach Rückzug, Ruhe, Alleinsein ich habe, um zu mir zu kommen und neue Kraft zu tanken. Das Bedürfnis nach einem Ausgleich zu den Kindern wird durch die Arbeit erfüllt. Das Ruhebedürfnis wird nur zu einem sehr geringen Teil der eigentlich benötigten Ration erfüllt. Das ist gefährlich. Oft genug war es erschreckend, welche Auswirkungen es hatte, wenn ich das zu lange vernachlässige. Große Wünsche und Vorhaben habe ich auch erstmal ganz pragmatisch auf eine Zeit verschoben, wenn die Kinder größer sind. Aber auf regelmäßige kleinere Auszeiten muss unbedingt geachtet werden. Für meine seelische Gesundheit und damit ein gutes Mamasein. Ich kann auch mit Freude funktionieren - aber nur mit Pausen!

Dieser Beitrag ist Teil der Blogparade #MeTime von Mama on the Rocks.