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Mittwoch, 14. Dezember 2016

Suchen sich Geschwisterkinder ihre Nischen?

Bekanntlich sind meine Kinder sehr verschieden, in fast allen Aspekten. Ich finde das einerseits herausfordernd, weil man mit beiden sehr unterschiedlich umgehen muss und sie keine unproblematische, harmonische Beziehung miteinander haben. Aber es ist auch toll, bereichernd, entlastend und sehr spannend. Ich vergleiche sie gern, nicht um sie zu bewerten oder auszuspielen, sondern ich beobachte einfach gern ihre Charaktere und ihre sehr unterschiedliche Entwicklung. Wenn ich darüber erzähle, sei es mündlich oder schriftlich, tritt oft die Auffassung zutage, dass Geschwister verschiedene Rollen einnehmen würden, je nachdem, welche Nische in einer Familie schon besetzt sei. So sei deswegen beispielsweise die Kleine überwiegend fröhlich, quirlig, kuschelig, mutig, risikobereit, selbstständig etc., weil der Große all dies eben nicht ist und diese Rolle in unserer Familie noch nicht besetzt gewesen sei. Deshalb habe sie sich ihre Nische gesucht und würde diese nun ausfüllen. Die Charakterzüge, die der Große nicht verkörpert, hätte sie sich sozusagen zueigen gemacht und diese charakterisieren sie nun. Zugegebenermaßen klingt diese These gerade bei so unterschiedlichen Geschwisterkindern sehr plausibel und ich will sie auch nicht komplett bestreiten. Allerdings glaube ich grundsätzlich nicht daran, dass der Charakter von Kindern sich lediglich aus sozialen Rollen und dem Einfluss der Umgebung konstruiert, sondern ich bin absolut überzeugt davon, dass Kinder mit einem ziemlich umfangreichen Grundgerüst von Anlagen zur Welt kommen und sich diese nur bedingt beeinflussen lassen, weder durch die Eltern noch andere äußere Umstände.

Bildquelle: Pixabay

Die immer wieder gern kolportierte These mit den verschiedenen Rollen lässt einige Punkte im Unklaren. Die Frage, woran das erste Kind, der Große, sich denn seinerzeit orientiert habe, wird z.B. nicht beantwortet. Ja, solch eine Theorie impliziert, dass das erste Kind einer Familie mit festen Anlagen, einem geformten Charakter zur Welt gekommen ist, die es dann ausfüllt, alle weiteren Kinder jedoch nur noch ihre Nischen suchen, d.h. keine originäre Prägung haben. Laut dem amerikanischen Psychologen Frank Sulloway orientieren sich die Erstgeborenen gar an den Eltern, weil noch kein Geschwisterkind vorhanden ist. Weiterhin erklärt die These nicht das Vorkommen sehr ähnlicher Geschwisterkinder, die es tatsächlich gibt, bis hin zu einer ähnlichen Gestik und Mimik. Dies würde dann wahrscheinlich so begründet, dass sie sich unbewusst gegenseitig nachahmen. Also das genaue Gegenteil der These mit den verschiedenen Rollen. Oder Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Man kann sich dann das herauspicken, was in dem einen oder anderen Fall gilt. Nicht sehr befriedigend sind solche Auffassungen.

Aber bleiben wir mal bei der These. Der Große wäre demnach also mit seinen festgelegten Wesenszügen auf die Welt gekommen: zurückhaltend, introvertiert, unkuschelig, reizoffen, hochsensibel, autonom, unzufrieden, ehrgeizig, perfektionistisch, vorsichtig, beobachtend, risikovermeidend, reaktionslangsam, veränderungsabgeneigt etc. Die Zweitgeborene, die Kleine, hätte dies nun gesehen, intuitiv gespürt oder im Laufe der Jahre mitbekommen und sich daraufhin die von ihm noch nicht besetzten Nischen gesucht. Deshalb ist sie eher extrovertiert, kuschelig, kooperativ, wandelbar, schnell, einfallsreich, risikobereit, fröhlich, lustig, musikalisch, nicht hochsensibel etc. Das hieße (nach dieser Theorie) im Hinblick auf diese Charakterzüge, dass sie entweder schon im Mutterleib bewusst anders als ihr Bruder geworden ist (wie hat sie das gemacht?) oder dass sie in den Aspekten, in denen sie ihm vielleicht ursprünglich sogar ähnlich war, sich selbst absichtlich zum Gegenteil hin entwickelt hat, weil der Bruder eben so schon ist. Ich glaube das nicht.

Sicher übernimmt sie eher mal die mutige Rolle, wenn der Große zögerlich ist, aber doch deshalb, weil sie von Grund auf unbedarfter, wagemutiger, risikofreudiger ist, weil sie nicht soviel nachdenkt, sondern agiert. Ist sie kuschelig, körperbetont und anschmiegsam, weil der Große das alles nicht ist? Nein, sondern weil ihre Bedürfnisse anders sind und schon von Anfang an anders waren. Ist sie generell (zur Zeit eher nicht) ein kooperatives, auf Harmonie und Zusammenhalt bedachtes Kind, weil der Große nicht so ist? Nein, ihre Veranlagung ist eben so. Ist sie musikalisch, weil der Große es eher nicht ist? Nein, sie hat einfach Musik im Blut. Ist sie ein kleiner Clown, weil der Große sehr ernsthaft ist? Nein, sie ist lustig und übermütig. Und ist sie nach meiner jetzigen Einschätzung nicht hochsensibel, weil der Große es vermutlich ist und sie das Gegenteil besetzen will? Ich glaube kaum, dass man eine so charakteristische Eigenschaft zurückfahren könnte, nur weil das Geschwisterkind sie schon aufweist.

Warum sind dagegen BEIDE Kinder sehr lärmempfindlich, relativ wehleidig, sehr trennungsängstlich, um nur einige Beispiele zu nennen? In den übereinstimmenden Eigenschaften ist ja anscheinend keine Nische besetzt worden, sondern jedes Kind ist eben genau so, wie es von Natur aus ist. Wenn das das Gegenteil des Geschwisterkindes ist, dann wegen der unterschiedlichen Verteilung der biologischen Erbanlagen, sprich der charakterlichen Veranlagung. Sicherlich haben soziale Faktoren wie die Geschwisterposition (Erstgeborener, Sandwichkind, Nesthäkchen), die Familiensituation und überhaupt das Umfeld gewisse Einflüsse darauf, wie stark sich schon existierende Wesenszüge ausprägen oder nicht. Das bestreite ich überhaupt nicht. Bestreiten möchte ich aber die These, Kinder würden verschiedene Rollen einnehmen, nicht weil ihr Charakter so ist, sondern weil sie Nischen suchen und besetzen würden. Das hieße, das zweite Kind wird kein Schreibaby, wenn und weil das erste eines war, oder umgekehrt. Das hieße, es würde keine zwei musikalischen oder künstlerischen Kinder in einer Familie geben. Das hieße, Geschwister wären IMMER völlig unterschiedlich. Dem ist ja nicht so, genauso wenig, wie das erste Kind immer vernünftig und angepasst und das letzte Kind immer das "verwöhnte Nesthäkchen" ist. Ich denke, wir alle kennen Beispiele dafür und dagegen.

Das Besetzen von Nischen diene vor allem dazu, allzu starke Konkurrenz unter Geschwistern zu vermeiden und die begrenzten Ressourcen elterlicher Zuwendung gerecht zu verteilen. Auch dies kann ich aus meiner Erfahrung nicht bestätigen. Meine Kinder konkurrieren trotz ihrer Verschiedenheit sehr heftig um unsere Aufmerksamkeit. Man hat oft nicht den Eindruck, dass sie sich trotz ihrer angeblich verschiedenen Rollen genügend wahrgenommen fühlen. Möglicherweise wäre die Geschwistersituation bei uns sogar entspannter, wenn sie sich ähnlicher wären. Die Geschwisterforschung kommt bisher zu sehr gegensätzlichen Ergebnissen, was die These der Nischen betrifft. Ich denke, jeder, der mehrere Kinder hat, wird seine eigenen Erfahrungen machen. Und obwohl die These, bezogen auf meine Kinder, erstmal plausibel klingt, glaube ich nicht daran, dass sich die Kleine ihre Nischen gesucht hat und deshalb so anders als der Große geworden ist. Denn sie war vom ersten Tag ihres Lebens an anders als er. Sie sucht sich keine Nischen, sondern hat genauso ihren eigenen Charakter, ihre Veranlagung wie der Große. Sie auf eine Nischenbesetzerin zu reduzieren, wird ihr in keinster Weise gerecht. Sie ist der Gegenpart des Großen, ja, aber als eigenes originäres Wesen, nicht als sozial geprägtes Konstrukt. Ich denke, solch eine Auffassung wird keinem Menschen gerecht. Ich jedenfalls möchte mich (das Beispiel hinkt, da ich die Erstgeborene bin) nicht darauf reduzieren lassen, dass mein Charakter so ist, wie er ist, weil der meines Bruders anders war. Ihr?

Was denkt ihr zu dem Thema, welche Erfahrungen habt ihr gemacht? Kennt ihr sehr unterschiedliche oder auch ähnliche Geschwisterkonstellationen? Wie war das bei euch in der Herkunftsfamilie und wie ist es mit euren Kindern? Was hat eurer Meinung nach mehr Einfluss, die biologischen Anlagen oder soziale Einflüsse?

Donnerstag, 19. Mai 2016

Sind Geschwister wirklich immer ein Geschenk?

Immer und immer wieder hört und liest man die Aussage, dass Geschwisterkinder das beste und wertvollste Geschenk sind, das Eltern ihren Kindern machen können. Bei solchen pauschalen Behauptungen, die weder empirisch belegbar sind noch individuelle Voraussetzungen berücksichtigen, zucke ich tendenziell immer zusammen und möchte automatisch Gegenargumente vorbringen. Nun kennt naturgemäß jeder nur diejenige Seite aus eigener Erfahrung, von der man selbst betroffen ist, d.h. ich kenne die Einzelkinderfahrung nicht (außer in meinen ersten beiden Lebensjahren), da ich einen Bruder habe, und ich habe auch selbst zwei Kinder, weiß also nicht, wie es für sie und uns wäre, wenn sie Einzelkinder wären. Es ist reine Spekulation, darüber nachzudenken, ob ein Dasein als Einzel- oder als Geschwisterkind einfacher ist oder ob es einem Kind vielleicht sogar besser gehen würde, wenn es allein geblieben wäre. Dennoch möchte ich dazu mal einige Gedanken niederschreiben.

Es gibt fraglos sehr innige Geschwisterbeziehungen, was ich unglaublich toll und sehr bereichernd finde. Immerhin ist ein Geschwisterkind jemand, der einen mit am längsten und noch einmal ganz anders als die eigenen Eltern kennt. Es gibt aber genauso gut auch viele Menschen, für die der Bruder oder die Schwester eine Person ist wie jeder andere auch, nämlich fremd. Nur durch die Herkunft und das gemeinsame Aufwachsen ist man sich noch lange nicht seelisch nahe oder schwimmt auf einer Wellenlänge. Auch versteht man sich deshalb nicht automatisch blind, kann nicht über die gleichen Dinge lachen und hat nicht unbedingt das Bedürfnis, den Kontakt eng zu halten. Für solch eine Konstellation stimmt aber die oben genannte Aussage keineswegs. Vielleicht wäre sogar in so einem Fall jedes Kind glücklicher gewesen, wenn es allein aufgewachsen wäre. Möglicherweise erinnert man sich überwiegend an Streitereien, Eifersüchteleien, Petzereien, Missgunst, Provokationen, Ungerechtigkeiten, Machtspielchen, wenn man an die gemeinsame Kindheit zurückdenkt, als an verschworene Bande, Loyalität und wortloses Verständnis. Ein Geschwisterkind soll ja im Idealfall ein Komplize, ein Seelenverwandter, ein Lebensbegleiter sein. Der Idealfall bleibt aber in vielen Fällen unerreicht, würde ich vermuten.

Mein Bruder und ich sind sehr verschieden. Wir haben wenige Gemeinsamkeiten, das war schon früher so und hat sich noch mehr manifestiert. Ich glaube, dass wir schon als Kinder in unterschiedlichen Welten lebten und auch später waren uns völlig verschiedene Dinge wichtig. In meiner Erinnerung konnten wir nie viel miteinander anfangen, sondern behinderten uns sogar oft durch unsere Gegensätzlichkeit. Er trieb mich oft genug zur Weißglut und ihn nervten bestimmt genauso viele Aspekte an mir. Ich könnte nicht sagen, dass wir irgendetwas Elementares voneinander gelernt haben. Nicht nur unser Spielverhalten war unterschiedlich, sondern auch unsere ganze Art, die Welt zu entdecken, völlig konträr. Die Pubertät durchlebten wir völlig verschieden und auch später orientierten wir uns in den von uns eingeschlagenen Wegen überhaupt nicht aneinander. Einen besonders engen Geschwisterzusammenhalt hat es nie gegeben, und durch die Entfernung ist der Kontakt mittlerweile auf ein Minimum zusammengeschrumpft. Seit vielen Jahren spielt mein Bruder in meinem Leben kaum eine Rolle, so wie ich in seinem nicht. Hätte mich jemand als Kind gefragt, ob ich meinen Bruder unbedingt brauche, hätte ich vermutlich mit "Nein" geantwortet, er umgekehrt natürlich auch. Er hat mich oft gestört und ich ihn sicherlich auch. Das sind rein sachliche Feststellungen, keiner ist schuld daran, es gab auch keine besonderen Vorkommnisse oder so, sondern es ist eben keine Seelenverwandtschaft da. Für meinen persönlichen Fall würde die Ausgangsbehauptung also schon mal nicht zutreffen.

Nun zu meinen Kindern: auch sie sind sehr verschieden, vielleicht noch extremer als mein Bruder und ich. Ich sehe ihre Charakterzüge und Wesenseigenheiten sehr deutlich. Ich sehe, wie sie zusammen funktionieren, worin sie sich behindern, wie sie sich ergänzen (könnten). Ich sehe, wie die Kleine den Großen anhimmelt, gleichzeitig gegen ihn opponiert und seine Aufmerksamkeit und Zuneigung förmlich erbettelt. Sie möchte von ihm angeleitet werden, sie möchte mit ihm spielen, sie möchte mit ihm zusammenarbeiten und -halten. Sie kennt kein Leben ohne ihn und würde alles für ihn tun. Sie vermisst ihn, wenn er weg ist und begegnet ihm am unvoreingenommsten von uns allen. Sie fühlt mit, wenn er leidet und weint, versucht ihn zu trösten und vermittelt zwischen uns. Sie kann schallend über ihn lachen, wie wir noch nie über ihn gelacht haben. Umgekehrt fühlt sie sich oft von ihm nicht genügend beachtet und einbezogen sowie häufig provoziert und gereizt, und wehrt sich durch lautes Gekreische, was den Großen zwar stört, ihn aber deshalb noch lange nicht dazu bringt, mit den Sticheleien aufzuhören. Ich glaube, dass sie sich oft über ihn ärgert, eifersüchtig ist, seine Reaktionen nicht versteht und unglücklich ist, dass er sie nicht oder nur selten als gleichberechtigte Spielpartnerin wahrnimmt. Und trotzdem hängt sie unglaublich an ihm und braucht ihren Bruder essentiell. (Ich bin wirklich gespannt, wie sich das entwickeln wird, je mehr sie merkt, dass er sie nicht im gleichen Ausmaß benötigt wie sie ihn.)


Umgekehrt sieht es etwas anders aus. Der Große war zwei Jahre lang mit uns allein und schon immer ein sehr aufmerksamkeitsbedürftiges Kind. Er hat sich meist an Erwachsenen oder älteren Kindern orientiert. Mit Babys und kleineren Kindern konnte er nie etwas anfangen, das hat man nicht zuletzt deutlich in der Babyzeit der Kleinen gesehen. Er interessiert sich auch so gut wie gar nicht für alle diese typischen Kinderspiele, die z.B. die Kleine manchmal anstößt. Er spielt eindeutig lieber mit einem von uns Eltern als mit der Kleinen. Ich glaube, dass er sie als Spielpartnerin nicht bräuchte (obwohl sie eine tolle Spielpartnerin, sehr aufnahmefähig und dankbar ist). Was die emotionale Komponente betrifft, ist das schwieriger einzuschätzen. In einer Zeit, als wir noch sehr viel mit ihm haderten und zweifelten, ist sie ihm unvoreingenommen begegnet und hat völlig neue Aspekte aus ihm herausgekitzelt. Beispielsweise wirft er manchmal mit Albernheiten um sich, weil er merkt, dass die Kleine das belustigt. Ihr größter Verdienst ist mit Sicherheit die Tatsache, dass sie ihn Zärtlichkeiten lehrte. Insofern hat ihre Existenz durchaus einen Einfluss auf sein Wesen. Trotzdem denke ich, dass er problemlos ohne sie leben könnte, also als Einzelkind mit uns, und so vielleicht sogar noch zufriedener wäre als jetzt mit den ständigen Scharmützeln und Reibereien. Er benötigt viel Ruhe und direkte, intensive Zuwendung. Das ist oft nicht möglich, wenn die Kleine dabei ist (also fast immer). Ihm fehlt nichts, wenn die Kleine nicht da ist, er vermisst sie nicht. Er hasst es, in Wettstreit zu treten. Genau das fordert die Kleine aber oft ein bzw. es entsteht in einer Geschwisterbeziehung automatisch. Er kann mit jüngeren Kindern nicht viel anfangen. Er ist kein Teamplayer. Es scheint ihn oft nicht zu tangieren, wenn die Kleine weint, und er übernimmt so gut wie nie aktiv die Rolle des tröstenden, unterstützenden großen Bruders. Nach meiner jetzigen Einschätzung würde ich vermuten, dass er sich allein wohler und zufriedener fühlen würde.

Als wichtigstes Argument für den Wert von Geschwisterbeziehungen wird oft genannt, dass Kinder dadurch das Teilen und Frustrationstoleranz lernen. Nun, ich hatte einen Bruder und habe keine Frustrationstoleranz gelernt. Und wenn es um meine Lieblingsspeisen geht, hasse ich es zu teilen:-). Sicherlich spielen da auch andere Aspekte mit hinein, z.B. dass Gefühle in der Kindheit nicht benannt und anerkannt oder die Beweggründe anderer Menschen nicht vermittelt wurden, aber ich will damit nur zeigen, dass die Existenz von Geschwistern keine Garantie für das Erlernen irgendwelcher sozialen oder emotionalen Fähigkeiten ist. Das ist immer noch sehr charakterabhängig. Sonst müssten Geschwister ja identische Kompetenzen vorweisen können. Außerdem ist das alles immer eine Frage der Balance: wenn eine (Geschwister-)Beziehung so schwierig ist, dass sie überwiegend aus Frustration besteht und sich die Kinder mehr in ihrer Entwicklung behindern als fördern, dann wäre es vielleicht sogar besser gewesen, es gäbe keinen Bruder/ keine Schwester. Aber wie gesagt, das ist alles Spekulation.

Für uns als Eltern ist das Geschwisterdasein unserer Kinder nur in den seltensten Fällen eine Entlastung oder Erleichterung. Weder spielen sie lange und intensiv miteinander noch fangen sie sich emotional gegenseitig auf. Vielleicht ändert sich das noch, aber bisher war die Beziehung zwischen den beiden ziemlich konfliktreich und aufreibend. Das wiegen die schönen, inniglichen, rührenden Momente auch nicht auf. Das mag sicherlich in anderen Familien ganz anders sein. Auf manchen gemeinsamen Bildern sehen sie so zuckersüß und einträchtig aus und man kann sich nicht vorstellen, dass sie sich permanent in der Wolle haben, übertrumpfen und provozieren. Man kann auch gar nicht sagen, dass es eher an dem einen oder eher an der anderen liegt. Beide sind extreme Sturköpfe, wenig kompromissbereit, sehr vehement und fordernd. Die Kleine ist nicht nachtragend, schnell beruhigbar und sehr liebesbedürftig. Der Große ist in vielem das Gegenteil, hat jedoch die größere Entwicklung gemacht, wenn man seine Voraussetzungen kennt. Sie könnten sich meiner Meinung nach wunderbar ergänzen, indem beispielsweise die Kleine ihn mit ihrem Draufgängertum etwas ansteckt und er sie mit seiner bedachten Art zurückpfeift. Wenn er sie mehr teilhaben ließe, müsste sie nicht so oft fordern und quengeln. Wenn sie ihn wiederum mehr in Ruhe lassen würde, wäre er weniger gereizt. Von ihren Wesenszügen her könnten sie relativ gut miteinander funktionieren, indem sie einander ausgleichen. Ich versuche das auch immer wieder zu vermitteln. Aber es ist oft schwierig. Und schade, dass der eine Teil der Konstellation (der Große) den anderen Teil (die Kleine) weniger zu brauchen scheint als umgekehrt. Sie im Gegenteil oft als Störfaktor zu empfinden scheint. Er ist einfach ein sehr unabhängiger Charakter, der generell nur wenige andere Menschen braucht. Ich kenne übrigens noch ein Beispiel von schon etwas älteren Kindern, wo ein ähnliches Phänomen vorherrscht.

Mir ist bewusst, dass dieser Text viel Gegenwind hervorrufen wird und vielleicht als Affront von Menschen empfunden wird, die ein Geschwisterkind verloren haben und darunter immer noch leiden. Letzteres tut mir sehr leid und ich verstehe, dass man sich verloren und unvollständig ohne sein Geschwister fühlen kann. Das wäre dann für mich der Prototyp des oben geschilderten Idealfalles einer Geschwisterbeziehung, nämlich die seelenverwandten Geschwister. Ich denke aber, das gibt es sehr selten. Meistens wächst man miteinander auf, lebt zusammen und arrangiert sich. Man sollte aber auch darüber sprechen können, dass ein Geschwisterkind für bestimmte Charaktere nicht nur nicht notwendig, sondern vielleicht sogar störend ist. So empfinde ich es manchmal, wenn ich meinen Großen betrachte. Vielleicht auch, weil ich es selbst ähnlich erlebte. Ich werde das weiter beobachten.

Wie ist das bei euch, habt ihr eine tolle Beziehung zu euren Geschwistern oder spielen sie keine Rolle in eurem Leben? Mich interessiert besonders, ob es gleichgeschlechtliche Geschwisterbeziehungen sind oder nicht. Liegt es an der Junge-Mädchen-Konstellation, wenn es eher konfliktreich ist? Wie schätzt ihr eure Kinder ein, brauchen sie ihr Geschwisterkind oder eher nicht?

Samstag, 13. Februar 2016

Geschwistervergleich (Blogparade #Einzelstuecke)

Als mein Großer in seiner zweiten Kita eingewöhnt war, fand bald darauf der erste Elternabend statt und wir durften uns die für die Kinder angelegten Mappen anschauen. Darin enthalten waren die Fragebögen, die wir vor der Eingewöhnung ausfüllen mussten, ebenso wie ein Blatt, auf dem das Wesen des Kindes beschrieben werden sollte. Bei mir stand natürlich jede Menge Text über den Großen. Ich lugte zur Sitznachbarin und sah, was sie über ihren Sohn geschrieben hatte: "Er ist lieb und er mag Blumen." Kein Witz! Ich dachte, das kann doch nicht sein, dass jemand nicht mehr über den Charakter seines Kindes berichten kann als das. Ich schreibe halbe Romane und sie nur diese 7 Worte. Sind manche Kinder charakterlich so "unscheinbar" oder die Eltern so oberflächlich? Wie auch immer, über meinen Großen konnte ich schon immer viel erzählen. Noch spannender ist das geworden, seit die Kleine als "Vergleichsobjekt" dazugekommen ist. Dass sie von Geburt an anders als er war, ist eine Tatsache. Dass sich die Unterschiede so manifestiert haben und deutlich zu erkennen sind, ist für mich eine wunderbare Bestätigung meiner Überzeugung, dass Kinder nicht als unbeschriebene, zu formende Blätter auf die Welt kommen, sondern schon die wesentlichen Grundzüge ihres Charakters mitbringen und es deshalb sinnlos ist, die "leeren Gefäße" füllen zu wollen, sondern es die Aufgabe von uns Eltern ist, diese Wesen in ihren Eigenheiten zu erkennen und zu begleiten.

Die charakterliche Unterschiedlichkeit meiner Kinder bei nahezu identischen Voraussetzungen ist  eines meiner absoluten Lieblingsthemen. Deshalb freue ich mich, bei einer Blogparade von Mutter & Söhnchen zu diesem Thema mitzumachen. Da mein Großer fast 5 und meine Kleine 2 3/4 Jahre alt ist, haben sie naturgemäß schon einige Veränderungen und Wandlungen durchgemacht. Ich teile den Text deshalb in die wichtigsten Phasen auf, so dass ihre Unterschiedlichkeit im jeweiligen Lebensabschnitt deutlicher wird.


Babyzeit:

In den ersten Lebensmonaten waren die Unterschiede beider Kinder mit Sicherheit am gravierendsten. Der Große hat sich von Anfang an nicht ablegen lassen, hat viel geschrien, wenig und kurz geschlafen, war sehr schreckhaft und lärmempfindlich, sehr unzufrieden, einerseits nähebedürftig, andererseits total unkuschelig. Er litt unter Reizüberflutung und war gleichzeitig ein neugieriges, alles aufsaugendes Kind. Er brauchte eigentlich viel Schlaf und konnte aber weder selbst abschalten und in den Schlaf finden, noch lange genug schlafen, um sich zu erholen. Sein ganzes System war unglaublich störanfällig und von uns abhängig. Er musste von außen, von uns reguliert werden, da er in sich völlig labil und unausgereift war. Bis wir das halbwegs verstanden hatten, verging viel Zeit und wir waren alle sehr unglücklich. Als wir einen halbwegs festen Rhythmus entwickelt hatten und und uns auf seine intensiven Bedürfnisse eingestellt hatten, lief es besser. Jegliche Planänderungen, Umstellungen oder Überforderungen warfen ihn aber noch sehr lange, eigentlich bis heute, aus der Bahn. Er kämpfte verbissen um jeden motorischen Fortschritt und war sehr ungeduldig. Er fremdelte sehr früh und sein Trennungsschmerz war unvorstellbar und für mich oft unerträglich groß.

Die Kleine war die ersten Monate ein traumhaft pflegeleichtes Baby, schlief viel, trank nur kurz, schrie kaum, war kuschelig und leicht zufriedenzustellen. Wenn sie bei Mama war oder auf Mamas Bett lag, war ihre kleine Welt in Ordnung. Sie ließ sich problemlos ablegen, schlief anfangs ganz einfach zuhause, im Auto und beim Tragen ein und ließ uns viel Raum und Zeit zum Durchatmen und Ankommen. Sie konnte liegen, im Gegensatz zum Großen, der immer getragen wurde. Trotzdem habe ich sie auch viel und gern getragen, weil es schön war und ich wusste, ich kann sie jederzeit ablegen. Das ist eine ganz andere Voraussetzung als ein erzwungenes Tragen. Stressig waren immer die Zeiten, wenn beide Kinder anwesend waren, weil ihre Ruhe dann auch gestört war und beide Kinder Zuwendung brauchten. An den Wochenenden, wenn der Bruder zuhause war, merkte man deutlich, dass sie unruhiger und fordernder war. Ihre schlechten Phasen fielen sehr auf, weil der Kontrast zu den meist guten, einfachen Zeiten da war. Mit genau einem halben Jahr wurde sie wacher und agiler. Ab dann schlief sie leider nur noch sehr kurze Phasen (halbe Stunde) und war entsprechend unausgeglichen und launisch. Dafür machte sie ab dann ungeheure motorische und kognitive Fortschritte und holte rasant auf. Im Endeffekt war sie in allen Entwicklungsschritten nur ca. 4 Wochen hinter dem Großen im gleichen Alter, nur dass sie eben - im Unterschied zu ihm - das erste halbe Jahr verschlafen hatte. Sie fing erst mit 11 Monaten an zu fremdeln. Das war dummerweise kurz vor ihrem Kitastart. Sie ist als Kleinkind anhänglicher als als Baby geworden.

Kleinkindzeit:

Die Kita-Eingewöhnungen waren bei beiden Kindern nicht leicht. Sie litten sehr unter der Trennung. Beim Großen war es eine mehrmonatige Katastrophe, die erst nach einem Kitawechsel ein halbwegs erfolgreiches Ende fand. Bei der Kleinen war es oberflächlich gesehen eine schnelle Eingewöhnung, aber sie brauchte auch danach noch mehrere Monate, bis sie richtig angekommen war.
Beide Kinder waren schlechte Esser und wurden lange gestillt. Sprachlich haben sie schnelle Fortschritte gemacht, die Kleine noch schneller als der Große, weil sie eine unheimlich rasante Auffassungsgabe hat. Ihre kognitiven Fähigkeiten, ihre Kombinationsgabe, ihr Reaktionsvermögen sind absolut erstaunlich. Sie ist "schnell im Kopf". Der Große ist ein Kind, das lange beobachtet, nachdenkt und erst dann - wenn überhaupt - handelt. Stellt man eine Frage, bekommt man eine Antwort - von der Kleinen. Bittet man um einen Gefallen, erfüllt ihn - die Kleine. Macht man einen Vorschlag, setzt ihn um - die Kleine. Der Große ist sehr statisch in seinem Wesen, die Kleine quirlig und wandelbar. Sie ist risikofreudiger und unvorsichtiger und hatte deutlich mehr kleinere Unfälle als er. Der Große war nie ein Kind, das weggelaufen ist oder im Straßenverkehr unbedacht war. Die Kleine ist da wesentlich unzuverlässiger. Das erfordert von uns ein Umdenken, da wir es ja anders gewöhnt waren. Der Große muss zu allem motiviert und angeschoben werden. Und vor allem muss man ihn vorbereiten auf das, was kommt. Die Kleine hört etwas und will es sofort in die Tat umsetzen. Sie muss nicht angeschoben, sondern ständig gebremst werden. Eine wahre Herausforderung für uns Eltern, solch unterschiedlichen Kindern gerecht zu werden und jedes in seinem Wesen zu erkennen und zu unterstützen.

Der wichtigste Unterschied zwischen beiden Kleinkindern ist sicherlich die Fähigkeit zum Verbalisieren der Gedanken und Gefühle. Während der Große seine Wut und Unzufriedenheit immer vor allem körperlich, auch auto-aggressiv zeigte und in den schlimmsten Momenten wirklich zuhause randalierte, kann die Kleine bestimmt schon seit einem halben Jahr (sie ist 2 3/4) sagen: "Ich bin sauer!", wenn ihr etwas nicht passt. Oder "ich bin traurig", wenn sie sich von mir trennen musst. Oder "ich hab dich vermisst", wenn wir uns erst abends sehen. Sie konnte auch als Baby schon viel besser und deutlicher zu verstehen geben, was sie wollte, und bemühte sich immer sehr lange, bis wir sie verstanden hatten. Der Große ist immer sofort ausgerastet, wenn etwas nicht nach Plan lief. Die Kleine ist da viel "sozialer" und weiß, dass sie nicht gegen, sondern mit Verbündeten ans Ziel kommt. Diese Devise verfolgt sie auch bei allem, was sie erreichen will (und erreicht dadurch oft mehr als der Große). Sie sagt "ich will was essen" oder holt sich selbst was, wenn sie Hunger hat. Der Große bekommt schlechte Laune, wenn er hungrig ist, verbalisiert aber weder sein Hungergefühl noch versucht er aktiv, den Missstand zu beseitigen. Allerdings macht er dadurch auch weniger Unfug als die Kleine :-). Mit der Kleinen ist das Leben gefährlicher, da sie unberechenbarer und risikobereiter ist, aber auch einfacher, weil sie entweder ihr Schicksal selbst in die Hand nimmt oder uns deutlich vermittelt, was sie möchte.

Autonomiephase:

Die sogenannte "Trotzphase" zeigt ebenso wie die Babyzeit ganz deutlich den Unterschied der beiden Charaktere. Einen vorläufigen Zwischenstand habe ich letztes Jahr beschrieben. Er gilt im Prinzip immer noch. Der Große brachte uns in dieser Zeit (ca. 1 1/4 bis 3 1/2 Jahre) nicht nur an, sondern über unsere Grenzen. Wir waren so hilflos, dass wir eine Kitapsychologin einschalteten. Er konnte sich so schlecht verständlich machen und war mit sich, uns und der Welt völlig uneins. Er war kompromisslos, nicht manipulierbar, unbestechlich, nicht beeinflussbar, nicht ablenkbar, unglaublich heftig in seinen Reaktionen und unempfänglich für Zuwendung. Er kam nie von selbst wieder zu uns und man konnte ihn kaum emotional einfangen. Ich glaube, am wütendsten wurde er immer, wenn wir nicht verstanden, was er wollte. Mit der heutigen Erfahrung, besonders was das Spiegeln von Emotionen betrifft, hätte ich sicherlich oft besser reagieren können. So aber war er ein wandelnder Vulkan.

Die Kleine ist auch energisch und vehement, durchsetzungsstark und kämpferisch. Aber mit ihr kann man meist verhandeln, einen Kompromiss erzielen, ablenken oder auch bestechen. Viele Ärgernisse kann man schon beseitigen, bevor sie explodiert, weil sie sich eben besser verständlich machen kann. Sie kommt emotional meist von selbst zurück und fordert wieder Zärtlichkeit ein, wenn sie sich beruhigt hat. Das macht es erträglicher und bringt uns danach wieder zueinander. Man fühlt sich emotional nicht so ausgebrannt. Dazu kommt, dass wir Eltern jetzt mehr Erfahrung darin haben, was Kleinkinder so alles ärgert und nicht mehr völlig hilflos daneben stehen. Sie hat insgesamt viel weniger Wutanfälle, weniger heftig, weniger körperlich, weniger verzweifelt, weniger unzugänglich, und vor allem: bei ihr gibt es immer hinterher eine körperliche Versöhnung. Ich empfinde ihre Autonomiephase als deutlich leichter als beim Großen.

Zusammenfassend kann ich sagen, dass die beiden Geschwister sich mit ihren unterschiedlichen Charakteren jetzt wirklich zusammengerauft haben. Die Kleine liebt den Großen heiß und innig. Sie fragt als erstes morgens nach ihm, ebenso, wenn sie kommt und er ist nicht da. Sie vermisst ihn bei Abwesenheit unglaublich. Der Große ist etwas unabhängiger von ihr, aber auch er hat mittlerweile erkannt, was er an ihr hat und lernt viel von ihr. Sie war lange Zeit die Einzige, die ihn kuscheln und liebkosen durfte. Natürlich streiten sie auch oft und sind sehr eifersüchtig aufeinander. Beide sind im Grunde Sturköpfe und unnachgiebig. Da ist es oft schwer zu vermitteln. Aber es ist jetzt schon viel ruhiger geworden als noch vor einem Jahr. Sicherlich mussten sie sich auch erst kennenlernen. Ich finde ja, sie ergänzen sich perfekt und können viel voneinander profitieren: der Große als vorsichtiger, zurückhaltender, bedachtsamer, von Emotionen gebeutelter Junge, sehr entscheidungsscheu und eher langsam, dafür aber zuverlässig und keinen Unfug treibend, die Kleine als quirliges, vorpreschendes, innerlich zufriedenes, initiativ- und ideenreiches Mädchen, oft etwas zu übermütig mit den entsprechenden Auswirkungen, aber immer aktiv und lösungsorientiert.

Man könnte noch viel mehr schreiben, über Essens- und Schlafensunterschiede, über ihre Interessen und Leidenschaften, über ihr soziales Verhalten etc. Aber ich denke, es ist deutlich geworden - und ich schreibe ja auch immer wieder darüber - , dass meine beiden Kinder von Anfang an grundverschieden waren. Das ist spannend, das ist entlastend, das ist bereichernd und herausfordernd - und nie langweilig :-)

Und hier noch ein paar Texte, in denen ich auch schon über das Thema "Unterschiedlichkeit" geschrieben habe:
http://fruehlingskindermama.blogspot.de/2015/03/wer-hat-was-von-wem-blogparade-dubistich.html
http://fruehlingskindermama.blogspot.de/2014/12/verschiedenheit.html
http://fruehlingskindermama.blogspot.de/2015/08/liebe-fuhlt-sich-sehr-verschieden-an.html
http://fruehlingskindermama.blogspot.de/2015/07/wenn-die-kleine-jetzt-die-groe-wurde.html
http://fruehlingskindermama.blogspot.de/2014/12/ode-die-kleine.html

Ich habe den Text nachträglich auch bei der Blogparade #gleichunddochunterschiedlich von Familie Motte verlinkt.

Samstag, 17. Oktober 2015

Krankheitslektionen

Das ist jetzt das dritte Wochenende in Folge, dass wir hier ein Krankenlazarett sind. Diesmal hat es die Kleine mit Magen-Darm erwischt. Gestern, am Freitag, war ich am Nachmittag nach der Arbeit im Kino, was ich eigentlich schon am letzten Freitag vorhatte, was dann aber bekanntlich wegen Magen-Darm und Krankenhausbesuch des Großen ausfiel. Abends kann ich ja nicht ins Kino gehen, weil die Kleine bisher nur von mir ins Bett gebracht werden will. Also nachmittags. Ich raffte mich trotz unfitten Zustandes (Halsschmerzen, Schlappheit) auf und es hat sich gelohnt. Gesehen habe ich den Film "Er ist wieder da", dessen Dreharbeiten wir seinerzeit zum Teil von unserem Büro aus beobachten konnten. Außerdem war ich so zum Ausruhen gezwungen, das ist mittlerweile ein nicht zu verachtender Plusfaktor am Kino. Mein letzter Kinobesuch war wirklich Ewigkeiten her und da freitags mein Mann die Kinder nach der Kita bespaßt, passte das.

Ich kam zufrieden und beschwingt nach Hause und hoffte, dass mal ein unproblematisches und ereignisreicheres Wochenende vor uns liegen würde, als es in den letzten Wochen der Fall war. Naja. Kaum 10 Minuten vor meiner Rückkehr hatte sich die Kleine zum ersten Mal übergeben. Jackpot! Das ging dann noch mehrmals so, bis ich sie ins Bett brachte. Sie war aber recht gefasst und ruhig und knabberte und trank sogar zwischen den Brechanfällen. Die Nacht war erwartungsgemäß unruhig, bis 3 Uhr musste ich mehrfach Bettzeug und Handtücher wechseln, danach schliefen wir 4 Stunden ohne Zwischenfälle. Am Morgen dachte ich noch, das Schlimmste sei nun überstanden, aber das Erbrechen ging bis zum Mittag weiter. Zum Glück schlief bzw. döste sie mehrfach auf dem Sofa, auf mir und an Papa gekuschelt. Das war das Beste, was sie tun konnte, und hat uns allen den Tag sehr erleichtert.

Auf was ich eigentlich hinaus will: so unterschiedlich wie meine Kinder in ihren Wesenszügen und Denkstrukturen sind, so unterschiedlich sind sie auch als Kranke. Die Kleine, das hat man heute wieder gemerkt, ist (meist) eine stille, zurückgezogene, anschmiegsame, Halt und Körperkontakt suchende und kuschelige Patientin, die sich in ihr Los "fügt", wenn sie ihre wichtigste Bezugsperson um sich hat, die sich um sie kümmert. Will getragen werden und auf/an mir liegen, lässt sich anfassen und umsorgen. Begehrt nicht auf, sondern leidet still und vertrauensvoll. Sie konnte heute sogar den mehrmaligen Schlaf zulassen, was ich von beiden Kindern bei Krankheiten eigentlich (leider) nicht kenne.

Ganz anders der Große: so, wie er mit sich, uns und seinem Leben ringt, so kämpft er auch als Kranker, hadert, begehrt auf, wehrt ab, ist super unzufrieden und unleidlich und verwendet seine minimal verbliebenen Kräfte tatsächlich lieber auf destruktives Verhalten und Gegenwehr als auf seine eigene Genesung. Er tobt, schreit, wehrt Körperkontakt ab und quält sich sichtlich. Das war schon immer bei ihm so und macht es uns sehr schwer, ihn zu versorgen, wenn er es am Nötigsten braucht. Wenn ihr meinen Blog kennt, wird es euch nicht überraschen, wenn ich sage, dass mein Großer mir auch darin sehr ähnlich ist. Ich bin (bzw. war früher) eine schreckliche Kranke, mir konnte man nichts recht machen, ich war todunglücklich und haderte mit meinem Schicksal. Genauso ist es bei meinem Großen auch. Und trotzdem weiß ich nicht, wie ich damit umgehen soll, was ich machen soll. Er will einerseits seine Ruhe, wenn er krank ist, er tobt, schreit und hält sich die Ohren zu, wenn es ihm zu unruhig ist. Andererseits will er aber auch nicht alleine bleiben. Man weiß also nicht, soll man bleiben oder gehen. Er will nicht kuscheln, er will keine Nähe, er will nicht umsorgt werden, er will selbst agieren. Er hasst es, wenn er nicht sein eigener Herr, in dem Falle Herr seines Körpers, ist. Das ging mir immer ganz genauso. Vielleicht ist auch das ein Charakteristikum eines autonomen Kindes? Wie sind eure autonomen Kinder als Patienten, hadernd oder schicksalsergeben? Er hat nie, weder als Baby noch heute, mehr geschlafen, wenn er krank war, sondern meist deutlich weniger, so dass alles noch kräftezehrender war. Ich fühle mich regelrecht ausgesaugt nach Krankheitstagen mit ihm. Der Tag heute mit der kranken Kleinen war dagegen bis auf die kurze Nacht nicht extrem kräftezehrend (ich war ja auch nicht allein). Man kann sie besser auffangen, stützen und sie lässt das auch zu. Der Große nicht.

Man sieht also, die Unterschiedlichkeit meiner Kinder zieht sich wirklich durch alle Bereiche des Lebens und macht es für uns entsprechend schwerer oder leichter. Am Beispiel ihrer beiden kurz aufeinanderfolgenden Krankheiten hat man wieder einmal deutlich gesehen, wie jedes Kind tickt. Doch warum kann ich, obwohl ich den Großen verstehe und ihm auch darin ähnlich bin, ihn nicht oder schlechter unterstützen als die Kleine? Ich selbst konnte Hilfe lange Zeit schlecht zulassen und so ist es bei ihm auch. Wie kann man diesen Kreislauf unterbrechen, wie kann ich ihm nahebringen, dass er sich im übertragenen Sinne an uns lehnen muss, damit es ihm besser geht? Er will das aber nicht, er sträubt sich mit Leibeskräften gegen alles, wirklich alles. Da ist alles, was man tut, nicht nur anstrengend, sondern auch gefühlt irgendwie nutzlos. Es ändert nichts an seinem subjektiven Befinden, ob sich jemand liebevoll um ihn kümmert. Die Crux an der Sache ist: das ist bei mir genauso. Nur bin ich erwachsen, vernünftig und selbstständig. Er ist dagegen auf uns angewiesen. Für ihn sowieso schon schwer zu ertragen, und bei Krankheit noch schwerer. Wie kann man so etwas "aufweichen"? Was macht ihr, wenn eure kranken Kinder sich gegen eure Fürsorge wehren?

Am Nachmittag, als es der Kleinen besser ging und sie mit dem Papa allein bleiben konnte, besuchte ich mit dem Großen ein Kindertheater in unserer Nähe, damit er wenigstens noch etwas von dem Tag hat, und wir sahen uns zu zweit das Puppenspiel "Der Zauberer von Oz" an. Nun hoffen wir, dass endlich mal Licht am Horizont auftaucht und wir alle wieder etwas stabiler werden als in den letzten Wochen. Es zehrt...

Montag, 16. März 2015

Wer hat was von wem? (Blogparade #Dubistich)

Das Thema der aktuellen Blogparade "Was wir unseren Kindern vererben" von Mama on the Rocks ist eines meiner Lieblingsthemen, über das ich stundenlang philosophieren könnte. Deshalb mache ich natürlich gern mit und verschriftliche mal einige Gedanken. Achtung: es wird lang!

Zuerst kurz zur Optik:
Auf dem Ultraschallbild der Feindiagnostik sah der Große ziemlich zerknautscht aus und hatte einige Ähnlichkeiten mit meiner mittlerweile verstorbenen Schwiegermutter (volle Lippen, Knollennase). Zum Glück veränderte er sich rechtzeitig bis zur Geburt noch und sah dann ganz anders aus. Im Vergleich zwischen uns Eltern wurde meist eher eine Ähnlichkeit mit mir festgestellt, aber es war eigentlich eher eine Tendenz als eine fundierte Aussage. Jetzt mit 4 Jahren ist er ein unheimlich niedlicher Junge mit ebenmäßigen, weichen Gesichtszügen und ähnelt keinem von uns beiden so wirklich deutlich. Die Mund-Kinn-Partie sieht meinem Mann und dessen Vater ähnlicher, aber das Gesamtpaket ist völlig originell. Bis ca. vor 2 Jahren waren seine Haare mehr oder weniger rotblond, was väterlicherseits aus der Familie meines Mannes stammt. Davon ist im Moment nichts mehr zu erkennen. Er bekommt aber schnell Sommersprossen und ich bin gespannt, ob er später mal einen rötlichen Bart haben wird. Aktuell ist er dunkelblond und ein wunderhübscher Junge.

Die Kleine hatte auf dem Feindiagnostik-Bild die schmalen Lippen meines Mannes und kam dann mit vollen Lippen auf die Welt;). Als ich sie das erste Mal sah, hatte sie pechschwarze Haare und ich dachte wortwörtlich: "Oh Gott, meine Schwiegermutter!", da diese die Einzige in unseren beiden Familien war, die richtig schwarze Haare hatte. Die Haare der Kleinen wurden aber im Laufe der ersten Wochen immer heller und sind jetzt aktuell dunkelblond. Sie hat wunderschönes, halblanges, glattes, volles und glänzendes Haar und ist ebenfalls optisch ein total niedliches Kind. Bei ihr war es von Geburt bis heute viel deutlicher, dass sie mir sehr ähnlich sieht. Wie sie als Baby manchmal auf ihrer Krabbeldecke lag, sah genauso aus wie die Fotos von mir als Baby. Meine Eltern fühlten sich teilweise 38 Jahre zurückversetzt, so stark war die Ähnlichkeit. Sie ist im Gesicht etwas rundlicher als der Große, aber das kann auch noch am "Babyspeck" liegen.

Keines meiner Kinder hat übrigens meine braunen Augen geerbt. Der Große hat grün-graublaue hellere Augen und die Kleine dunklere blau-graue Augen wie mein Vater. Dafür haben sie beide meine hohe "Denkerstirn" (hihi) geerbt. Beide haben wunderschöne Haut und tolle Proportionen. Also, wie man merkt, finde ich meine Kinder wirklich sehr hübsch und komme ins Schwärmen.

Nun zum Wesen:
Leider gibt es in beiden Herkunftsfamilien keine zuverlässige Quelle, was die Charaktereinschätzung von uns Eltern als Babys und Kleinkinder betrifft. Meine Schwiegermutter lebt nicht mehr, meinen betagten Schwiegervater kann man für solche Informationen nicht heranziehen, und meine eigenen Eltern leiden unter ausgeprägter selektiver Erinnerung, d.h. können (oder wollen) sich nicht an die schwierigen/ anstrengenden Aspekte des Kinderhabens erinnern, ebensowenig an bestimmte Charaktereigenschaften, die schon als Kleinkinder bei mir und meinem Bruder erkennbar gewesen sein müssen. Schade, dass man sich also nicht mit den einzigen Personen, die das vielleicht wirklich beurteilen könnten, über die Wesensunterschiede und -Ähnlichkeiten meiner Kinder zu uns Eltern austauschen kann.

Dass ich meine beiden Kinder als von Grund auf unterschiedlich empfinde, und zwar von Geburt an, wird den treuen Lesern bekannt sein. Ich habe schon mehrfach über dieses Thema geschrieben, z.B. in den Artikeln Verschiedenheit, DefiziteOde an die Kleine und Schönes und Anstrengendes am Mehrfach-Elterndasein. Ich kann einige Aspekte nochmal aus einer anderen Perspektive beleuchten.

Vielleicht zuerst mal etwas zur Kleinen: sie ist ein fast durchweg fröhliches, witziges, positives, anschmiegsames, einfühlsames, kuscheliges Wesen, dabei sehr bewusst und willensstark, aber trotzdem kooperativ, hat eine unglaublich schnelle Auffassungsgabe und Umsetzungsfähigkeit, ist kombinationsstark, deutlich in ihren Äußerungen von Behagen und Missfallen, sehr empathisch, sehr zugewandt und sich nach außen öffnend. Dabei trotzdem vorsichtig/ zurückhaltend bei Fremden oder in unbekannten Situationen, aber schnell Sicherheit gewinnend durch rasantes Abchecken der Umstände. In den Aspekten, die die Fröhlichkeit und Extrovertiertheit betreffen, ähnelt sie keinem von uns. Wir sind beide zurückhaltend, ruhig und eindeutig introvertiert. Ich kann fröhlich und gesellig sein in angenehmen Situationen und mit Menschen, mit denen ich mich wohlfühle, würde mich aber nicht grundsätzlich als fröhlichen Menschen bezeichnen. Dafür grüble und hadere ich zuviel. Mein Mann braucht sehr lange, bis er sich Menschen öffnet. Er sagt übrigens selbst, dass er so gut wie nichts von sich in der Kleinen wiedererkennt. Sie sei für ihn wie ein "Wesen von einem anderen Stern", und das meint er ganz und gar positiv.

Die schnelle Auffassungs- und Kombinationsgabe dagegen hat sie definitiv von mir, ebenso ihr Bestreben nach Effizienz und Umsetzung. Sie ist eine Macherin. Auch die Empathie und die Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinversetzen zu können (sie tröstet von sich aus, was der Große bis heute nicht macht), stammt, glaube ich, von mir. Ich denke und fühle immer für andere mit, was oft eine große Gabe, manchmal auch eine Belastung ist. Für die Kleine scheint es bis jetzt nicht belastend zu sein und wir werden schauen, wie sich das weiter entwickelt.

Ganz wunderbar ist ihre Musikalität und Bücherliebe. Die Musikalität an sich hat sie von uns beiden, ihr tolles Rhythmusgefühl und ihre Textsicherheit wohl von mir;), ebenso wie die Bücherliebe. Ich habe viele Jahre als Buchhändlerin gearbeitet und liebe Bücher über alles. Ansonsten ist noch nicht wirklich erkennbar, womit sie sich in Zukunft vielleicht intensiver beschäftigen wird. Sie interessiert sich eindeutig mehr für Tiere als ihr Bruder, hat ein super Namensgedächtnis wie ich und ist ein kleines waghalsiges, umtriebiges, forsches, neugieriges und freundliches Menschlein.

Was ich ganz toll an ihr finde und was außer ihr keiner in unserer Familie, auch in unseren Herkunftsfamilien nicht, so gut beherrscht, ist, dass sie ganz deutlich äußert, nicht nur dass ihr etwas nicht passt (darin ist vor allem der Große überragend), sondern auch anzeigt, was ihr nicht passt. Sie machte sich schon als Baby so gut verständlich, dass es im Vergleich zum Großen meist ein Leichtes war, ihre Bedürfnisse zu erfüllen. Wie wertvoll dies im Zusammenleben gerade mit so mit willensstarken Kindern ist, merken wir täglich im Vergleich zum Großen. Und wenn dann das Ärgernis aus der Welt geschafft ist, kooperiert sie sofort und problemlos und ist glücklich. Sie ist also überhaupt nicht nachtragend und kann schnell wieder zum Alltagsgeschäft übergehen. Das kann beispielsweise mein Mann nur sehr schwer, ich schon eher, wenn kleinere Ärgernisse schnell aus der Welt geschafft werden. Aber sie übertrifft uns alle darin und ich hoffe sehr, dass der Große sukzessive von ihr lernt, dass man Bedürfnisse deutlich äußern muss, um etwas zu erreichen, und dann nach Erreichen auch ganz normal weitermachen kann.

Zusammenfassend würde ich über die Kleine sagen, dass sie zwar in ihrer Fröhlichkeit, Unbeschwertheit und Extrovertiertheit keinem von uns beiden ähnelt, aber in "alltagspraktischen" Dingen vieles von mir hat. Sie ist motorisch, sprachlich und emotional wunderbar entwickelt und erreicht vieles "mit links". Zumindest wirkt es so. (Das hat mich bei mir oft geärgert, dass es für Außenstehende immer so wirkte, als würde ich alles "mit links" schaffen. Das war nicht der Fall.) Aber sie und ich sind Kämpferinnen und wir strengen uns an, unsere Ziele zu erreichen. Mal sehen, ob uns diese Ähnlichkeiten später durch die Pubertät retten werden;)

Der Große ist bekanntlich ein schwierigerer Fall und eine ganz merkwürdige Mischung aus verschiedenen zusammengewürfelten Wesenseigenheiten, die es weder ihm selbst noch uns als Eltern einfach macht, mit ihm klarzukommen. Er war ein Schreibaby, was wohl weder mein Mann noch ich waren. Sowas hätten die Eltern nicht vergessen, sowas kann man nicht vergessen! In meiner Familie gibt es allerdings 2 bekannte Fälle von männlichen Babys, die sehr viel geschrien und schlecht geschlafen haben. Dass wir den Großen auch jetzt als Kleinkind trotz seiner immensen positiven Entwicklung weiterhin als sehr anstrengend empfinden, hängt mit verschiedenen Komponenten zusammen: seiner wahrscheinlichen Hochsensibilität und dass er gleichzeitig ein autonomes Kind ist, seiner grundlegenden Unzufriedenheit, seinem Jammermodus, seiner Empfindlichkeit und Kritikunfähigkeit, seiner mangelnden Empathie, seinem enormen Ehrgeiz und Perfektionismus, ohne jedoch den Biss zu haben, Dinge erreichen zu wollen, und der in ihm schlummernden extremen Wut, die zum Glück nicht mehr ganz so heftig explodiert wie in den letzten 2,5 Jahren, aber dennoch immer schwelt.

Zur Wut hat Mama on the Rocks in ihrem Beitrag etwas über sich und ihre Tochter geschrieben, was exakt auf mich und den Großen zutrifft. Ich habe auch viel Wut in mir, und wenn etwas nicht so funktioniert, wie ich es mir vorstelle, kann ich schnell explodieren. Auch ich habe das früher als Kind nicht gezeigt, weil ich extrem brav und angepasst war. Ich weiß aber noch, dass ich oft innerlich sehr wütend war. Als Teenager und später bin ich manchmal so überraschend ausgetickt, dass mich keiner als das liebe, vernünftige Mädchen wiedererkannt hat. Die Wut und mangelnde Frustbewältigung hat der Große eindeutig von mir, auch wenn ich es früher mehr unterdrückt habe und jetzt anders kompensiere. Deshalb kann ich ihn darin auch am besten verstehen und versuche oft, ihm weitestgehend entgegenzukommen und vor allem, ihn ernstzunehmen, was ich als Kind leider vermisst habe.

Vermutlich ebenfalls von mir hat er die Hochsensibilität geerbt, jedoch in einer etwas anderen Ausprägung. Gemeinsam ist uns die schnelle Überreizung und Überforderung, die Schwierigkeiten beim Abschalten und Runterkommen, das daraus resultierende enorme Ruhebedürfnis, unser Perfektionismus sowie die damit verbundene Unzufriedenheit (vor allem mit anderen Menschen), das lange Nachhallen und langsame Verarbeiten. Wir unterscheiden uns komplett in Empathie und Einfühlungsvermögen, ja, seine mangelnde Empathie ist sogar ehrlich gesagt das Hauptkriterium, was mich manchmal an seiner Hochsensibilität zweifeln lässt. Seine Kritikunfähigkeit und das Unvermögen, sich in andere hineinzusetzen, kann zwar ein Merkmal von Hochsensibilität sein, aber auch einfach ein "normaler" Charakterzug oder noch nicht ausgereift. Sein Gerechtigkeitssinn und meiner sind enorm ausgeprägt. Er möchte unbedingt gleichwürdig behandelt und ernst genommen werden, und dieser Wunsch zieht sich ebenfalls durch meine gesamte Kindheit. Ich habe genau das gefühlt, was er fühlt, und deshalb ist ein gleichwürdiges Umgehen mit ihm eine meiner obersten Maximen.

In seiner Vorsichtigkeit und Zurückhaltung erkennen wir uns beide wieder, nur dass ich das mittlerweile viel besser "vertusche" und vor allem, trotzdem schnell in meinen Reaktionen und Handlungen bin, also nicht in Passivität verharre, wie es der Große oft macht. Diese Langsamkeit in Verarbeitung und Reaktion bringt mich wiederum regelmäßig auf die Palme, obwohl ich inzwischen auch darin viel gelassener geworden bin, weil der Große unter Druck noch schlechter "funktioniert" und ich sein Wesen eben nicht ändern kann. Außerdem bringt seine Vorsichtigkeit viel Positives mit sich, zum Beispiel dass er so gut wie keine der typischen Kinderdummheiten macht, kaum Unfälle hat etc. Dass er sich im äußeren Leben (Kita, Freunde) sehr stark anpasst und nichts von seinen problematischen Seiten zeigt, kennen wir ebenfalls beide von uns. Er schwankt immer sehr stark zwischen himmelhoch jauchzend (selten) und zu Tode betrübt. Die Grundessenz meines eigenen Charakters ist genauso, auch wenn ich dies mittlerweile nicht mehr so extrem empfinde wie früher. Mein Mann dagegen ist relativ ausgeglichen und kann deshalb mit den Stimmungsschwankungen des Großen schlecht umgehen.

Er ist leider überhaupt kein Kind, das sich selbst beschäftigt, sondern braucht immer ein Gegenüber, was weder mein Mann noch ich von sich kennen. Wir können beide stundenlang glücklich allein vor uns hinwurschteln und waren als Kinder auch schon Meister der Selbstbeschäftigung. Der Große kann allerdings, wenn ihn eine Sache fesselt und sich jemand mit ihm beschäftigt, tief in diese hinein versinken. Beispielsweise puzzelt er sehr gern (stammt von mir) und wir fördern solche Beschäftigungen auch immer wieder, um seine Konzentrationsfähigkeit zu stärken, weil er bis ca. 2 Jahre unglaublich hibbelig und unruhig war. Er ist ein toller Maler, was eindeutig aus der Familie meines Mannes stammt. Mein Mann selbst hat davon zwar nichts abbekommen, aber seine Eltern waren beide privat sehr mit Kunst in allen Ausprägungen beschäftigt. Wobei, und das hat er wiederum von mir: er malt am liebsten nach Vorgaben, also aus und nach, weniger selbstständig-kreativ. Ich war zum Beispiel in Kunst eine Niete, aber im Technischen Zeichnen top.

Insgesamt muss ich sagen, dass der Große mir und meinem Mann deutlich ähnlicher ist als die Kleine und wir uns in vielen, auch in den problematischen, Wesenszügen wiedererkennen. Ich sehe auch Aspekte meines Vaters und meiner Schwiegermutter in ihm. Man sollte meinen, dass es uns dadurch leichter fallen müsste, mit ihm klarzukommen. Das ist aber nicht der Fall. Bei mir ist es so, dass ich ihn in den Aspekten, in denen er mir ähnlich ist, sehr gut verstehe und diese deshalb als etwas weniger problematisch empfinde. Ich finde die Unterschiede schwieriger. Mein Mann dagegen findet genau die Ähnlichkeiten zwischen sich und dem Großen schwierig zu händeln. Der Charakter unseres Sohnes ist einfach durch große Extreme geprägt, die ihn zu einem anstrengenden Kind machen. Er ist und bleibt eben kein einfaches, leicht zufriedenzustellendes Kind. Das ist nur für uns Eltern schwer zu akzeptieren, weil man ja immer gern sein Kind glücklich machen will. Für mich ist vor allem der Spagat zwischen seiner Hochsensibilität und seiner gleichzeitig in vielem zu mir komplett gegensätzlichen Denkstruktur eine Herausforderung.

Mein Großer ist dasjenige meiner beiden Kinder, durch das ich am meisten über mich gelernt habe und jeden Tag dazulerne. Ich denke, das geht meinem Mann genauso. Er fordert einen großen Teil meiner emotionalen Kraft, was mich bis zur Geburt der Kleinen enorm ausgebrannt hat. Die Kleine wiederum schenkt mir durch ihr liebevolles, positives Wesen diese Kraft und Bestätigung, die ich brauche, um den Großen weiterhin liebe- und verständnisvoll zu begleiten. Also eigentlich ein wunderbarer, fruchtbarer Kreislauf. Und generell finde ich es einfach wahnsinnig schön, beruhigend und entlastend, dass aus identischen Voraussetzungen zwei so unterschiedliche Kinder entstanden sind und man für jedes Kind einen eigenen Umgangsmodus finden muss.

Das war lang, aber ich könnte tatsächlich noch mehr schreiben;). Danke für's Lesen und die Blogparade von Mama on the Rocks!

Sonntag, 28. Dezember 2014

Schönes und Anstrengendes am Mehrfach-Elterndasein

"Großer, warum hast Du denn als Baby immer so schrecklich viel geschrien?"
 "Na, weil es mir da so langweilig war ohne ... (hier Namen der Kleinen einsetzen)!"

"Großer, wo war denn die Kleine, als Du in Mamas Bauch warst?"
"Na, auch in Mamas Bauch! Nur ich bin zuerst rausgekommen!" 

Und während der Große sich bei uns Eltern mit Liebesbekundungen sehr zurückhält, ist die Kleine diejenige, die ganz oft von ihm ein "Ich hab dich lieb!" hören darf.
Das sind Momente, wo mir das Herz überläuft vor Freude darüber, zwei Kinder zu haben.

Aufgrund eines Blogposts von Mutter & Söhnchen, der auf Twitter eine rege Diskussion über die Vor- und Nachteile von mehreren Kindern auslöste und vor allem die zahlreichen Schwangeren abwechselnd in Vorfreude und Bangen stürzte, starteten Mama on the Rocks und Mama Schulze eine Blogparade zu diesem Thema. Da die bisherigen Beiträge schon die wichtigsten generellen Aspekte wie mehr Erfahrung, dadurch mehr Gelassenheit, vorhandene Kleidungs- und Spielzeugvorräte, gegenseitige Bespaßung der Kinder etc. genannt haben, möchte ich nur noch ein paar persönliche Erfahrungen ergänzen.

Meine Kinder sind jetzt 3 Jahre 10 Monate (Sohn) sowie 1 Jahr 8 Monate (Tochter) alt. Der Altersabstand beträgt somit 26 Monate (2 Jahre 2 Monate). In unserem Freundes- und Bekanntenkreis sind wir die Ersten gewesen, die ein zweites Kind bekamen. Unser Großer war noch sehr bedürftig zum Zeitpunkt der Geburt der Kleinen. Er trug Windeln, schlief nicht zuverlässig durch, brauchte viel Aufmerksamkeit, wollte noch oft getragen bzw. gefahren werden und fing gerade erst an zu sprechen. Das war schon eine große Herausforderung für uns, zu diesem Zeitpunkt ein zweites Kind zu bekommen, und natürlich nicht immer einfach. Glücklicherweise war die Kleine  (im  Gegensatz zu ihrem Bruder) in ihrem ersten halben Jahr ein wirklich pflegeleichtes, ruhiges Baby, was uns die Zeit gab, uns an das neue Leben zu viert zu gewöhnen. Für den Großen war die Kleine uninteressant, bis sie mobil wurde. Ab dann nahm er sie sukzessive immer mehr wahr. Seit kurzem hat er sie, glaube ich, richtig als ebenbürtige Spielpartnerin akzeptiert und macht jede Menge (sehr sehr lauten) Quatsch mit ihr. Das hat sie sich aber durch ihre forsche Art auch hart erkämpft;)

Der für mich schönste Aspekt am Elternsein von mehreren Kindern ist die Unterschiedlichkeit der Kinder bei nahezu identischen Voraussetzungen und Input. An meinen Kindern sehe ich jeden Tag, wie verschieden sie sind. Schon als Babys konnte man ihre Charaktere erkennen und jeden Tag lernt man neue Wesensaspekte dazu. An Geschwisterkindern sieht man auch, wie wenig die Grundcharakterzüge eigentlich beeinflussbar sind und dass man als Eltern vor allem die Aufgabe hat, die Kinder in ihrer jeweiligen individuellen Disposition zu begleiten und zu unterstützen. Mein Sohn hat beispielsweise einen rosa Puppenbuggy geliebt und lange genutzt. Die Tochter verschmähte diesen bisher konsequent. Dem Großen haben wir viel mehr vorgesungen als der Kleinen. Die Kleine kristallisiert sich aber schon jetzt als die eindeutig Musikalischere heraus. Solche Vorlieben sind ja in keinster Weise von den Eltern beeinflussbar. Für mich ist das total spannend zu beobachten, welches Kind welche Stärken/Schwächen/Vorlieben/Abneigungen entwickelt, ohne dass man grundlegende Dinge anders gemacht hätte.

Ein unerwarteter positiver Aspekt ist für mich gewesen, dass ich die früher als langweilig-anstrengend empfundenen Spielplatznachmittage allein mit dem Großen nun mit zwei kleinen Kindern als sportliche Herausforderung empfinde. Ja, es ist anstrengend, zwei Kinder zu koordinieren, die auf verschiedene Klettergerüste/Rutschen wollen und dies im Falle der Kleinen noch nicht alleine schaffen. Aber es ist fordernd anstrengend im positiven Sinne. Es ruft geheime Kräfte in mir hervor, von denen ich früher nie dachte, dass ich sie hätte. Außerdem konzentriert man sich nicht nur auf ein Kind, was sehr nervig sein kann, wenn es einen schlechten (Nachmit)Tag hat, sondern hat durch das Zweite immer Ablenkung.

Nun ein paar praktische Tipps an alle derzeit Schwangeren, wie wir persönlich die erste Zeit mit beiden Kindern gemanaged haben:

1. Stellt euch darauf ein, dass die Geburtssituation nicht so verläuft wie geplant. Mein Mann hat mich im Morgengrauen in die Klinik gefahren und wollte nachkommen, wenn er den Großen in die Kita gebracht hat. Da war die Kleine aber schon geboren. Das Wichtigste war für mich, dass mein Sohn versorgt ist, nicht dass mein Mann bei der Geburt dabei ist.

2. Behaltet für das erste Kind möglichst den gewohnten Ablauf und die gewohnten Bezugspersonen bei. Das gibt diesem Sicherheit und Stabilität und euch die nötige Ruhe, um das neue Baby kennenzulernen und zu versorgen. Wir haben unseren Großen weiterhin wie gewohnt in seine Kita gegeben, mit Freunden verabredet und bekannte Aktivitäten gemacht.

3. Die gleiche Devise galt bei uns beim Thema Tragen/Fahren. Wie gesagt, der Große war knapp über 2 und zwar ein früher, aber nie ein ausdauernder Läufer. Er durfte deshalb auch weiterhin wie gewohnt im  Buggy sitzen, während die Kleine getragen wurde. Nach und nach hat das Laufradfahren gesiegt und die Kleine ist in den Kinderwagen/Buggy gewechselt. Ein Buggyboard haben wir bis heute am KiWa. Auch getragen haben wir ihn noch viel. Das geht natürlich nur, wenn zwei Erwachsene zur Verfügung stehen. Wichtig war für uns immer, dass er so wenig wie möglich von seinem gewohnten Leben aufgeben muss. Und das hat für uns und ihn gut funktioniert.

4. Holt euch Hilfe, bevor es zuviel wird. Haushaltshilfe/Putzfrau, Babysitter, Großeltern, Freunde. Alles ist erlaubt und kein Eingeständnis von Versagen. Zwei Kinder, noch dazu in geringem Altersabstand, sind einfach anstrengend. Da beißt die Maus keinen Faden ab.

5. Erwartet nicht, dass das zweite Kind genauso wie das erste wird. Freunde von uns hatten zuerst ein pflegeleichtes und jetzt ein anstrengenderes Kind. Bei uns war es (zum Glück?) anders herum. Wenn man ein Kind hat, das nur herumgetragen werden will, wochenlang Clusterfeeding betreibt und nur im fahrenden Kinderwagen schläft, kann man sich nicht adäquat um ein größeres Geschwisterkind kümmern. Macht einen Notfallplan für diesen Fall.

Was ich im Moment als die schwierigsten und anstrengendsten Aspekte vom Leben mit zwei Kindern empfinde, ist einerseits der Lärm-/ Unruhepegel und andererseits, dass man sie selten gleichzeitig abgeben kann. In der Zeit, in der unsere beiden Kinder in der Kita sind, gehen wir arbeiten. In der übrigen Zeit ist mindestens ein Kind da. Aber das wird sich mit zunehmendem Alter auch ändern. Und ich bin mal gespannt, wann sie sich zum ersten Mal gegen uns Eltern verbünden...

Die anderen Beiträge sind hier zu finden: