Dienstag, 27. September 2016

Was ich als Mama gerne besser machen würde (Blogparade #ichwürdegerne)

Ich glaube, fast jede/r von uns war eine perfekte Mama oder ein perfekter Papa, bevor er/sie selbst Kinder bekam und merkte, dass einiges (vieles) anders läuft als vorgestellt. Man hatte die Erziehungsweisheit mit Löffeln gefressen und war der Überzeugung, ein Drehen an Schräubchen A bringt den gewünschten Mechanismus in Gang. Und fragte sich, warum das denn bei anderen Eltern und deren Kindern nicht funktionierte. Nun ja, seit wir selbst Eltern sind, sind wir schlauer und demütiger. Wir wissen, dass Kinder Individuen sind, die nicht nach Schemata funktionieren. Wir wissen, dass ein bestimmtes Verhalten unsererseits nicht unbedingt das erhoffte Ergebnis bei unserem Kind ergibt. Manchmal sehen wir sogar das Gegenteil davon. Und trotzdem bemühen wir uns immer, gute, liebevolle, zugewandte Eltern zu sein, uns ständig zu reflektieren und zu korrigieren. Und haben immer noch gewisse Ansprüche an uns selbst im Kopf, an denen wir uns messen. Das ist manchmal destruktiv, wenn es sich um völlig überzogene, mit dem eigenen Charakter oder dem Wesen des Kindes nicht vereinbare Ansprüche handelt. Oft aber regt es dazu an, sich zu fragen, was man noch besser machen kann als Mutter/Vater. Dazu passt die aktuelle Blogparade von Leben & Erziehen: Was wir als Eltern gerne besser machen würden, an der ich mit diesem Beitrag teilnehme. Einige Eltern schreiben, dass sie gern mehr basteln würden oder ausgefeilte Brotdosen herrichten würden oder nicht so stark auf ihr Handy fixiert sein möchten. Bei mir sind es eher mentale und emotionale Dinge, die ich gern besser machen würde.

1.) Ich würde gern das Zusammenleben mit meinen Kindern mehr genießen. Ich bin oft unruhig, gestresst oder manchmal auch gelangweilt in Gegenwart meiner Kinder. Ich frage mich viel zu oft: "Was machst du da?" Ich stehe eigentlich unter einer permanenten Anspannung, wenn ich mit meinen Kindern zusammen bin, und kann das so gut wie nie abschütteln. Das liegt nicht daran, dass ich noch so viele Dinge im Hinterkopf habe, die erledigt werden müssten (manchmal auch daran), sondern eher an dem ständigen Funktionieren-Müssen, der Bereitschaft, dem Reagieren-Müssen. Das schlaucht mich wirklich unheimlich, legt sich wie ein schwerer Stein in meinen Magen und beeinträchtigt auch die allerschönsten Momente bzw. es gibt nur sehr wenige Augenblicke, wo sich der Stein auflöst. Das ist schade und ich weiß nicht, was man da machen kann. Ich hätte es gern anders und würde die Kinder gern mehr genießen, so wie ich früher die Natur, Reisen oder Musik genossen habe. Manchmal gelingt es mir, den Kopf bewusst auszuschalten oder durch tiefe Bauchatmung den Stein im Bauch etwas leichter zu machen. Oft genug leider nicht.

Quelle: Pixabay

2.) Ich würde gern noch ruhiger und gelassener im Umgang mit meinen Kindern werden und den Stress oder Ärger, den ich habe, nicht an ihnen auslassen. Dazu muss ich sagen, dass ich schon tausendmal ruhiger geworden bin als früher (vor den Kindern), als ich wegen vielen Kleinigkeiten explodiert bin. Dies wurde leider in der Anfangszeit mit dem Großen noch extremer, da mein psychischer und physischer Stress in dieser Zeit enorm war. Mittlerweile habe ich realisiert, dass tatsächlich eine der wichtigsten Komponenten im Umgang mit Kindern die eigene Ruhe ist und arbeite täglich daran, meine Stressauslöser zu erkennen, bevor sich alles auf den Kindern entlädt. Das gelingt natürlich nicht immer, da meine Ausgangsbasis (hochsensibel, keine Stressresistenz und kaum Verarbeitungsstrategien) einfach sehr schlecht ist. Aber ich versuche es und bemerke oft ganz deutlich, wie eines zum anderen kommt und die Spirale sich dreht. Ich bin ein emotionaler Mensch und würde gern viel mehr Ruhe ausstrahlen, vor allem für meine Kinder, geduldiger sein und nicht alles so an mich rankommen lassen. Das ist zumindest ein Aspekt, an dem ich mehr arbeiten kann als an Punkt 1.

3.) Ich würde gern etwas mutiger sein und mir mehr mit den Kindern zutrauen. Also ALLEIN mit den Kindern. Ich bin ein sehr vorsichtiger und abwägender Mensch und durchdenke potentiell riskante Dinge so oft, dass ich mir selber manchmal im Weg stehe. Sicherlich hilft diese Vorsicht auch dabei, sich keinen Situationen auszusetzen, die mich überfordern oder allzu sehr stressen würden. Aber manchmal würde ich mich gern mehr trauen. Ich bewundere Menschen (bzw. halte sie für verrückt), die allein mit Baby und Kleinkind in den Urlaub fahren. Nie-niemals hätte ich so etwas gewagt, dazu waren meine Kinder, meine eigenen psychischen Kräfte und die fremden Umstände viel zu unberechenbar. Dagegen freue ich mich über jede kleine Herausforderung, die ich meistere. Ich war stolz, als ich zum ersten Mal beide Kinder allein ins Bett brachte. Mir fiel ein Stein vom Herzen, als der Besuch bei meinen Eltern inklusive längerer Busfahrt mit beiden Kindern letztes Jahr gut klappte oder als ich im März dieses Jahres zusammen mit meinen Eltern und den Kindern im Kurzurlaub war. Das sind für mich echt Herausforderungen, weil ich nie wissen kann, wie sie laufen werden. Ich würde gern noch mehr solcher Erfolgserlebnisse haben, aber oft traue ich mich einfach nicht. Habe Angst, krank zu werden oder die Nerven überzustrapazieren. Wie gesagt, ich finde es gut, seine Kräfte korrekt einzuschätzen, aber etwas mehr Mut wäre sicherlich nicht verkehrt. Ich arbeite daran, mir in kleinen Schritten mehr zuzutrauen, ohne mich zu überfordern.

Rückschau:

Was die vergangenen 5 1/2 Jahre, seit ich Mama bin, angeht, gibt es natürlich auch so einiges, was ich aus der Rückschau gern anders gemacht hätte. Vor allem in der Babyzeit und in der sich direkt anschließenden Autonomiephase des Großen hätte ich gern besser reagiert, als ich es zu diesem Zeitpunkt konnte. Ich hätte weniger hadern und mich viel mehr auf ihn einlassen müssen. Ich hätte deutlicher Entlastung einfordern müssen, um dadurch wieder Kraft für ihn und mich zu haben. Ich hätte kreativer sein und schneller fernab der üblichen Erziehungsansichten schauen müssen, was helfen könnte. Und ich hätte nicht so viel zweifeln sollen. Das wäre für ihn und für mich gut gewesen. Leider wusste ich damals noch nicht viel über ihn und über mich und konnte vielfach nicht aus meiner Haut. Das bedauere ich unheimlich. Andererseits sehe ich auch, welche Entwicklung ich als Mama durch das Zusammenleben mit meinen Kindern gemacht habe und welche Wege ich beschritten habe. Wege der Gleichwürdigkeit und des Respekts vor Kindern, die mich weit weg von der eigenen Erziehung führen und die ich beibehalten und weiter ausbauen möchte. Ich tröste, wie ich selbst nie getröstet worden bin. Ich fange auf, wie ich nie aufgefangen worden bin. Ich ergreife Partei, wie für mich (als Kind) nie Partei ergriffen worden ist. All das ist das Produkt meines bisherigen Mamalebens und ich spüre, dass ich auf einem guten Weg bin. Das heißt aber eben nicht, dass man nicht immer noch etwas besser machen kann. Als Mama oder Papa ist man wahrscheinlich immer auf dem Weg und nie am Ziel.

Ich habe übrigens meinen Großen befragt, was ich besser machen könnte als Mama. Ihm fiel heute leider nichts sein. Naja, ich denke, spätestens in der Pubertät wird er mir die Frage beantworten können;-)

Und was würdet ihr als Mama oder Papa gern besser machen?

Montag, 19. September 2016

Selbstregulierung lernen durch Fremdregulierung: "Das überreizte Kind" von Dr. Stuart Shanker (Rezension)

Diesmal stelle ich ein gerade neu erschienenes Buch vor, was als Bestseller beworben wird und zwar nicht explizit von hochsensiblen Kindern handelt wie meine bisherigen rezensierten Bücher, aber, so denke ich, sehr viel und sehr deutlich mit dem Thema zu tun hat, da das Problem der Überreizung und der konstruktive Umgang damit für hochsensible Kinder (und Erwachsene) eines der zentralen Aspekte ihres Lebens ist. Aber auch für Eltern aller anderen Kinder sollte die Behandlung dieses Themas hilfreich und erhellend sein, sind doch unsere Kinder von klein auf einer ungeheuren Reizflut ausgesetzt. Es geht um das neue Buch Das überreizte Kind von Stuart Shanker. Der Autor ist Professor für Psychologie und Philosophie in Kanada und hat die "weltweit bewährte und bahnbrechende Methode" der Selbstregulierung (Verlagswerbung), die er in diesem Buch beschreibt, auch an öffentlichen Schulen etabliert. Er hält diese Methode ausdrücklich als für alle Kinder geeignet. Mich hat der Titel ungemein interessiert und ich habe es speziell aus dem Blickwinkel einer hochsensiblen, schnell überreizten Mama von einem ähnlich gearteten hochsensiblen Kind gelesen.

Shanker stellt fest, dass viele Kinder heutzutage unruhig, unkonzentriert, aggressiv und hyperaktiv sind und deswegen von Eltern, Erziehern, Lehrern als schwierig, anstrengend, herausfordernd oder gar bösartig beschrieben werden. Worunter diese Kinder eigentlich oft leiden, ist - zuviel STRESS, d.h. sie sind überreizt. Dabei spielen nicht nur Stressfaktoren unserer heutigen modernen Zeit wie Verkehrslärm, moderne Medien, Feinstaub, Leistungsdruck etc. eine Rolle, sondern auch individuelle psychosoziale und biologische Faktoren, wie z.B. eine persönliche akustische oder visuelle Sensibilität. "Und unter Stress versteht man dabei alle Stimuli, die uns dazu bewegen, Energie aufzuwenden, um eine Art von Gleichgewicht zu wahren. [...] Wenn die Stressbelastung eines Kindes konstant zu hoch ist, erholt es sich möglicherweise nicht mehr vollständig davon, und seine Anfälligkeit selbst gegenüber geringfügigen Stressfaktoren steigt." (S. 15) Das kann zu problematischen Verhaltensweisen führen, mit denen ein Kind lediglich ausdrückt, dass es unter Stress steht und Hilfe benötigt.

Erwachsene versuchen nun meist, vom Kind Selbstkontrolle zu erwarten und es dahingehend zu erziehen. Selbstkontrolle bedeutet aber lediglich, dass Impulse unterdrückt und im Endeffekt nicht mehr wahrgenommen werden. Stattdessen sollte ein Kind Selbstregulierung lernen, und zwar durch die Hilfe seiner Eltern und anderer Erwachsener, also durch Fremdregulierung. "Die Grundlage des Konzeptes der Selbstregulierung ist, dass ein Kind nur durch Regulierung von außen die Fähigkeit zur Selbstregulierung entwickeln kann. Das ist nicht gleichbedeutend damit, dass ein Kind nur dann Selbstkontrolle entwickelt, wenn wir es unter Kontrolle haben. Bei der Selbstregulierung geht es um die internen Prozesse der Erregungsregulierung, nicht um Verhaltensmanagement. Und es geht um die wichtige Rolle, die Erwachsene als externe Regulatoren der Erregungszustände eines Kindes spielen, bis das Kind zur Selbstregulierung in der Lage ist." (S. 66) Selbstregulierung und deren Strategien machen im zweiten Schritt eine Selbstkontrolle erst möglich.

Wie können Kinder Selbstregulierung erlernen und konstruktiv mit ihren Gefühlen und Stressfaktoren umgehen? Indem die Eltern zuerst dafür sorgen, die Stressauslöser des Kindes zu identifizieren und einzudämmen und ihm dadurch helfen, das später allein zu schaffen. Dafür ist es unabdingbar, dass die Eltern selbst einen konstruktiven Umgang mit ihren eigenen Stressfaktoren beherrschen bzw. lernen und diesen dann dem Kind vermitteln können. Oft überträgt sich nämlich in Konfliktsituationen die eigene Wut, Aggression, Besorgtheit oder Hilflosigkeit auf das Kind, was den Stresskreislauf nur noch weiter erhöht. "Selbstregulierung fängt damit an, unsere eigenen Stressfaktoren zu identifizieren und zu reduzieren und bei der Interaktion mit dem Kind ruhig und aufmerksam zu bleiben." (S. 17) und weiter: "Wir müssen unser Kind und uns selbst zu einem Energie-Anspannungs-Gleichgewicht zurückführen." (S. 113)

In einem eigenen Kapitel erklärt Shanker ausführlich die biologischen Grundlagen der Entstehung von Stress. Stressauslöser wirken direkt auf das limbische System ein und lösen einen Alarmzustand des Gehirns aus, der normalerweise langsam wieder abklingt. Im Normalfall pendeln wir ständig zwischen verschiedenen Erregungszuständen (vom Schlaf bis hin zur höchsten Erregung, z.B. Wutanfall in der Autonomiephase) und das sympathische Nervensystem übernimmt die Erregungsregulierung. Wenn jedoch keine Erholung einsetzt bzw. nicht bewusst herbeigeführt wird, hält die Übererregung und damit der Alarmzustand des Gehirns an und kann verschiedenste Symptome wie Schlaflosigkeit, Wut, Dünnhäutigkeit, Konzentrationsschwäche, Unruhe, schlechte Laune, Überdrehtheit etc. auslösen. "Ein chronischer Zustand der Übererregung macht das limbische System so stressempfindlich, dass es schon durch Kleinigkeiten in Alarm versetzt wird." (S. 34) Es kann sich nicht mehr herunterregulieren und der Mensch/das Kind bleibt in einem Erregungszustand gefangen. Dadurch wird immer mehr Energie verbraucht, bis der Tank leer ist.

Da das limbische System im Zustand der Erregung und Überreizung (Alarmzustand) nicht mehr auf rationale Gedanken und Ansprache reagiert, muss zuerst eine Beruhigung herbeigeführt werden. Kinder schaffen dies nicht allein (viele Erwachsene übrigens auch nicht, weil sie es nie gelernt haben; dazu zähle ich mich ausdrücklich auch selbst). Sie brauchen dazu Hilfe von außen, eine Fremdregulation, die ihnen beibringt, wie sie dies später allein schaffen können. Da jedes Kind verschieden ist und sowohl unterschiedliche biologische Anlagen als auch verschiedene Stressauslöser hat, gibt es dafür kein Patentrezept. Das bedeutet für die Eltern, dass sie zu "Stress-Detektiven" ihrer Kinder werden müssen. Sie müssen lernen,

  • die Signale ihres Kindes zu lesen und sein Verhalten umzudeuten
  • die Stressfaktoren zu identifizieren
  • diese zu reduzieren
  • zu erkennen, wann das Kind UND man selbst zuviel Stress hat
  • herauszufinden, was dem Kind und sich selbst hilft, sich zu beruhigen (S. 42)

Dies sind die fünf Schritte der Selbstregulierung. Die Stressauslöser und Beruhigungsstrategien dafür sind individuell verschieden und sollten nach dem Trial-and-Error-Prinzip (S. 126) behutsam herausgefunden und umgesetzt werden. Möglichkeiten zur Beruhigung sind beispielsweise die tiefe Bauchatmung, Visualisierung eines beruhigenden Gegenstandes oder Menschen, Achtsamkeitsmeditation, Musik, Kunst etc. Bei Kindern kann man neben grundsätzlichen Dingen wie ausreichend Schlaf, Bewegung in der Natur und gesunder Ernährung solche einfachen Übungen wie Tierimitationen, Stimmmodulationen und Sprechmuster anwenden. Dabei geht es nicht um Ablenkung oder Unterdrückung von Gefühlen, sondern darum, den Stresszyklus zu unterbrechen, Anspannung zu lösen und die Erholungsfunktion wieder zu aktivieren. Denn es ist klar, "dass Resilienz nicht im Vermeiden und Unterdrücken liegt, sondern im Konfrontieren und Umgehen mit starken Gefühlen." (S. 169) Zusammengefasst heißt das: "Die wahre Kraft der Selbstregulierung liegt darin zu erkennen, in welchem Erregungszustand wir uns befinden, und zu wissen, wie wir unsere Anspannung lösen können." (S. 45)

In Hinblick auf unser Kind ist es an uns Eltern, eine möglicherweise problematische Situation oder Reaktion zu durchleuchten und ggf. als Ausdruck einer Stressreaktion umzudeuten, um dann die von Shanker geschilderten Maßnahmen der Beruhigung des Kindes in den Fokus unserer Aufmerksamkeit zu stellen. Dabei sind sowohl die Tagesform, das grundsätzliche Energieniveau des Kindes als auch individuelle Empfindlichkeiten, das Temperament und die Widerstandsfähigkeit gegen unterschiedliche Stressarten zu berücksichtigen. Manche Kinder sind besonders sensibel, was Gerüche, Geräusche oder Licht angeht, manche reagieren stark oder gar nicht auf taktile bzw. sensorische Reize oder menschliche Stimmen. Bei Müdigkeit oder Stress verstärken sich diese Empfindlichkeiten und äußern sich durch problematisches Verhalten. Viele Eltern schimpfen dann, geraten selbst unter Stress, werden zornig, gehen auf Distanz, beschämen oder bestrafen das Kind. All dies führt lediglich zu erhöhtem Stress beim Kind und trägt nicht zur Beruhigung bei. Stattdessen geht es darum, erst sich selbst zu beruhigen, dann durch Reduktion der Stressfaktoren das Kind zu beruhigen und später eine Klärung der Situation herbeizuführen. Das ist Selbstregulierung. "Einem Kind die Werkzeuge zur Stressbewältigung an die Hand zu geben und ihm zu helfen wahrzunehmen, wann es sie benutzen muss, ist ein wichtiger Teil der Selbstregulierung." (S. 64) und "Die wichtigste Erkenntnis ist, dass ein Kind durch Regulierung von außen die Fähigkeit zur Selbstregulierung entwickelt." (S. 95) Das Kind braucht dann Ruhe und Erholung, nicht Vorwürfe oder Strafen.

Eltern sollen sich in ihre Kinder hineinversetzen und genau hinschauen, was sie beruhigt und was sie stresst. Das können ganz andere Faktoren als bei ihnen selbst und auch nach Tagesform unterschiedlich sein. Meist können Kinder noch nicht genau ausdrücken, welche Gefühle oder Faktoren Stress und Überreizung in ihnen auslösen. "Wenn Sie ein Kind, das sich in einem Zustand der Überreizung befindet, fragen, was es in seinem Körper fühlt, bekommen Sie meistens die Antwort: 'nichts'." (S. 199) Mein Großer sagt dann des Öfteren "Ist mir doch egal!" Das ärgert uns als Eltern, weist aber eigentlich nur darauf hin, dass er überfordert, also gestresst ist. Man muss lernen, so etwas nicht persönlich zu nehmen, sondern als Ausdruck einer Überforderung und vielleicht auch Schutz gegen Übererregung zu sehen. "Wichtig ist, dass Sie als Eltern sich klarmachen, dass manche Ihrer Annahmen möglicherweise falsch sind - zum Beispiel, dass ein Kind bei den Hausaufgaben aufrecht sitzen muss oder viel Licht oder Stille braucht. [...] Es geht immer darum, was für das einzelne Kind richtig ist." (S. 194) Und man muss lernen, angesichts des Stresses unseres Kindes ruhig zu bleiben. Das ist Selbstregulierung.

In der Pubertät kommen neue, große Herausforderungen auf Eltern und Kinder zu. Shanker widmet dieser Lebensphase den dritten Teil des Buches, den ich nur kurz anreißen möchte. Die Stressanfälligkeit von Teenagern nimmt noch einmal zu und vor allem bestreiten sie oft vehement, dass es sich bei bestimmten Auslösern wie modernen Medien, Konkurrenzdruck in Gruppen oder Junkfood um Stressfaktoren handelt. Auch Teenager brauchen noch die Hilfe ihrer Eltern und anderer Bezugspersonen bei der Selbstregulierung. Lehrern kommt dabei eine wichtige Rolle zu, und Shankers Methode wurde ja mit Erfolg an öffentlichen Schulen in Kanada eingeführt. Die Pubertät ist eine immense Herausforderung für Teenager und alle ihre erwachsenen Bezugspersonen, bietet aber auch die Chance zu erkennen, ob die Fähigkeit zur Selbstregulierung schon vorhanden ist.

Zusammenfassung und persönliches Fazit:

Das Buch ist verständlich und nicht zu wissenschaftlich geschrieben, leicht zu lesen und sehr gut gegliedert. Die theoretischen Aspekte werden untermauert durch diverse alltägliche Fallgeschichten, die sehr interessante Eltern-Kind-Probleme zeigen. Es sind einige praktische Tipps enthalten, für meinen Geschmack jedoch zu wenige. Das rührt aber natürlich daher, dass es eben kein Patentrezept geben kann, weil bei jedem Kind etwas anderes funktioniert.

Für mich war das Buch eine Offenbarung. Es bestätigt auf knapp 350 Seiten vieles von dem, was ich mir in jahrelanger mühsamer Arbeit als Mutter im Umgang mit meinen Kindern, speziell meinem Großen, erarbeitet habe und auch mir selbst nun zugute kommt. Vieles, was bisher in mir eine Mischung aus Erfahrungen und Hypothesen war, wurde durch das Lesen dieses Buches klarer. Ich verstand nun auch aus physiologischer Perspektive, warum das Schreien und die Übererregung meines Babys seinerzeit ungeheuren Stress in mir auslöste, mit dem ich nicht umgehen konnte. Ich verstand, warum das wiederum das Baby noch mehr stresste und ein Stresskreislauf entstand. Shanker schreibt sehr einleuchtend dazu: "Wie eine extrem gestresste Betreuungsperson von ihrem Baby überfordert sein kann, so können auch manche Kinder vom Stress anderer Menschen überfordert sein." (S. 249) Beides war bei mir und meinem Großen definitiv der Fall. Zwar habe ich schon sehr früh die Notwendigkeit erkannt, dass besonders ich als Mama ihn regulieren und ihm beim Abschalten und Herunterfahren helfen muss, jedoch fehlte mir durch diese enorme Energieaufwendung die Kraft, Möglichkeit und Zeit, mich selbst wieder zu beruhigen. Da wiederum hätte meine Umwelt nun regulierend eingreifen und mir mehr Regenerationsmöglichkeiten verschaffen müssen. Ähnliche Erfahrungen folgten in der sehr anstrengenden Autonomiephase, die mir (leider zu spät) sehr deutlich vor Augen führte, dass die Ruhe der Bezugsperson die wichtigste Voraussetzung für die Beruhigung des Kindes ist. Das Buch zeigt mir, welche Defizite als Mensch und Mama ich habe. Es zeigt aber auch, was ich schon alles richtig mache. Das jedoch war und ist kein naturgegebener Zustand, sondern ein langwieriger Prozess des Ausprobierens und Lernens.

Ich habe ähnliche Gedanken hinsichtlich Fremd- und Selbstregulation, bezogen auf das Thema "Selbstbestimmtes Einschlafen", schon in meinem Text Warum selbstbestimmtes Einschlafen nicht für jede Familie passt entwickelt und ausgeführt. Darin schreibe ich, dass einige Kinder (mittlerweile denke ich: die meisten) beim Einschlafen der Regulation von außen bedürfen, um überhaupt einschlafen zu können. Shankers Buch bestätigt mich darin, denn es sagt aus, dass Beruhigungssysteme von Kindern nur aktiviert werden können durch die Fremdregulation, bis zu dem Zeitpunkt, an dem Kinder die Selbstregulation selbstständig beherrschen.

Das Buch zeigt, was sicherlich die meisten Erwachsenen, darunter ich selbst, nicht in ihrer Kindheit gelernt haben. Die Selbstregulierung und Selbstberuhigung mag schon für normal sensible Menschen eine Herausforderung sein; für hochsensible Kinder und Erwachsene ist sie ein enormer Kraftakt. Shanker sagt eindeutig: "Manche Kinder werden mit biologischen Voraussetzungen geboren, die zu einer schnellen Erschöpfung der Energievorräte und einer größeren Empfänglichkeit für limbische Erregung führen." (S. 251) Dazu gehören mein Großer und ich ganz eindeutig und das birgt sowohl Gefahren als auch Chancen. Er hat das Glück, eine Mama zu haben, die sich dessen bewusst ist, an sich arbeitet und ihm sowohl mit Verständnis begegnet als auch Strategien aufzeigt. Ich hatte dieses Glück nicht. Ich finde, dieses Buch ist eigentlich ein Buch über Hochsensibilität und hochsensible Kinder. Auch wenn das Thema nicht explizit erwähnt wird, finden sich überall, in den Fallgeschichten und theoretischen Teilen, Aspekte der speziellen Herausforderungen von Hochsensibilität wieder. Aber, wie Shanker selbst sagt, ist das Buch für alle Kinder (und Erwachsenen) geeignet und wird sicherlich jedem Leser Erkenntnisse über die Art seiner Reaktionen verschaffen. Ich empfehle es deshalb uneingeschränkt und hoffe, dass es vor allem viele Eltern und Pädagogen erreichen wird.

"Je öfter wir Selbstregulierung und damit das Erreichen eines ruhigen, gefassten Zustands praktizieren, desto besser und desto kompetenter fühlen wir uns als Eltern. In diesem ruhigeren Zustand kommt unsere Intuition zum Zuge, und wir können uns auf ganz natürliche Weise besser auf die Erregung unseres Kindes einstellen. [...] In Augenblicken, die andernfalls für uns und unsere Kinder eine dysregulierende Wirkung hätten, sind wir so besser in der Lage, im Gleichgewicht zu bleiben und unserem Kind zu helfen, dies auch zu tun." (S. 330f.)

Die Eckdaten:
Dr. Stuart Shanker: Das überreizte Kind. Wie Eltern ihr Kind besser verstehen und zu innerer Balance führen. Mit der weltweit bewährten Methode der Selbstregulierung, Mosaik Verlag, August 2016, 384 Seiten, ISBN 978-3442392674, € 21,99

Hier noch eine interessante Rezension aus der FAZ:
Warum Eltern zu Stress-Detektiven werden sollten

Danke an den Mosaik Verlag (Verlagsgruppe Random House) für das Rezensionsexemplar.

Wenn euch meine Rezension gefallen hat, würde ich mich sehr freuen, wenn ihr mich unterstützt und mir über diesen Link symbolisch einen Kaffee spendiert:-):


Dieser Beitrag enthält Affiliate Links.

Freitag, 16. September 2016

Mein Leben war nicht sinnlos, bevor ich Kinder bekam !

Immer wieder höre und lese ich Aussagen darüber, dass Eltern (vor allem Mütter) sich nicht mehr erinnern oder vorstellen können, wie ihr Leben vor dem Kind/den Kindern ausgesehen hat, was sie ausgefüllt und ihrem Leben einen Sinn gegeben hat. Dass sie das Gefühl haben, das Kind wäre schon immer da gewesen oder sie seien nur mit dem Kind vollständig, dass sie nicht wüssten, womit sie sich früher beschäftigt haben oder nur durch das Kind glücklich seien. Ich muss ehrlich sagen, dass ich das nicht nachvollziehen kann und es auch irgendwie merkwürdig finde. Mir geht das nicht so, im Gegenteil.

Als mein Großer uns letztens einmal fragte, was wir früher gemacht hätten, als er und die Kleine noch nicht da waren, zählte ich auf Anhieb viele Dinge auf, die uns früher Spaß bereitet, unsere Wochenenden und Urlaube ausgefüllt und unserem Leben Freude und Sinnhaftigkeit gegeben hatten. Wir haben gearbeitet, sind viel gereist, haben die Welt und das eigene Land entdeckt, waren am Wochenende aktiv, viel in der Natur, hatten schon unseren Garten, trafen Freunde und besuchten Museen, Ausstellungen, Kinofilme etc. Aus mir kam es nur so herausgesprudelt und die Kinder hörten interessiert zu. Ich hatte das Gefühl, sie verstanden, dass wir jetzt, als Familie, nur noch einen kleinen Bruchteil dessen unternahmen, was wir Eltern früher zu zweit gemacht hatten. Ich glaube auch, sie merkten, dass in meinem Erzählen ein Bedauern mitschwang, aber so ist es nun mal. Vieles ist einfach mit kleinen Kindern nicht möglich.

Unser Leben vor den Kindern war definitiv nicht unausgefüllt oder sinnlos. Das wäre ja schlimm! Ich bin erst mit 36 Jahren Mama geworden und das hieße, 36 Jahre oder sagen wir, 18 erwachsene Jahre wären überflüssig, unglücklich oder sinnentleert gewesen. Nein, das empfinde ich überhaupt nicht so und verstehe auch Menschen nicht, die ihr eigenes bisheriges Leben als so oberflächlich und nebensächlich betrachten, bis sie Kinder und damit eine Aufgabe bekamen. Wir hatten sehr viele glückliche, intensive Momente, haben viel erlebt und unser Leben genossen. Sowohl jeder von uns für sich allein als auch wir beide zusammen. Wir hatten wunderbare Reiseerlebnisse, haben zusammen gelacht und geweint, Wohnungen eingerichtet, Wurzeln geschlagen, studiert, Feste gefeiert und das Leben ausgekostet. Wir waren auch vor den Kindern schon im Zoo und im Wald spazieren, haben Tischtennis gespielt, Plätzchen gebacken, Kastanien gesammelt, Gänseblümchen gepflückt, Pusteblumen ausgepustet und Drachen steigen lassen. Das war nicht bedeutungslos und auch nicht unausgefüllt. Es war bunt und aufregend und selbstbestimmt und frei und wunderbar.

Quelle: Pixabay

Ja, wir hatten das Gefühl, dass etwas fehlte und haben uns jahrelang ein Kind gewünscht, bis es endlich klappte. Ja, wir wären unendlich traurig gewesen, wenn wir zu zweit geblieben wären. Mit Sicherheit aber hätten wir kein sinnloses Leben ohne die Kinder. Vielleicht wären wir ausgewandert und hätten nochmal ganz von vorn angefangen. In unserem Haushalt gibt es diverse Bücher dazu. Vielleicht hätten wir auch so weitergelebt wie bisher. Vielleicht hätte ich promoviert und andere exotische Sprachen gelernt. Interessen und Leidenschaften gäbe es jedenfalls genug und ich fände es fatal, wenn ich mich nur über meine Kinder definieren würde. Ich bin doch ein eigener Mensch und ein großer Teil meines Lebens fand ohne meine Kinder statt.

Aus manchen Berichten anderer Eltern hört man heraus, dass sie früher ein ziemlich inaktives Leben geführt hatten, ein ganzes Wochenende auf der Couch verbrachten oder täglich bis spät abends arbeiteten. Vielleicht empfindet man die Erinnerung an ein solches Leben als fade, vielleicht nehmen diese Eltern die Natur, den Jahreskreislauf, die Feste und die Familie wirklich erst dann intensiv wahr, wenn sie selbst Eltern werden. Bei mir ist das nicht so. Ich hatte schon früher ein sehr starkes Erleben der Natur und der Jahreszeiten, empfand tiefe Gefühle an meinen "Kraftorten" und konnte in einem guten Buch oder Film regelrecht versinken und emotional eintauchen. Das kann ich mittlerweile nicht mehr, diese Fähigkeiten sind irgendwie verschüttet, seit ich Kinder habe, bzw. von all den Anstrengungen des Alltags aufgefressen. Da ich nun nahezu ständig unter Strom stehe, haben tiefe Gefühle kaum eine Chance, in mir Fuß zu fassen und mein Herz zu erreichen. Manchmal kommt ein leichter Anflug davon, wenn ich allein mit nur einem Kind unterwegs bin, wie zum Beispiel letztens, als ich mit dem Großen im Garten übernachtete und wir abends noch auf unseren Feldern herumtollten. Ich vermisse diese Gefühle und hoffe, dass sie wiederkehren, wenn der Alltag mit den Kindern nicht mehr ganz so kräftezehrend ist.

Viele Eltern sagen, dass sie erst jetzt Kleinigkeiten bewusst wahrnehmen und mit den Augen ihres Kindes sehen. Bei mir ist das umgekehrt, ich kann mich kaum noch auf kleine Dinge und die Schönheit der Natur einlassen und konzentrieren, weil sich mein Fokus so auf meine Kinder und die Organisation unseres Lebens richtet. Also die umgekehrte Entwicklung und irgendwie auch mental logisch, denn wenn der Kopf voll ist, wird das kleine Blümchen am Wegesrand bedeutungslos. Andere Eltern dagegen nehmen das kleine Blümchen erst wahr, seitdem ihr Kind es aufpflückt und spüren vielleicht, dass in ihrem früheren Leben all das fehlte. Bei mir ist das nicht so und deshalb empfinde ich mein Leben vor den Kindern auch nicht als sinnlos, oberflächlich und unausgefüllt. Dass das Leben vor den Kindern verblasst, je länger es zurückliegt, ist bestimmt normal. Mein Mann war sich letztens sicher, dass wir auf Kap Arkona schon mit dem Großen gewesen seien. Das war aber deutlich bevor wir Kinder bekamen. Verblassen ja, aber unwichtig und sinnlos? Nein! Das kann und möchte ich niemals so empfinden.

Wie ist das bei euch, wie erinnert ihr euch an euer Leben, bevor ihr Kinder hattet? Oder lebt ihr erst richtig intensiv, seit die Kinder da sind?

In diesem Text könnt ihr noch ein bisschen mehr über mich und früheres Leben erfahren:
Über mich, meine Reiselust und das Bloggen

Montag, 12. September 2016

12 von 12 im September 2016

Meine ersten #12 von 12 nach der Aktion bei Draußen nur Kännchen und ich habe es nur auf 11 Bilder geschafft. Peinlich! Aber egal, hier ist mein Alltag am heutigen Montag, einem wundervollen warmen Spätsommertag.

Montag ist mein freier Tag. Um 8 Uhr sind alle aus dem Haus und ich räumte ein wenig auf. Da ich mit der Kleinen von Samstag auf Sonntag im Garten übernachtete und somit 2 Tage kaum zuhause war, fällt bei mir immer einiges an. Um 8:45 Uhr ging ich zur Physiotherapie, wo ich um 10 Uhr fertig war.


Danach war ich kurz einkaufen, obwohl der Rewe Lieferservice bald kommen sollte. Aber einiges muss man ja doch noch frisch im Markt kaufen. Ab und zu fotografiere ich mir ein Produkt schnell ab, welches ich dann später auf die Einkaufsliste meiner Rewe App speichern will.


Und natürlich bringe ich meiner Kleinen diese Ü-Eier mit;-)


Wieder zuhause legte ich Wäsche zusammen, hängte die fertige Maschine auf und fing an, Mittagessen zu kochen. Montag ist der einzige Tag, wo ich ganz in Ruhe kochen UND essen kann und ich genieße dies immer sehr. Es gab zum ersten Mal in diesem Herbst Kürbis! Zwischendurch bereitete ich noch ein paar Angebote von zu klein gewordenen Schuhen für den Verkauf bei Ebay vor.


Gegen 12:45 Uhr klingelte der Rewe Lieferservice und ich war eine Weile mit Einräumen und Verstauen beschäftigt. Für uns ist das eine riesen Erleichterung, sich die ständig wiederkehrenden und schweren Sachen liefern zu lassen. Hätte ich das mal schon in der Babyzeit des Großen gemacht (gab's das damals schon?)!


Danach war Entspannung angesagt und ich las und surfte auf dem Sofa. Kurz bevor ich die Kinder abhole, denke ich montags immer, jetzt könnte ich noch einen freien Tag ohne To Dos hinterher gebrauchen. Ich komme immer nur sehr schwer und langsam in den Erholungsmodus und möchte noch so vieles machen.

Um 15:30 Uhr holte ich die Kinder ab und wir gingen unser obligatorisches Nachmittagseis essen. Die Koalabärchen haben wir selbst oben raufgesteckt. Man kann sie im Café aber auch bestellen.


Danach wollte ich heute mal wieder in den Park, weil die Hitze dort am erträglichsten ist. Der Große hatte zwar schlechte Laune und maulte immer wieder, aber irgendwann hatten wir den Weg von eigentlich 10 Minuten geschafft. Am Springbrunnen kühlten wir uns erstmal ab


und hielten die Beine ins Wasser. Die Laune wurde besser.


Der Große schaute pikiert zwei Gleichaltrigen zu, die heftigst mit den Füßen planschten und sich komplett nass spritzten. Das würde er nicht im Traum machen!

Später gab es natürlich noch ein Eis im Parkcafè bzw. für mich eine Eisschokolade, von der ich allerdings nicht mal die Hälfte abbekam. Typisch! Die Kinder spielten tatsächlich allein im großen Sandkasten (eine Seltenheit!) und ich konnte auf der Bank sitzen.

Um 18 Uhr gingen wir heim und aßen Abendbrot. Danach spielte der Papa noch kurz mit den Kindern "Schnappt Hubi"


und ich bügelte 15 Teile,


bis es für die Kinder ins Bett ging. Um 20:30 Uhr war Feierabend.


Gute Nacht!

Samstag, 10. September 2016

In einem Jahr ist Einschulung!

Heute war in Berlin Einschulungstag und das ist für uns besonders aufregend, weil unser Großer nächstes Jahr eingeschult wird. Unfassbar! Obwohl ich schon seit letztem Jahr (wir haben im Oktober 2015 schon zwei Schulen beim Tag der offenen Tür besichtigt) die Gedanken an den baldigen Schulstart wälze, rückt der Tag nun unaufhaltsam immer näher. Er gehört in der Kita zu den Großen, den Vorschulkindern, man macht sich Gedanken über die Urlaubsplanung 2017, bei der die 7 Wochen Pause zwischen dem Kitaende am 31. Juli und dem 1. Schultag am 11. September bedacht werden müssen, und er wird überall für ein Schulkind gehalten.
Im letzten Jahr war ich mit der Kleinen zufällig vormittags am Einschulungssamstag unterwegs und wir sahen die Schulanfänger samt Familien und Schultüten auf den Straßen spazieren. Das fand sie sehr spannend (sie war damals 2 1/4). Diesmal wollte ich nun bewusst mit dem Großen bis zur Schule gehen und ihm einen kleinen Vorgeschmack geben. Deshalb spazierten wir Hand in Hand - und es ist unglaublich, dass der Große jetzt, mit 5 Jahren, endlich ab und zu mal bereitwillig und unverkrampft an der Hand läuft! - unsere Hauptstraße bis zur Einzugsgrundschule, beobachteten die Schulanfängerfamilien und quatschten darüber, wie das nächstes Jahr bei uns sein wird. Vor der Schule bekam er noch eine Brotdose geschenkt und staunte über die Schultüten.
Insgesamt war er erstaunlich gelassen und unaufgeregt. Ein Jahr ist eine unvorstellbar lange Zeit für ein Kind und natürlich weiß er nicht, was auf ihn zukommt. Das Thema wird aber immer präsenter, sowohl in der Kita, bei uns zuhause als auch bei Freunden. Wenn er auf dem Spielplatz alte Kitafreunde trifft, die sich darüber austauschen, in welche der vielen ersten Klassen sie kommen, fragt er uns danach, in welche er denn kommt. Wir sprechen ab und zu darüber, wie es dann morgens und nachmittags sein wird, wenn wir zwei Anlaufstellen (Kita und Schule) haben. Und er weiß auch schon, dass es dann nicht mehr möglich ist, ihn als Mittagskind abzuholen oder einen Tag ganz raus zu nehmen, um übers Wochenende wegzufahren, wie es jetzt zwar selten der Fall, aber eben immerhin möglich ist. Das Thema ist ihm also durchaus schon bewusst. 
Er hat in den letzten Wochen ein großes Interesse am Rechnen entwickelt. Er kann zwar noch nicht alle Zahlen schreiben, rechnet aber wie ein Weltmeister. Er fragt mich Hausnummern ab, er addiert und subtrahiert, fragt, was größer und kleiner bzw. mehr und weniger ist und ist dabei sehr ehrgeizig. Das kam ganz plötzlich, ohne Einwirkung unsererseits. Für Buchstaben bzw. das Schreiben und Lesen hat er bisher noch kein ausgeprägtes Interesse. Ich bin gespannt, wie das weitergeht. 
Doch nun werden wir erstmal das letzte Kitajahr noch genießen, die Freiheit und das Unbelastetsein am Nachmittag schätzen und uns freuen, dass er noch ein Jahr ohne Verpflichtungen und Druck reifen und emotional wachsen kann. Und wir mit ihm. 

Nachtrag:
Am 15.09.16 kam die offizielle Einladung zur Schulanmeldung an. 

Montag, 5. September 2016

Entwicklungsgespräch über die Kleine am 31. August 2016

In diesem Jahr hatten wir beide Entwicklungsgespräche ziemlich nah beieinander. Das über den Großen, der jetzt ein Vorschulkind ist, habe ich hier beschrieben. Die Kleine war nun letzte Woche dran. Das Gespräch beinhaltete zwar keine großen Überraschungen, aber eine eindeutig positive Entwicklung, die die Kleine gemacht hatte. Generell treffen viele der Beschreibungen und Einschätzungen noch zu, die ich im Beitrag über das erste Entwicklungsgespräch notiert habe. Sie ist in der Kita angepasst, ruhig, zurückhaltend, friedlich, hilfsbereit, selbstständig, kooperativ, sehr musikalisch, kann konzentriert spielen und macht keine Probleme.

Nach dem Wechsel der 4-jährigen Kinder in den großen Elementarbereich gehört sie jetzt zu den "Großen" im kleinen Elementarbereich und ist erkennbar aufgeblüht, wie andere Kinder auch. Sie kommen jetzt im Morgenkreis zu Wort, kennen die Regeln der Gruppe schon und sind Stützen der Erzieher bei der Integration der jüngeren Kinder. Diese Position bekommt der Kleinen wohl sehr gut und hat ihr Selbstbewusstsein gesteigert. Meine Befürchtung, sie würde leiden beim Weggang der Großen, weil sie sich immer mehr an älteren Kindern orientiert, hat sich nicht bestätigt. Sie kommt in der Gruppe mehr aus sich raus und kann ihr Wissen zum Besten geben. Das tut ihr gut.

Sie ist sehr regelverliebt und achtet auf die Einhaltung der gruppenspezifischen Regeln. Sie spielt gern mit anderen, kann sich aber auch gut eine ganze Weile allein beschäftigen. Manchmal zieht sie sich erkennbar zurück, wenn ihr der Trubel zuviel wird. Sie liebt Rollenspiele und spielt gern mit anderen Mädchen in der Puppenecke, schaut sich gern Bücher an und ist sehr ehrgeizig bei Bastelsachen. Sie geht nun mittlerweile bereitwillig mit auf Ausflüge und Spaziergänge, was vor einem Jahr noch nicht der Fall war. Da wurde uns ja sogar nahegelegt, mit ihr mehr das Laufen zu trainieren. Derzeit ist es so, dass sie sich immer freiwillig meldet, wenn es um Ausflüge geht und sogar sauer wird, wenn sie nicht mitgehen darf, weil auch mal andere Kinder dran sind. Also eine eindeutig positive Entwicklung.

Ihr Allgemeinwissen ist sehr umfangreich, ihre Erinnerungsfähigkeit ausgeprägt und sie ist eines der wenigen Kinder im kleinen Elementarbereich, welche die grammatischen Formen schon fast korrekt verwenden. Dafür hat sie einige Aussprachefehler im Konsonantenbereich, was ich schon bei ihrer U7a angesprochen habe. Das hat aber noch Zeit. Sie ist kognitiv sehr sehr weit, eine Aussage, die mich besonders freute, da ich diese Einschätzung schon lange über die Kleine getroffen habe. Ihre Frustrationstoleranz hat sich deutlich verbessert. Während sie vor einem Jahr noch losschrie, wenn ihr etwas nicht passte, versucht sie das Problem nun erstmal anders zu lösen. Sie ist überhaupt kein aggressives Kind und wehrt sich handgreiflich nur, wenn sie stark in die Enge getrieben wird. Die Erzieherin sagte, wenn die Kleine losschreit, dann weiß sie, jetzt ist wirklich was Größeres gewesen, und reagiert dann auch.

Insgesamt ist sie in der Kita sehr vorsichtig, geht achtsam mit Spielsachen um, macht nichts kaputt und verhält sich sehr bewusst und bedacht. Das ist ein großer Unterschied zu ihrem Verhalten zuhause: bei uns ist sie die Chaosqueen, ungestüm, wirbelig, oft zerstörerisch, unachtsam und oft auch ein bisschen tollpatschig, weil sie eben ohne zu überlegen auf Tische klettert oder sich Dinge aus dem hintersten Fach rausholt, was der Große nie macht. Als wir das erzählten, konnte die Erzieherin es fast nicht glauben, weil es in der Kita so anders ist. Aber besser so als andersherum.

Zum Schluss sprach ich noch eine Sorge an, die ich habe: ihr Sozialleben, ihre Freundschaften. Ich habe den Eindruck, sie hat keine intensiven, tiefergehenden Spielkontakte in ihrer Gruppe. Sie wurde bisher nur auf einen Kindergeburtstag eingeladen, hat keine Kinder, die mit ihr auf den Spielplatz gehen wollen und niemanden, der sie überschwänglich begrüßt oder verabschiedet. Das ist wahrscheinlich alles in diesem Alter noch völlig normal, aber ich wollte einfach mal hören, wie die Erzieherin das einschätzt. Sie versicherte mir, dass sie mehrere feste Spielpartnerinnen hat und diese eine richtig nette Truppe aus ca. 5 Mädchen sind. Sie spielt gern mit ihnen, ist aber nicht unbedingt auf sie angewiesen, sondern kann sich eben auch allein beschäftigen. Ein großer Teil des Soziallebens solcher kleinen Kinder läuft ja sowieso immer über die Mütter. Ich bin gespannt, wie sich das entwickeln wird. Kürzlich ist ein neues Mädchen in die Gruppe gekommen, zu dem sie wohl schnell einen guten Kontakt gefunden hat. Die Erzieherin sieht keinerlei Probleme in ihrem Sozialverhalten.

Da die Kleine und ihre etwa gleichaltrigen Freunde sich nun so gut entwickeln, viel Selbstbewusstsein erlangen und sich noch weiter entfalten sollen, wird diese Kerntruppe noch ein komplettes Jahr länger im kleinen Elementarbereich bleiben und erst zum August 2017 in den großen Elementarbereich wechseln. Obwohl ich diese Entscheidung, die nicht nur die Kleine betrifft, verstehen kann und auch grundsätzlich gutheiße, wurde uns mit dieser Information die Hoffnung genommen, dass beide Kinder im Frühjahr 2017 gemeinsam auf Kitafahrt gehen und wir somit zum ersten Mal in 6 Jahren komplett kinderfrei gewesen wären. Eine andere Chance dafür gibt es nicht. Denn die Kitazeit des Großen endet im Juli 2017 und die Termine für Klassenfahrten in der Schule überschneiden sich sicherlich nicht zufällig mit denen der Kita. Schade und verständlicherweise etwas frustrierend für uns, auch wenn es für die Kleine sicherlich richtig ist.

Obwohl es also einige Unterschiede in ihrem Verhalten in der Kita und zuhause gibt, ist der Kontrast lange nicht so krass wie beim Großen im gleichen Alter. Sie passt sich zwar an, es scheint ihr aber nicht so schwerzufallen wie dem Großen seinerzeit, was man an ihrer Ausgeglichenheit am Nachmittag merkt. Da haben wir mit dem Großen anderes durch und sind froh darüber, dass es bei ihr nicht so ist. Ab September beginnt sie nun auch mit dem Musikgarten in der Kita und freut sich sehr darauf. Schließlich ist sie eine wandelnde Jukebox;-). Insgesamt sind alles sehr zufrieden auseinandergegangen und es gibt keinerlei Sorgenthemen. Schön!

Freitag, 2. September 2016

Erinnerungen an mein Jahr als Au Pair in London

Ich kann es kaum glauben, aber meine Kleine ist jetzt mit 3 1/4 Jahren so alt wie das Mädchen, das ich als Au Pair vor 22 Jahren betreute. Sie sieht fast genauso aus wie sie. Und ich selbst bin schon deutlich älter als meine damaligen Au Pair-Gasteltern. Unfassbar! Das und die aktuellen Erfahrungsberichte in der Elternbloggerszene (Links siehe unten) nehme ich mal zum Anlass, um euch ein wenig über mein Au Pair-Jahr zu erzählen. Es war aufregend, bereichernd, emotional anstrengend und in jedem Fall eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte und die mich erwachsen gemacht hat.

Ich betreute nach dem Abitur (1993/94) zwei Kinder im Alter von 6 (Junge) und 3 Jahren (Mädchen) und lebte 10 Monate in einer lieben Familie in London, die mich über eine Agentur gefunden hatte. Ich muss ehrlich sagen, dass ich kaum Erfahrung mit kleinen Kindern hatte. Weder babysittete ich noch hatten wir Kleinkinder in der Familie. Ich half ab und zu bei der Kinderbetreuung unserer Kirchengemeinde, hatte im Schulhort gearbeitet und mal Nachhilfe in der Schule gegeben. Das war's. Ich wollte einfach nach der Schule ins Ausland, aber nicht völlig auf mich allein gestellt sein, und da bot sich das Konzept des Au Pair-Mädchens an. Das ist meiner Meinung nach eines der grundlegenden potentiellen Missverständnisse zwischen Au Pair-unerfahrenen Familien und Au Pairs. Die Familien wollen Hilfe, Entlastung und ein erfahrenes und engagiertes Kindermädchen, die Au Pairs dagegen Auslandserfahrung sammeln im Rahmen eines sicheren Umfelds. So war es bei mir auch.

Mein Glück war, dass meine Familie die Tätigkeiten ihres Au Pairs eher im haushalterischen als im Babysitter-Bereich erwartete. Im Haushalt kann man schließlich nicht soviel falsch machen wie mit Kindern, die man nicht kennt, und die Arbeiten sind auch geregelter und besser abgrenzbar. Ein weiterer Vorteil war, dass meine Au Pair-Mutter keiner angestellten Tätigkeit nachging (sie machte eine Weiterbildung und gab Coaching-Sitzungen) und somit weniger gestresst war als eine Mutter, die täglich von 8-15 Uhr im Büro sitzt und danach Kinder und Haushalt wuppen muss. So hatte sie selbst nicht nur Zeit zum Einkaufen und Erledigen von Besorgungen, sondern auch Tagfreizeit, was man deutlich an ihrer Entspanntheit mit den Kindern merkte. Gleichzeitig hatte sie aber durch die Weiterbildung auch intellektuelle Herausforderungen und war somit nicht unzufrieden wie vielleicht reine Stay-at-home-Moms. Ihre Ausgeglichenheit merkte ich schon damals und sehe rückwirkend aus meiner jetzigen Perspektive als Working Mom, wie zufrieden sie mit dieser Aufteilung gewesen sein muss. Der Vater arbeitete Vollzeit als praktizierender und lehrender Arzt, die Kleine ging in den Kindergarten und der Große in die Schule. Die Mutter war übrigens selbst Au Pair in Paris gewesen, kannte somit auch die andere Seite der Medaille und wollte ihren Kindern die Offenheit gegenüber anderen Kulturen mitgeben.

Das war unser Haus in London

Ich hatte einen festen, schriftlich fixierten Wochenplan an Haushaltstätigkeiten zu erfüllen, der die Vormittage ausfüllte, die ich sonst ja untätig zuhause gesessen hätte. Das fand ich gut und hat mich auch nicht gestresst. Nachmittags hatte ich meist frei. Außerdem hatte ich einen Abend pro Woche (meist Samstags) zu babysitten und zwei Morgende pro Woche früh mit den Kindern aufzustehen und sie fertigzumachen. Ansonsten ging ich erst runter, wenn alle das Haus verlassen hatten. Das war sehr komfortabel. Aus meiner heutigen eigenen Kindererfahrung heraus kann ich sagen, dass der Morgen umso stressfreier abläuft, je weniger Personen herumwuseln. Insofern hatte das schon seinen Sinn. Freitags musste ich die Kleine mittags aus ihrem Kindergarten abholen, was ein längerer Fußmarsch hin und zurück, aber eine willkommene Abwechslung war, und sie nachmittags allein betreuen, bis der Rest der Familie eintrudelte. Freitags hatte ich somit den ganzen Tag zu arbeiten, während ich dienstags und samstags viel Tagfreizeit sowie sonntags komplett frei hatte. Der 6-Jährige wurde immer von der Mutter zur Schule gebracht und nach Hause geholt, der Schulweg betrug 2 Minuten. Nach meiner vormittäglichen Tätigkeit im Haushalt hatte ich von Mittag bis gegen 17 Uhr Freizeit. Dann gab es Abendessen (ohne den Vater) und ich räumte in der Küche auf, während die Mutter die Kinder bettfertig machte. Auch hier wieder die klare Trennung Au Pair = Haushalt und Mutter = Kinder. Klar half ich auch mal beim Baden und spielte mit den Kindern, aber die Aufteilung war erstmal festgelegt. Ab 19:30 Uhr hatte ich frei, die Kinder wurden bis auf wenige Ausnahmen von den Eltern ins Bett gebracht, auch wenn ich babysittete.

Für mich war das optimal, denn ich war anfangs sehr unsicher, mit den Kindern und überhaupt. Erstens ist es sprachlich schwer, selbst wenn man die Sprache gelernt hat. Viele Alltagsbegriffe kennt man einfach nicht und man kann sich gar nicht alles merken, was man fragen oder später nachschlagen müsste. Zweitens versteht man so kleine Kinder sowieso noch schwer, da sie undeutlich oder grammatikalisch fehlerhaft sprechen. Drittens muss man sich in der fremden Umgebung einleben, die Rituale und Bräuche der Familie kennenlernen und verinnerlichen und tritt in einige Fettnäpfchen. Zum Beispiel setzte ich mich anfangs abends immer ins Wohnzimmer, weil ich es von zuhause so gewohnt war, ohne zu bedenken, dass die Gasteltern auch mal ihre Ruhe haben wollten. Das wäre für mich heute ein No Go, wenn jemand abends auf meiner Couch sitzen würde, und ich habe das nach einer Woche sein lassen. Man muss sich Unmengen an Namen, Informationen und Besonderheiten merken und lernen, wie, was und wann die Familie gemacht haben möchte.

Daneben möchte man noch für sich selbst ein soziales Leben aufbauen, sprich möglichst einen Sprachkurs besuchen und dort vielleicht andere Au Pairs kennenlernen, die Stadt durchstreifen und Freizeitmöglichkeiten auftun. Es ist gerade in den ersten Wochen sehr viel Neues, und einige Au Pairs schaffen es nicht über die Anfangszeit hinweg. Oder die Chemie passt nicht oder die Vorstellungen sind zu unterschiedlich. Da gibt es tausend Gründe und es ist auch nicht schlimm, sich einvernehmlich zu trennen. Schlimm finde ich nur, wenn es Ausnutzung auf einer Seite gibt, also z.B. ein Au Pair sich nur ausruhen will und um nichts kümmert oder die Familie das Au Pair ausnutzt, indem es 100% eingesetzt wird, was ganz klar keine Grundlage für das Au Pair-Leben ist, weil es auch die Möglichkeit haben soll, Sprache und Land kennenzulernen. Letzteres hat meine damalige beste Freundin in London erlebt und die Familie von sich aus gewechselt.

Insofern hatte ich Glück, dass ich meine fehlende Kindererfahrung ausgleichen konnte durch gewissenhafte und ordentliche Haushaltsarbeiten. Ich hielt das ganze Haus in Schuss, es gab keine separate Putzfrau. Das war aber völlig okay, denn ich hatte ja viel Zeit. Bis zum Nachmittag war die Familie außer Haus (bis auf die Mutter). Nachmittags war ich dann da und half ihr beim Abendbrot. Jetzt als Mutter kann ich mir gut vorstellen, wie sehr es entstresst, wenn man weiß, es räumt jemand die Küche und Kinderzimmer auf, kehrt und wischt, und ich könnte mich entspannt an die Badewanne der Kinder setzen. Bei ihr hat man kaum Gereiztheit oder Anspannung gemerkt, sie war sehr geduldig und liebevoll mit den Kindern. Ich glaube, es war ihr auch lieber, dass sie die Arbeit mit den Kindern selbst macht, weil sie einen (aus meiner heutigen Sicht) sehr bedürfnisorientierten Weg mit ihren Kindern ging und wenig Interesse daran hatte, dass eine unbedarfte jugendliche Fremde (Au Pair) da ungewollte Ansichten oder Praktiken hineinbrachte. Die Erziehungsarbeit leistete sie fast allein und das auch gern. Sie mochte es auch eher weniger, wenn der Familienvater seine Erziehungsansichten ins Spiel brachte. Insofern machte es Sinn, dass das Au Pair meist nur zusammen mit ihr und den Kindern agierte, selten allein. Denn sie wusste ja nie, was kommt da für ein Mensch, was hat sie für Voraussetzungen, Erfahrungen, Anschauungen. Ich musste die Kinder nicht ins Bett bringen, ich musste sie nicht zu Kindergeburtstagen begleiten, ich musste keine Hausaufgaben machen und sie bis auf 2-mal nicht von Freunden abholen. Das machte alles die Gastmutter, die ja auch die zeitlichen Möglichkeiten dazu hatte. Das sieht in einer Familie mit einer regulär arbeitenden Mutter sicherlich anders aus.

Ich glaube, sie wollte nicht, dass ihre Kinder mit dem Au Pair mehr Zeit verbringen als mit ihr und mehr von fremden Menschen geprägt und erzogen werden als von den eigenen Eltern. Sie hat sich eindeutig immer in der Verantwortung gesehen und mich behutsam einbezogen, mich aber nie mit der Verantwortung allein gelassen. Ganz zum Schluss verbrachte ich mal einen ganzen Tag allein mit den Kindern und machte mit ihnen einen Ausflug. Das war aber erst, nachdem ich schon knapp 10 Monate da war. Auf diesem eigentlich schönen Ausflug ärgerten mich die Kinder auf der Rückfahrt so sehr, dass ich mit dem Wegfall des Abendbrots drohte. Natürlich völliger Blödsinn, aber was hatte ich denn für Erfahrungen und auch für Möglichkeiten an Konsequenzen? Fast keine. Selbstverständlich machte ich ihnen Abendbrot, aber der Junge erzählte das dem Papa, als dieser kam. Das war mir sehr unangenehm, ich wusste mir aber auch nicht anders zu helfen und ich glaube, der Papa war sich auch unsicher, wie er mit der Situation umgehen sollte (also meine Autorität nicht zu untergraben und andererseits loyal zu seinen Kindern zu sein). Meine Gastmutter war da zwei Tage verreist, die sonst in solchen Situationen wunderbar vermittelte.

Sie hat mich auch nie gebeten, mich um die Kleine zu kümmern, während sie Hausaufgaben mit dem Großen machte. War ich nachmittags zuhause, konnte sich schon manchmal meine Freizeit mit der Kinderspielzeit vermischen. Meist war ich aber unterwegs, entweder in der Sprachschule, in der Bibliothek, im Park, bummeln, traf mich mit einer Freundin oder machte einen kleinen Ausflug. Mir war es sehr wichtig, nicht zu sehr fixiert auf die Gastfamilie zu sein. Da die Familie schon Au Pair-Erfahrung hatte, denke ich auch, dass sie gut wussten, was genau sie brauchten und was nicht. Die konkrete Anleitungs- und Aufgabenliste war sehr hilfreich und wichtig und alles andere musste sich einspielen. Ich erledigte meine Arbeiten immer zuverlässig, kam pünktlich zurück, war selten krank und machte keine Probleme. Ich diskutierte nicht, sondern respektierte die Gasteltern und die Familienorganisation.Wenn ich Freizeit hatte, dann nutzte ich diese aber auch meist für mich, anstatt mich noch mehr ins Familienleben einzuklinken. Das handhabt sicherlich jedes Au Pair unterschiedlich, meine Vorgängerin (ein Sommer-Au-Pair) war da anders und verbrachte auch oft die Wochenenden mit der Familie. Sie war aber auch nur 6 Wochen da. Ich wollte das nicht und dachte, dass es auch für die Familie schön ist, unter sich zu sein.

Die ersten Wochen waren schon irgendwie schwierig und merkwürdig. Die Kinder mussten sich an mich gewöhnen, was dem Jungen schwerer fiel als der Kleinen. Ich war ein eher zurückhaltender Mensch und hatte, wie gesagt, kaum Erfahrung. Der Junge akzeptierte mich erst, als ich anfing, mich für seine Lego-Bauwerke zu interessieren. Mit ihm hatte ich ja auch kaum Zeit allein. Mit der Kleinen wuchs ich schneller zusammen, obwohl ihr Charakter mich mehr herausforderte; wir verbrachten ja auch jede Woche den Freitagnachmittag miteinander. Mit dem Haushalt kam ich ganz gut klar, einige Dinge sagte mir die Gastmutter, wenn sie etwas anders haben wollte, ansonsten schien sie damit zufrieden zu sein oder meinte sogar, ich mache zuviel (jeden Abend die Küche wischen). Freitagabends gab es meist eine gemeinsame Familienmahlzeit, oft mit Verwandten oder Freunden. Daran nahm ich auch teil, das war ungewohnt, aber schön. Besonders freute ich mich, wenn der deutsche Schwager mit zu Gast war. Das war ein Stück Heimat. Auf Reisen oder in Urlaube fuhr ich nicht mit, ich hatte dann frei und fuhr meist selbst weg. An den Wochenenden hätte ich sicherlich einige Unternehmungen mitmachen können, aber ich wollte lieber selbst die Stadt entdecken und machte auch oft Bustouren oder besuchte Museen und  Ausstellungen.


Richtig angekommen war ich wohl erst, nachdem ich zu Weihnachten nach Hause geflogen war und im neuen Jahr wiederkam. Ich merkte, wie wohl ich mich fühlte, dass ich nun sicherer war und noch viel erleben wollte. Ich war sprachlich weiter und konnte auf die Kinder besser reagieren. Aber es dauerte eben seine Zeit. Zum Glück fand ich relativ schnell ein paar Kontakte, durch die Sprachschule lernte ich meine dortige beste Freundin und andere Au Pairs kennen, in einem Museum einen jungen Engländer, bei dem ich ein Mal übernachtete, ohne mich bei meiner Au Pair-Familie abgemeldet zu haben (ein No Go aus heutiger Sicht, sie müssen vor Angst gestorben sein, immerhin hatten sie die Verantwortung für mich), und durch einen Wechsel der Sprachschule nochmal ganz andere Leute aus verschiedenen Nationen, die oft regulär arbeiteten oder studierten. So war ich nicht ganz so sehr auf die Familie fixiert.

Ich hatte ein winzig kleines, spartanisches Zimmer von ca. 9qm, mit einer Ausziehcouch, einem Schrank, einem TV und einem ausklappbaren Schreibtisch. Daran musste ich mich wirklich erst gewöhnen, habe es mir aber mit der Zeit gemütlich gemacht. Die Platzverhältnisse des Hauses gaben auch nichts anderes her. Meine Arbeitszeit betrug ca. 30 Stunden pro Woche, fühlte sich aber für mich nicht so viel an. Ich bekam damals ein Taschengeld von 35 Pfund pro Woche, das waren ca. 90 DM, also ca. 360 DM im Monat. Klingt viel, wenn man bedenkt, dass ich voll verpflegt wurde und theoretisch kaum Ausgaben haben sollte. Allerdings waren die Londoner Preise für Fahrscheine, Eintritte usw. schon damals enorm hoch, so dass für mich, die ich am Wochenende immer unterwegs war, nicht nur nichts vom Taschengeld übrig blieb, sondern ich für das ganze Jahr noch einen größeren Betrag von meinem Ersparten zubuttern musste. Die Aussage "Ohne finanzielle Unterstützung der [eigenen] Eltern lässt sich ein Au Pair-Aufenthalt in den meisten Fällen nicht verwirklichen" hielt ich vorher für übertrieben, aber sie bewahrheitete sich. Die Sprachkurse, Lehrmaterialien und Prüfungsgebühren mussten selbst bezahlt werden, den freiwilligen Heimflug über Weihnachten bezahlte ich selbst und natürlich kaufte ich mir auch CDs, Klamotten, Bücher etc. Von der Gastfamilie wurden die Versicherungen, die Vermittlungsgebühr an die Agentur und der Hin- und Rückflug übernommen, Fahrtkosten, Sprachkurse etc. nicht. Zu Weihnachten bekam ich ein kleines Radio geschenkt, da ich oft das Radio aus der Küche stibitzt hatte. Ich kaufte mir auch ab und zu Lebensmittel, auf die ich Appetit hatte und die es in meiner Gastfamilie nicht gab. Ich liebte es, bei Tesco einkaufen zu gehen!

Über einen Urlaubsanspruch wurde nie gesprochen, ich wusste darüber nichts. Über Weihnachten war ich 2 Wochen auf Heimaturlaub, im Frühjahr war die Gastfamilie 3 Wochen verreist und ein paar freie Wochenenden kamen dazu, also hatte ich insgesamt ca. 6 Wochen frei. Ich weiß nicht mehr, ob ich für diese Zeiten das Taschengeld weitergezahlt bekam. Als ich mal eine Woche richtig schlimm krank war und nichts machen konnte, erhielt ich trotzdem mein Taschengeld. Das überraschte mich sehr, obwohl es eigentlich selbstverständlich ist. Aber ich hatte ein schlechtes Gewissen. In den 3 Wochen Abwesenheit im Frühjahr durfte ich Besuch in unser Haus einladen. Erst kam eine Freundin und danach meine Familie, jeweils für 10 Tage. Das war schon sehr großzügig. Ebenso durfte ich zweimal nach meiner Rückkehr (1995 und 1998) jeweils im Sommer mit meinem damaligen Freund Urlaub im Haus machen. Auch dies fand ich sehr nett und nicht selbstverständlich.

Ab und zu schickten sie noch Fotos und im Jahr 2010 traf ich mich mit den Gasteltern, als sie Berlin besuchten. Das war merkwürdig-schön. Bei diesem Treffen merkte ich auch wieder, welches Glück ich mit ihnen gehabt hatte. Und ich glaube, insgesamt waren sie auch mit mir zufrieden, obwohl ich nicht die große Kinderbespaßungsmaschine gewesen war (und auch als Mama jetzt nicht bin). Wenn sie allerdings naiver, unerfahrener oder unstrukturierter an das Thema Au Pair herangegangen wären, so hätte das vielleicht anders ausgesehen und sie hätten von mir mehr Entlastung in Bezug auf die Kinder erwartet. Arbeit mit den Kindern habe ich ihnen kaum abgenommen, sondern eher das Drumherum, also Haushalt, Babysitten, morgens zweimal ausschlafen können etc. Und stand eben immer für den Notfall zur Verfügung. Genauso war es halt von der Familie auch geplant und gewünscht gewesen.

Die Situation war komfortabel für alle, weil die Gastmutter nicht angestellt arbeitete. Kranke Kinder betreute sie selbst, die Familienorganisation machte sie fast allein und hielt ihrem Mann den Rücken frei, ohne aber die zweite Geige zu spielen. Sie bildete sich weiter, baute ihre selbstständige Tätigkeit aus, war kulturell sehr aktiv und managte das Sozialleben ihrer Kinder. Wenn es Terminverschiebungen gab, war ich jederzeit bereit, an einem anderen Abend zu babysitten oder auch mehrmals pro Woche. Dafür hatte ich ein andermal frei und gleichzeitig wurden mir auch meine Termine ermöglicht (z. B. Prüfungstermine). Das ging problemlos und wurde nie aufgerechnet. Sie wussten, dass ich bereitwillig zur Verfügung stehe, nicht über die Stränge schlage, sorgfältig und verantwortungsbewusst bin. Sie wussten aber auch, dass ich erst 19 und ein Mädchen, das zum ersten Mal von zuhause weg ist, bin. Es gab damals ja weder Smartphones noch Skype noch Emails. Es gab Briefe und sehr teure Festnetz-Telefonate. Man war wirklich allein, und manchmal war man natürlich auch einsam und traurig. Man hatte nicht immer gute Laune oder Lust auf die Arbeit oder die Kinder. Das geht uns Müttern ja nicht anders. Ein Au Pair hat allerdings eine etwas schwammige Position zwischen Familienmitglied und Angestellter, das macht es manchmal schwierig, für beide Seiten. Man muss sich als Gasteltern ab und zu auch um das seelische Wohl des Au Pairs kümmern, denn es hat ja sonst niemanden. Das muss ein normaler Arbeitgeber im Regelfall nicht. Dessen sollte man sich bewusst sein, wenn man ein Au Pair (vor allem ein junges) aufnimmt.

Wenn man als Familie kein Problem damit hat, einen fremden Menschen zu beherbergen und sich auf diesen individuell einzustellen, sei es ein Familienmensch oder eher ein unabhängiger Geist, ein lauter oder leiser, ein selbstbewusster oder zurückhaltender Mensch; wenn man die nötigen Platzverhältnisse hat und sich bewusst ist, dass die Verantwortung für die Kinder immer bei den Eltern verbleiben sollte; wenn man genaue Arbeitsaufgaben und -bedingungen fixiert und akzeptiert, dass ein Au Pair nicht nur zum Babysitten und Putzen kommt, sondern Land und Leute kennenlernen, die Sprache lernen und selbst Kontakte knüpfen möchte, dann ist das Konzept des Au Pairs eine super Sache. Weder die Familie noch das Au Pair wissen, was sie bekommen; die Familie befindet sich aber wenigstens in ihrer vertrauten häuslichen Struktur, während für das Au Pair ALLES neu und ungewohnt ist. Es erfordert deshalb ein großes Maß an Toleranz und das Relativieren von eigenen Vorstellungen und Erwartungen (auf beiden Seiten), um ein gutes Zusammenleben zu erreichen. Wir haben uns nach einer Eingewöhnungszeit, glaube ich, gut aufeinander eingestellt, so dass die 10 Monate eine schöne, einvernehmliche und konfliktfreie Zeit waren, die ich wirklich nicht missen möchte und an die ich mich noch heute, 2 Jahrzehnte später, überwiegend positiv erinnere.

Im zweiten Teil möchte ich dann mehr von meinen Erlebnissen, Gedanken und Gefühlen aus diesen 10 Monaten berichten. Aber dazu muss ich erst noch die zweite Hälfte meiner vielen Briefe und Tagebucheinträge sichten;-). Eine Reise in die Vergangenheit.

Hier noch einige Beiträge aus der Arbeitgeber-Perspektive, nämlich von anderen Mama-Bloggerinnen, die Au Pairs beschäftig(t)en:

Mama Mia: Was kostet ein Au Pair?
Heikeland: Au Pair, die Zweite
Heikeland: Au Pair - einfach mal laut gedacht
Heikeland: Au Pair - hin oder her
Me Working Mom: Kategorie Au Pair
BerlOndon-Mama