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Freitag, 28. September 2018

Ratgeber für Eltern hochsensibler Kinder: "Alle Antennen auf Empfang" (Rezension)

Ich freue mich, euch ein brandneues Buch über hochsensible Kinder vorzustellen, das gerade im Humboldt Verlag erschienen ist. Es handelt sich um das Buch "Alle Antennen auf Empfang"* von der Bloggerin Mira Mondstein und dem Familien- und Paartherapeuten Deva Wallow. Da ich die meisten Bücher über hochsensible Kinder kenne und auch schon einige rezensiert habe, war ich sehr gespannt, ob das Buch neue Informationen für mich beinhalten würde. Es wird explizit als "der praktische Ratgeber" vorgestellt, und das ist es auch. Es ist also kein wissenschaftliches Grundlagenwerk über Hochsensibilität, sondern tatsächlich ein ausführlicher Ratgeber, mit vielen praktischen Tipps, Anregungen, Hilfestellungen und Strategien für den Alltag.

Nach dem Einführungskapitel über Hochsensibilität im Allgemeinen folgen drei umfangreiche Kapitel, die die Lebensphasen von kleinen Kindern behandeln und auf spezielle Herausforderungen in diesen Phasen eingehen. Es wird das Baby- und Kleinkindalter, das Kindergartenalter und das Grundschulalter beschrieben. Danach folgen "Überlebensstrategien im Alltag" sowie Kopiervorlagen für Pädagogen und Bezugspersonen hochsensibler Kinder und ein Test. Im ganzen Buch finden sich Fallgeschichten und Berichte von Eltern zu bestimmten Situationen, die im Leben mit einem hochsensiblen Kind auftreten und herausfordernd sein können, z.B. Urlaub, Kälte, Hunger etc. Die Autoren haben auch eine spezielle Webseite zum Informieren und Weiterlesen eingerichtet: https://www.hochsensibleskind.org/.

Wer ein Schreibaby hat, bei dem sich keinerlei körperliche Ursachen finden lassen, der findet in diesem Buch einige hilfreiche Anregungen, wie der aufreibende Alltag mit solch einem Kind entstresst und erleichtert wird. Wer ein Kleinkind hat, das sich mit der Kita-Eingewöhnung extrem schwer tut, der erhält Tipps für eine sanfte Eingewöhnung, die sich an den speziellen Bedürfnissen hochsensibler Kinder orientiert. Fast alle Herausforderungen, die mit hochsensiblen Kindern auftreten können, werden angesprochen, z.B. die Themen Schlaf, Essverhalten, Kleidung, Kranksein, Waschen, Medizin, Medienkonsum, Ängste, Sozialverhalten etc. In jedem Bereich liefern die Autoren kurze Erklärungen für bestimmte Schwierigkeiten und gleichzeitig auch Anregungen für einen konstruktiven Umgang der Eltern und Bezugspersonen damit. Besonders originell und hilfreich fand ich die kurzen Sequenzen zu Kindergeburtstagen, zu Gesellschaftsspielen und zum Zahnarztbesuch sowie zum Thema Brillenträger, wozu ich meiner Erinnerung nach noch nie etwas in Hinblick auf hochsensible Kinder gelesen hatte. Wirklich toll!


Danach geht es mit dem Thema Schule weiter, einem für alle, aber besonders für hochsensible Kinder heiklen Übergang, dessen Gelingen an vielen verschiedenen, oft nicht beeinflussbaren Faktoren hängt. Die Autoren plädieren nicht für eine bestimmte Schulform, regen aber an, sich im Vorfeld gründlich mit verschiedenen Schulen zu befassen und genau hinzuschauen, was das Kind speziell braucht und was ihm helfen würde. Möglicherweise ist eine alternative Schule besser geeignet als eine staatliche, aber vielleicht sind auch andere Umstände wichtiger:
"Nicht zuletzt kann es für einen guten Start eures Kindes in seine Schullaufbahn aber auch entscheidender sein, mit befreundeten Kindern aus dem Kindergarten in dieselbe Klasse zu gehen." (S. 111)
Letzteres war beispielsweise bei uns der Fall: für meinen Sohn waren die Kontinuität des äußeren Umfelds, die bekannten sozialen Kontakte und nicht zuletzt die klare Struktur an seiner Regelschule eine große Hilfe bei seinem erfolgreichen Schulstart. Für ein anderes hochsensibles Kind mögen sicherlich andere Kriterien entscheidend sein.

In dem Kapitel Schule wird auf verschiedene Probleme wie Erschöpfung, psychosomatische Beschwerden, Leistungsdruck, Überreizung, Mobbing, Unverständnis, Perfektionismus etc. eingegangen, ebenso auf den Unterschied zwischen Hochsensibilität und ADHS. In sehr plastischen Fallgeschichten erkennt man sich und sein Kind oft wieder und erhält gleichzeitig Tipps für den Umgang mit Schwierigkeiten.

Zum Schluss folgen die "Überlebensstrategien im Alltag". Dort sind zum Beispiel Ratschläge zur geeigneten Kinderzimmereinrichtung für ein hochsensibles Kind, für Umzüge und deren Vorbereitung und Strategien zum Stressabbau zu finden. Viele Anregungen und Tipps sind aber auch schon in den vorhergehenden Kapiteln enthalten. Es gibt am Ende auch eine kurze Passage zum Thema "Was können Eltern für sich tun?", ein Bereich, den man keinesfalls ausklammern sollte, da es im Zusammenleben mit hochsensiblen Kindern essentiell wichtig ist, auch auf die eigenen Ressourcen zu achten.

Die Kopiervorlagen für Erzieher/ Betreuer/ Lehrer von hochsensiblen Kindern sowie ein Test für die Eltern, um einzuschätzen, ob ihr Kind hochsensibel sein könnte, runden das Buch ab.

Mein Fazit:

Die Autoren von "Alle Antennen auf Empfang"* haben sehr viele praktische Hilfestellungen und Geschichten von Eltern hochsensibler Kinder zusammengetragen und gebündelt. Das Buch ist wunderbar praxisnah, empathisch und mit einem liebevollen Blick geschrieben. Das Layout finde ich persönlich sehr ansprechend, es macht Freude, das Buch zur Hand zu nehmen und darin zu blättern.

Als ausführliche Einführung in das Thema Hochsensibilität ist das Buch nicht gedacht, die Einleitung fällt wirklich sehr knapp aus. Wenn man aber konkrete Hilfestellungen und Strategien für spezielle, immer wiederkehrende Schwierigkeiten im Zusammenleben mit hochsensiblen Kindern sucht, wird man hier fündig. Man erfährt, dass auch andere Eltern vor bestimmten Problemen stehen, die mit nicht hochsensiblen Kindern nicht existieren, und fühlt sich verstanden.

Ich selbst habe mir im Laufe der Jahre viele nützliche Strategien für den Umgang mit meinem Sohn selbst erarbeitet oder zufällig herausgefunden. Wir sind mittlerweile ein ganz gut aufeinander eingespieltes Team. Einige "Baustellen" gibt es zwar noch, bei denen auch keine der im Buch beschriebenen Strategien hilft, aber insgesamt weiß ich, worauf ich bei ihm achten muss. Das war aber ein jahrelanger Prozess des Suchens und Erkennens, den solch ein Buch hätte erleichtern können. Für Eltern, die sich gerade am Anfang des gemeinsamen Weges mit ihrem hochsensiblen Kind befinden, ist das Buch sehr bereichernd.

Ich empfehle das Buch deshalb sehr gern als - wie es im Untertitel steht - praktischen Ratgeber für Eltern hochsensibler Kinder.

Die Eckdaten:

Mondstein, Mira/ Wallow, Deva: Alle Antennen auf Empfang. Der praktische Ratgeber für Eltern von hochsensiblen Kindern*, Humboldt Verlag, August 2018, 184 Seiten, ISBN 978-3869106410, 19,99 €

Vielen Dank an den Humboldt Verlag für das Rezensionsexemplar.

Alle weiteren Rezensionen von mir findet ihr hier.



* Affiliate Link
Copyright Bilder: Humboldt Verlag, Frühlingskindermama

Sonntag, 15. April 2018

"Mein Schreibaby verstehen und begleiten. Der geborgene Weg für High-Need-Babys" (Rezension mit Verlosung)

Ein halbes Jahr nach ihrem letzten Buch "Ich! Will! Aber! Nicht!"* über die Trotzphase hat Susanne Mierau, Kleinkindpädagogin und Autorin des Blogs Geborgen Wachsen, zusammen mit Anja Constance Gaca, Hebamme und Autorin des Blogs Von Guten Eltern, ein neues Buch vorgelegt, mit dem sie sich wieder der Babyzeit zuwendet: "Mein Schreibaby verstehen und begleiten. Der geborgene Weg für High-Need-Babys"*, erschienen im GU Verlag am 10. April 2018.

An dem Begriff Schreibaby, der bei vielen Eltern einen unangenehmen und stigmatisierenden Beigeschmack hat und das Phänomen nur unzureichend beschreibt, sollte man sich dabei nicht stören; er wurde vom Verlag vorgeschlagen, damit das Buch von betroffenen Eltern besser gefunden werden kann (siehe hier). Es geht um Babys, die nicht nur mehr schreien als andere, sondern insgesamt höhere Bedürfnisse haben, ihre Eltern stark fordern und an ihre Grenzen bringen. Bekannt sind auch die Begriffe High-Need-Babys, 24-Stunden-Babys, untröstlich weinende Babys oder bedürfnisstarke Kinder. Diese Babys schreien viel, ausdauernd und schrill, lassen sich nur schwer beruhigen, schlafen wenig, sind schnell überreizt, können schlecht abschalten, sind unruhig ("hyperactive" nach William Sears, der die 12 Kriterien für High-Need-Babys aufstellte, siehe hier) und von unzufriedenem Temperament, sehr empfindsam und sensibel, trennungsängstlich und schreckhaft und insgesamt sehr anspruchsvoll. Während man früher die starre Dreier-Regel (Schreien über einen Zeitraum von mindestens drei Wochen an mindestens drei Tagen pro Woche mehr als drei Stunden pro Tag) heranzog, um festzulegen, wann ein Kind als Schreibaby zu bezeichnen ist, wird heute eher "das Ausmaß der Beeinträchtigung der Eltern als Grundlage für Behandlungsbedürftigkeit angesehen" (S. 30). Die subjektiv erlebte Belastung ist nun entscheidender als das bloße Zutreffen der alten Dreier-Regel. Genau da setzt das Buch an und möchte nicht das Problem, sondern die Lösung in den Mittelpunkt stellen.

Ich selbst habe das Buch aus der Perspektive einer ehemals betroffenen Mama gelesen, denn mein Sohn, jetzt 7 Jahre alt, war ein solches Baby, und zwar nicht nur in den ersten 12 Wochen, sondern sein gesamtes erstes Lebensjahr hindurch. Es war die härteste Zeit meines Lebens, sie hat mich dauerhaft über meine Grenzen gehen lassen und viele Wunden geschlagen, die teilweise bis heute nicht verheilt sind. Ich erinnere mich sehr genau an die Probleme und Herausforderungen, vor denen wir damals standen, an unsere Überforderung und Hilflosigkeit, an Verzweiflung, an Aggressionen und Wut. Und ich reagiere bis heute allergisch auf Menschen, die das Problem bagatellisieren, nivellieren oder betroffenen Eltern sogar Schuldgefühle einreden wollen. All dies spielte in meine Lektüre dieses Buches hinein, und ich muss sagen, ich hatte fast ein wenig Angst davor. Denn allzu oft trifft man auch in der Fachliteratur noch auf die Auffassung Entspannte Eltern - entspanntes Baby und Ansätze, die besagen, wenn du Folgendes tust und beachtest, schreit kein Baby unstillbar bzw. es beruhigt sich schnell. So einfach ist es eben nicht, auch wenn man gewisse Dinge wissen und beachten sollte, wenn man ein solches Kind hat. Auf diese Dinge geht das Buch ausführlich ein, ohne Schuldzuweisungen oder allzu einfache Erklärungen vorzulegen.

Das Temperament

Gleich zu Anfang betonen die Autorinnen, dass sich Babys von Geburt an unterscheiden und es Kinder mit einem angeborenen besonders empfindsamen Temperament gibt, deren Verhalten nicht so einfach zu deuten ist wie normalerweise oder die nicht auf die üblichen Beruhigungsstrategien ansprechen, ohne dass die Eltern deshalb etwas falsch machen. "Sie haben [...] besondere Bedürfnisse und stellen an Eltern andere Anforderungen als 'easy' Babys." (S. 9) Sie schlagen für den Umgang mit solchen Babys einen dreistufigen Weg vor: Beobachten - Verstehen - Handeln (S. 12). Besonders der Punkt des Verstehens ist bei diesen Babys sehr wichtig, da diese Babys eine andere Sprache sprechen als die Babys in der Umgebung, die wiederum von den Eltern andere Handlungsmuster verlangt als bei etwaigen Geschwister- oder Nachbarskindern.

Ursachen

Natürlich beschreibt das Buch mögliche Ursachen für exzessives Schreien, z. B. das Gebärmutterheimweh, Unreife, Frühgeburten, traumatische Geburten, stressige Schwangerschaften, Schmerzen, Stillprobleme, Regulationsstörungen o.ä. Betroffene Eltern sollten keinesfalls zögern, ärztliche Hilfe zu Rate zu ziehen, um körperliche oder sonstige Probleme auszuschließen. Oft dient gerade unstillbares Weinen von Babys auch dem Stressabbau, so dass man dies lediglich begleiten soll und aushalten muss (siehe Aletha J. Solter: "Warum Babys weinen"*). Im Grunde geht es aber bei High-Need-Babys um die Ausprägung eines bestimmten Temperaments, das sich eben nicht verändern, behandeln oder abstellen lässt. So mussten wir nach dem Ansprechen unserer Probleme bei der Kinderärztin, die überhaupt keine Hilfe war, nach zwei osteopathischen Sitzungen und mehreren (erfolglosen) Terminen mit der Schreibabyambulanz akzeptieren, dass keine Ursache für das Verhalten unseres Babys zu finden war, sondern wir die Tatsache, dass er ist, wie er ist, hin- und annehmen müssen. Auch im familiären Umfeld und Freundeskreis stand man dem Phänomen und vor allem unserer Überforderung hilflos gegenüber und pendelte zwischen der Aussage, das Kind würde sich doch so verhalten wie alle anderen Babys, und impliziten Schuldzuweisungen hin und her. Das einzige Buch, was mir damals wirklich half, war von Harvey Karp: "Das glücklichste Baby der Welt"*, ein Buch, das viele wertvolle und nützliche Ansätze jenseits der üblichen Ratschläge für mich bot. Ich denke, das hier vorgestellte Buch würde ich damals ebenfalls als sehr hilfreich empfunden haben.

Strategien

Genau wie auf mögliche Ursachen gehen die Autorinnen auch auf konkrete Strategien und Hilfestellungen ein, die den Alltag mit einem High-Need-Baby erleichtern können. Es geht um Körperkontakt und Hüllen (Pucken), um bequeme Babylagerung, ums Tragen und Wiegen, um eine bestimmte Schritttechnik ("Elefantenschritte", siehe S. 99), ums Stillen und Füttern, um Reizminderung und ums Schlafen. Mit dem Elefantenschritt (rhythmisch in die Knie gehen) haben wir gute Erfahrungen gemacht. Doch diese Methode hat uns damals niemand nahegebracht, sondern wir haben sie durch Ausprobieren gefunden. Die Autorinnen betonen aber auch, dass Eltern solcher Babys ganz individuell schauen müssen, was gut angenommen wird oder was vielleicht sogar noch zusätzlichen Stress auslöst.

Genauso wichtig wie die Bedürfnisse des Babys sind jedoch die Bedürfnisse der Eltern in einer solchen Ausnahmesituation. Besonders diese Eltern sollten sehr gut auf ihre Ressourcen achten und ihre Belastungsgrenzen ganz klar kommunizieren. Dass dies als Schreibaby-Eltern schier unmöglich scheint, weiß ich selbst aus eigener Erfahrung, und dennoch kann man es nicht genug betonen. Mit dem heutigen Wissen hätte ich damals auch einiges anders gemacht bzw. mich schneller von der Vorstellung, wie es doch eigentlich sein müsste, verabschiedet. Oft genug entsteht ja auch ein Stress-Kreislauf, der sich wiederum auf das sowieso schon leicht erregbare Baby auswirkt und eigentlich durchbrochen werden müsste, was aber ohne konkrete Entlastung kaum möglich ist. Deshalb finde ich besonders den ersten Punkt in der Sechs-Punkte-Liste für Schreisituationen (S. 109), nämlich sich zuerst kurz auf sich selbst zu konzentrieren, um sich selbst zu beruhigen, unheimlich wichtig. Denn man kann einen anderen Menschen nur beruhigen, wenn man selbst halbwegs ruhig bleibt. Dass dies in solchen Situationen, die sich über Monate hinweg aufbauen, wo alle Sinne angespannt und gereizt sind, sehr schwer ist, steht außer Frage.

Auch auf die Arbeit der Schreibabyambulanz wird kurz eingegangen. Mit einem guten, verständnisvollen Therapeuten kann hier sicherlich vieles erreicht werden. Bei uns war es eher so, dass die Haltung und die Aussagen unserer Therapeutin eher noch unsere Schuldgefühle verstärkten, so dass wir die (kostenpflichtige) Therapie nach der 3. Sitzung beendeten. Auch unsere Hebamme strotzte vor Unverständnis: sie habe noch nie ein Baby erlebt, was so war, wie wir unseren Sohn beschrieben. Und (ein Mal!) auf ihrem Arm war er ja ruhig. Es müsse also an unserer Unentspanntheit liegen. Unsere Kinderärztin traf ähnliche Aussagen. Zu diesem Thema raten die Autorinnen, sich von verständnislosen Menschen, die die Situation nicht nachvollziehen können und eher eine Be- als eine Entlastung sind, bewusst zu lösen. Dies ist jedoch nicht so einfach, denn dann steht man ganz schnell komplett allein da. Und die gefühlte Isolation ist ein weiterer tragischer Aspekt am Schreibaby-Elterndasein.

Schlafen

Für mich als Mama wurde im Laufe der Monate übrigens der Umgang mit dem Schlafproblem meines Großen zentral. High-Need-Babys wollen nämlich schlafen und benötigen zur Verarbeitung der vielen ungefilterten Reize, die auf sie einströmen, sogar mehr Schlaf als "normale" Babys, können aber nicht einschlafen. Sie finden nicht von allein in den Schlaf bzw. wehren sich mit aller Kraft dagegen, Letzteres bei uns sehr ausgeprägt. Der wichtigste Punkt, den wir lernten zu beachten, war, unseren Sohn regelmäßig zum Schlafen zu bringen, um Überreizung und unstillbare Schreiattacken zu vermeiden. Als das Einschlafen beim Stillen nicht mehr funktionierte, haben wir nach spätestens 3 Stunden Wachzeit darauf geachtet, ihm zum Schlafen zu verhelfen, immer gegen seinen Widerstand, aber im Grunde alternativlos. Ich habe solch eine nervenaufreibende und sehr belastende Situation, die wir täglich mehrmals hatten, mal in meinem Text Spießrutenlauf beschrieben. Da waren schon mehrere Monate vergangen, in denen ich meine Vorstellung, alle Babys schliefen allein, an jedem Ort und problemlos ein, verabschiedet hatte. Hatte mein Großer lange genug geschlafen, war er ausgeglichener und zufriedener, bis der Kreislauf der Überreizung wieder begann. Das Regulieren seines permanenten Schlafdefizites und das Zum-Schlafen-Bringen war elementar für uns in seinem Babyjahr, und so ist es bis heute geblieben, wenn er unter Stress steht. Das Thema kommt mir im Buch etwas zu kurz, weil es wirklich zentral im Umgang mit einem Schreibaby ist.

Übrigens wird im Buch auch auf Hochsensibilität kurz Bezug genommen (S. 55f. und S. 85), sowohl auf Kindes- als auch auf Elternseite, was mich freut, da ich mich mit diesem Thema ja schon lange beschäftige. Alle diese Begriffe sollen aber Kinder weder in Schubladen stecken noch stigmatisieren, sondern einfach Verständnis wecken für gewisse Besonderheiten. Für viele Menschen, mich eingeschlossen, ist es hilfreich, einen Namen für bestimmte Phänomene zu haben. Und gerade die Kombination hochsensible Mutter - hochsensibles Kind birgt tatsächlich nochmal besondere Herausforderungen.

Fazit

Das Buch von Susanne Mierau und Anja Constance Gaca stellt weder das Schreibaby als Problemfall in den Vordergrund, noch reproduziert es Schuldzuweisungen an die Eltern, die das Baby vermeintlich nur "falsch behandeln". Es fokussiert sich weniger auf mögliche Ursachen, sondern zeigt Strategien auf, um das Leben mit solch einem herausfordernden Baby zu meistern und Schwierigkeiten etwas abzumildern. Dass es kein Patentrezept gibt, sollte klar sein, und da oft (nicht immer; siehe hier) ein angeborenes Temperament die Bedürfnisstärke dieser Babys verursacht oder bedingt, ist dies auch nicht grundlegend änderbar: "Das Kind ist, wie es ist, und wir begleiten es auf diesem Weg, so gut wir eben können." (S. 9)

Ausführlich werden die Belastungen für die Psyche betroffener Eltern beschrieben, was ich persönlich sehr wichtig und hilfreich finde, da die Eltern sich oftmals alleingelassen und unverstanden fühlen. Versagensgefühle, Selbstvorwürfe, Stressreaktionen, Depressionen oder Aggressivität bis hin zum Eltern-Burnout sind nicht zu vernachlässigende Begleiterscheinungen einer solch herausfordernden Situation. Nicht selten kommt es auch zu Konflikten im Familienleben, die nicht gerade zur Beruhigung der angespannten Nerven beitragen. Insofern ist es essentiell wichtig, dass Eltern mit einem bedürfnisstarken Baby in besonderem Maße auf sich achten. Und ich finde es toll, dass ein Buch über Schreibabys viel Augenmerk darauf legt.

Wenn man ein Schreibaby hat, das nur herumgetragen werden will, kaum schläft und im wachen Zustand ständig unzufrieden und unruhig ist, bleibt nicht viel Zeit zum Lesen. Deshalb ist ein nicht zu umfangreiches, gut gegliedertes und auch häppchenweise lesbares Buch sehr angenehm. Das Werk von Susanne Mierau und Anja Constance Gaca ist da genau das Richtige. Es eignet sich nicht nur zum Durchlesen, sondern auch zum Nachschlagen. Und es gibt betroffenen Eltern an keiner Stelle ein schlechtes Gefühl, sondern hilft dabei, die Situation so zu akzeptieren, wie sie ist.

Ich hoffe, dass dieses Buch Neu-Eltern hilft, ihr Baby, das vielleicht viel schreit, mehr als andere fordert und starke Bedürfnisse zeigt, einerseits besser zu verstehen, andererseits aber auch sich selbst in dieser Ausnahmesituation nicht zu verlieren. Ich hoffe auch, dass das Wissen um solche Babys sich noch weiter verbreitet und damit Falschinformationen und Schuldzuweisungen der Umgebung aufhören. Ich wünsche dem Buch viele Leser: Eltern, Großeltern, Hebammen, Kinderärzte, Krankenschwestern und vielleicht auch Menschen, die ein entspanntes Baby hatten, damit sie verstehen, wie verschieden Babys sind und das Leben mit ihnen sein sein kann. Und sollte mein Sohn dereinst ebenfalls ein High-Need-Baby bekommen, würde ich ihm dieses Buch mit Sicherheit ans Herz legen.

Klare Leseempfehlung!


Verlosung:

Ich möchte gern mein Rezensionsexemplar an euch verlosen, denn ich selbst benötige es nicht mehr für meine Kinder. Es ist in gelesenem, aber so gut wie neuwertigem Zustand und kann bestimmt einem/r von euch noch weiterhelfen. Um in den Lostopf zu hüpfen, hinterlasst mir bitte hier einen Kommentar darüber, was euch an dem Thema interessiert, beispielsweise ob ihr ein Schreibaby habt oder hattet oder vielleicht betroffenen Eltern im Bekanntenkreis helfen wollt usw. Zusätzlich würde ich mich freuen, wenn ihr mir auf Facebook folgt und vielleicht sogar die Verlosung teilt. Ist aber keine Bedingung. Bitte gebt euren Namen im Kommentar an, sonst kann ich euch nicht berücksichtigen!

Die Verlosung läuft bis zum 22.04.2018, 23:59 Uhr. Unter allen bis dahin eingehenden Kommentaren wird der Gewinner/die Gewinnerin ausgelost und hier sowie auf Facebook bekanntgegeben. Da ich keine Mailadressen angezeigt bekomme, müsst ihr bitte die Folgekommentare abonnieren, um eine Benachrichtigung zu erhalten, oder nach der Auslosung am 23.04.2018 nochmal vorbeischauen. Die Verlosung steht in keinem Zusammenhang zu Facebook. Versand nur innerhalb Deutschlands. Mindestalter 18 Jahre. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Viel Glück!


Die Eckdaten:

Anja Constance Gaca, Susanne Mierau: Mein Schreibaby verstehen und begleiten. Der geborgene Weg für High-Need-Babys*, GU Verlag, April 2018, 128 Seiten, ISBN 978-3833865589, 14,99 €


Vielen Dank an den GU Verlag und Susanne Mierau für das Rezensionsexemplar.

*Affiliate Link
Bilder: GU Verlag, Frühlingskindermama 


Auslosung am 23.04.18: Gewonnen hat Irin, die letzte Kommentatorin. Herzlichen Glückwunsch! Danke an alle für's Mitmachen!

Donnerstag, 9. November 2017

Das Schlafen verlernt

Ich habe das Schlafen verlernt. Ich kann nicht mehr schlafen, nicht mehr abschalten, nicht mehr tief in das Reich des Morpheus versinken. Ich bin immer mit einem halben Ohr da, das Gehirn ist auf Standby, bereit, sofort zu reagieren, wenn ein Kind ruft. Ich brauche jeden Abend sehr lange, um überhaupt einzuschlafen, liege wach im Bett und warte auf den Schlaf. Ich schlafe nie tief und bin meist sofort wieder da, wenn ich dann nachts geweckt werde. Und dann liege ich wieder ewig wach. Manchmal ist das Kreisen der Gedanken daran schuld, manchmal sind es äußere Störungen wie Schlafgeräusche der Kleinen, die ja meist noch neben mir schläft. Meist jedoch liegt es daran, so vermute ich jedenfalls, dass mein Gehirn, das nun fast 7 Jahre in ständiger Bereitschaft ist, einfach nicht mehr abschalten kann. Es findet nicht mehr in den kompletten Ruhezustand.

Ich habe das gemerkt, als ich in diesem Jahr erstmals, seit ich Mama bin, zwei Mal für 3 Tage allein verreist war. Ich habe in diesen 2 x 2 Nächten geschlafen, ja, auch durchaus gut geschlafen, aber überhaupt nicht tief, ich brauchte wie zuhause ewig lange, um einzuschlafen, und war morgens viel zu früh wach, dafür, dass ich eigentlich hätte ausschlafen können. Obwohl ich allein war und für niemanden Verantwortung hatte, konnte ich mich, was die Schlafprobleme betrifft, in der kurzen Zeit nicht umstellen. Ich würde dringend mal wieder tiefe und lange Schlafnächte brauchen, aber es ist einfach nicht mehr möglich. Jetzt, wo die Kinder alt genug sind und mich nur noch selten nachts brauchen, ist das umso frustrierender. Ich habe das Schlafen durch die Kinder verlernt.

Bildquelle: Pixabay

Der Große war anfangs ein grauenhafter Schläfer, sowohl tagsüber als auch nachts. Stundenlang saß ich in den Nächten mit ihm im Stillsessel, musste immer wieder zu ihm, wenn er im Bett lag und schrie, und es gab viele Nächte in seinem ersten Lebensjahr, in denen er 3 Stunden knallwach war und herumgetragen werden musste. Dazu kam, dass er trotz dieser schlechten Nächte den Schlaf nicht morgens verlängert hat, sondern schon immer ein Frühaufsteher war (zwischen 5 und 6 Uhr). Das war für mich eigentlich das Schlimmste. Mit 15 Monaten verbesserte sich sein Nachtschlaf deutlich und er schlief dann ungefähr jede zweite Nacht durch, allerdings in Phasen, d.h. ein paar Tage lang gar nicht und dann einige Tage jede Nacht, vereinfacht gesagt. Es war unberechenbar, aber eine große Verbesserung. Mit 3 1/4 Jahren (da war die Kleine schon 1 Jahr alt!) schlief er dann endlich zuverlässig durch, und seitdem ist er wirklich ein super Schläfer. Er schläft gut ein und sehr tief, er kann auch in neuen Umgebungen mittlerweile wunderbar schlafen und er benötigt uns nachts eigentlich gar nicht (Ausnahmen bei Krankheit). Ich staune, wie er sich so komplett gewandelt hat und das Schlafen, das Zur-Ruhe-Kommen und Abschalten selbst mit der Zeit "gelernt" hat. Ich habe es aber zuerst durch ihn VERlernt.

Die Kleine war von Anfang an ganz anders in ihrem Schlafverhalten. Sie schlief tagsüber wunderbar im ersten halben Jahr, nachts etwas durchwachsener, aber für mich erträglicher als der Große seinerzeit. Ich bekam mehr Schlaf ab als bei ihm, da sie nachts schnell wieder einschlief und kaum lange nächtliche Wachphasen hatte. Allerdings wachte sie auch mit über einem Jahr, als der Große begann, besser zu schlafen, noch sehr oft auf und wollte teilweise alle 1-2 Stunden nachts stillen. Das war ziemlich anstrengend und ich war froh, als das vorbei war. Mit ca. 19 Monaten konnte sie durchschlafen, allerdings schläft sie bis heute (sie ist 4 1/2 Jahre) nicht zuverlässig durch, sondern wacht noch manchmal nachts auf. Es ist kurios, dass das Kind, was anfangs grottenschlecht schlief, nun der zuverlässige Durchschläfer ist und die Kleine eher die unzuverlässige Schläferin. Da ich meist bei ihr schlafe, bin ich davon natürlich auch direkt beeinflusst. In unserem Mallorca-Urlaub letzte Woche hatte sie einen solchen nächtlichen Husten (bei völliger Gesundheit tagsüber), dass ich eine Woche lang nachts kein Auge zugetan habe. Dort konnte ich ja auch nicht in ein anderes Zimmer ausweichen wie zuhause. Mit ihr habe ich schon sehr viele Nächte durch, in denen sie sich ständig erbrochen hat. Sowas kenne ich vom Großen gar nicht. Sie braucht auch viel Körperkontakt und kommt mir nachts sehr nahe, ich habe ihre Füße im Gesicht und ihre Hand an meinem Hals. Das lässt mich nicht schlafen bzw. weckt mich immer wieder auf. Sie hat aber Angst und wandert nachts in der Wohnung herum, wenn ich nicht bei ihr schlafe. Deshalb können wir daran auch im Moment nicht viel ändern.

Ich bin, selbst wenn ich schlafe, immer mit einem halben Ohr da, immer im Standby-Modus, bereit, sofort aufzuspringen, wenn ein Kind ruft, weint, schlecht träumt, erbricht oder raus muss. Mit einem Klick bin ich hellwach und einsatzfähig, so, als hätte ich gar nicht geschlafen. Einen richtigen Tiefschlaf kenne ich schon lange nicht mehr. Früher habe ich viel und lebhaft geträumt, das hat fast völlig aufgehört. Ich vermisse meinen guten, erholsamen, regenerativen, unbeschwerten Schlaf sehr!

Mir wurde gesagt, das mit dem Schlafen käme irgendwann wieder. Man könne das wieder lernen! Ich glaube da nicht dran. Ich fürchte, es ist endgültig vorbei. Ich werde nie wieder tief, lange und unbeschwert schlafen. Ich werde mich immer in Bereitschaft fühlen, auch nachts. Das Gehirn wird wohl nie wieder so abschalten können wie früher. Dass mir Schlaf fehlt, sieht man mir an. Dass mir Schlaf fehlt, fühle ich selbst. Aber ich kann ihn nicht herbeizwingen. Ich gehe spät ins Bett, weil ich sowieso wach liege. Und weil der späte Abend die einzige Zeit ist, wo ich längere Zeit ungestört und allein sein kann. Ich schlafe schon länger schlecht und das ist auch in Phasen völliger Erschöpfung der Fall. Oder eben auch, wenn ich mal allein in einem Hotelzimmer bin, was dieses Jahr erstmals vorkam. Seit fast 7 Jahren unterbrochene Nächte fordern ihren Tribut. Das Gehirn hat sich darauf eingestellt, dass es nicht schlafen darf. Und ich fürchte, dieser Vorgang ist nicht wieder umkehrbar.

Als Kind war uns unverständlich, dass unsere Eltern auch am Wochenende freiwillig um 7 Uhr aufstanden. Niemals wollten wir so werden! Aber wahrscheinlich werden wir das nicht verhindern können, denn mit eigenen Kindern verlernt man das Schlafen. Dabei würde man genau in dieser Lebensphase den Schlaf so dringend brauchen. Lieber Schlaf, komm bitte wieder zurück zu mir!

Donnerstag, 26. Januar 2017

Die Herausforderungen hochsensibler Jungen: "Ist unser Sohn hochsensibel?" (Rezension)

Das Buch, das ich heute vorstellen möchte, ist ganz neu auf dem Markt und im Herder Verlag erschienen: "Ist unser Sohn hochsensibel? Hochsensibilität bei Jungen erkennen und verstehen"*. Die Autorin Uta Reimann-Höhn ist Pädagogin, Mutter zweier Söhne und hat schon einige Ratgeber verfasst, u.a. zum Thema AD(H)S. Soweit mir bekannt ist, handelt es sich bei diesem neu erschienenen Buch um das erste und bisher einzige Werk, das sich speziell dem Thema "Hochsensible Jungen" widmet. Über hochsensible Männer gibt es seit kurzem das Buch Der sanfte Krieger von Oliver Domröse, doch die Hochsensibilität bei Jungen wird in den diversen Sachbüchern nur angeschnitten, z. B. in Hochsensibel ist mehr als zart besaitet von Sylvia Harke auf S. 222ff. Mich interessiert das Thema sehr, denn mein Großer ist vermutlich hochsensibel und seine in diesem Jahr bevorstehende Einschulung beschert mir viele Gedanken und Sorgen, die um sein spezielles Wesen und sein Klarkommen in diesem unindividualistischen System Schule kreisen. Dafür habe ich im Buch viele wertvolle Anregungen und Tipps bekommen. Es ist allerdings, und das habe ich fast erwartet, im Wesentlichen ein Buch über hochsensible Kinder, nicht nur Jungen.

Die Autorin startet mit einer kurzen Einführung anhand von Fallbeispielen und geht erfrischend schnell ins Detail, ohne sich an langen Erklärungen oder Diskussionen über das Phänomen der Hochsensibilität aufzuhalten. Man sollte also schon ein wenig Vorwissen zu dem Thema haben. Danach folgt das Kapitel "Positive Merkmale von hochsensiblen Jungen", in dem sie zum einen beschreibt, was hochsensible Kinder besonders gut können, zum anderen aber auch erwähnt, worunter solche Kinder gerade in der heutigen Zeit leiden. Und sie geht auf die speziellen Herausforderungen hochsensibler Jungen/ Männer ein, denn: "Besonders schwer haben es die Jungen, denn noch immer wird von ihnen erwartet, einem klassischen Rollenbild zu folgen. Ein Junge, der nicht tobt, kämpft und sich durchsetzt, wird häufig nicht ernst genommen." (S. 41f.) Und: "Hochsensible Jungen können ihre Gefühle und ihre Wahrnehmung der Welt selten mit anderen Männern teilen." (S. 139)

Spezielle Herausforderungen von hochsensiblen Jungen im Vergleich zu ihren nicht hochsensiblen Geschlechtsgenossen sind z.B.:

- die Abneigung gegen Körperlichkeit und Konkurrenzkampf: "Gerangel und Kämpfchen mögen sie nicht und vermeiden Auseinandersetzungen, wo immer es geht. Streitereien und Konflikte - Alltag im Kindergarten und für manche Jungen ein großer Spaß - sind ihnen verhasst." (S. 46)

- die Abneigung gegen Gruppen- und Wettkampfspiele

- die Abneigung gegen den Genuss von Fleisch bzw. überhaupt das selektive Essverhalten

- ihre Vorsichtigkeit, Ängstlichkeit und mangelnde Experimentierfreudigkeit, Abneigung gegen Höhe und Geschwindigkeit, fehlende Risikofreude

- ihre Emotionalität, ihr Einfühlungsvermögen, ihre Tendenz zum Vermittler und Nicht-Eignung zum "Anführer", ihre Entscheidungsscheu und Bedachtsamkeit

Nach der Einführung folgt ein Test mit 25 Fragen, der sich am bekannten Test von Elaine Aron orientiert und deren Fragen auf Jungen fokussiert. Die Fragen passen naturgemäß auf Kinder beides Geschlechts. Ich finde die diversen Tests zwar immer interessant, denke aber, dass es genau wie bei der Frage der eigenen Hochsensibilität genauso stark darauf ankommt, ob man sich selbst oder sein Kind in den Beschreibungen der Literatur bzw. den Erfahrungsberichten erkennt. Sucht man Antworten auf Fragen oder Hilfestellungen für Herausforderungen, dann beschäftigt man sich weiter mit dem Thema, unabhängig davon, wieviele Punkte man oder das Kind erreicht hat.

Danach geht die Autorin ausführlich auf die verschiedenen Lebensphasen eines Kindes ein: Baby- und Kleinkindzeit, Schuljahre und Pubertät. Sie bestätigt, dass man schon bei Säuglingen erste Anzeichen einer Hochsensibilität wie schnelle Überreizung, schlechtes Abschalten, unstillbares Schreien, starkes Fremdeln, Einforderung von Struktur und gewohnten Dingen etc. erkennen kann, konstatiert aber, dass "vielen Eltern [...] die Besonderheit dieses Verhaltens gar nicht auf[fällt], besonders wenn es sich um das erste Kind handelt" (S. 41). Das kann ich aus unserer Geschichte heraus nicht bestätigen, ich habe von Anfang an Erklärungen für das in meinen Augen auffällig ungewöhnliche und kräftezehrende Verhalten meines Großen gesucht. Auch in der Kleinkindzeit sieht man deutlich die Anzeichen für eine Hochsensibilität von Kindern, vor allem beim Thema Essen und Kleidung, Körperpflege (Waschen, Friseur, Nägelschneiden etc.), Fixierung auf wenige Bezugspersonen, Überforderung im Kindergartenalltag, Geräuschempfindlichkeit, Konfliktscheu usw. Eltern können hier durch viel Verständnis und Einfühlsamkeit großen Einfluss auf die Entwickung des Kindes nehmen.

Eine besondere Herausforderung für hochsensible Kinder ist die Schulzeit, die man gerade für diese Kinder sehr gut vorbereiten sollte. Aus diesem Kapitel habe ich angesichts der bei uns bald bevorstehenden Einschulung viele interessante Anregungen und Tipps mitgenommen. Die Umstellung auf diesen (wie auch auf jeden) neuen Lebensabschnitt kann bei hochsensiblen Kindern deutlich mehr Zeit einnehmen als bei anderen. Schule ist in fast allen Komponenten wesentlich anstrengender als der Kitaalltag. Das Kind braucht also noch mehr Regenerationsmöglichkeiten und Ruheoasen. Der Beziehung des Kindes und der Eltern zum Lehrer/zur Lehrerin kommt eine enorm große Bedeutung zu. Da hochsensible Kinder auf jegliche Art von Druck negativ reagieren, müssen bis dahin Strategien gefunden werden, um mit dem steigenden schulischen Druck umzugehen. Auch das Thema Freundschaften bringt nun besondere Herausforderungen mit sich, die Ansprüche an die Anpassungsfähigkeit an die Peergroup wachsen und Klassenfahrten sowie Teamsport sind nicht immer positive Erfahrungen für hochsensible Kinder. Perfektionismus, geringe Frustrationstoleranz, Kritikempfindlichkeit, Ruhebedürftigkeit, starkes Gerechtigkeitsempfinden, mangelndes Selbstbewusstsein machen sich während der Schulzeit noch deutlicher bemerkbar als vorher.

Besonders in der Pubertät, dieser extremsten Phase der Selbstfindung, hat die Veranlagung hochsensibler Jungen keinen Platz. Vieles, woran andere Jugendliche Freude haben, ist für Hochsensible Folter (Konzerte, Disko, Fußballspiele, Partys). Sie fühlen sich deshalb schnell ausgegrenzt und einsam, wenn sie bis dahin nicht einen oder mehrere Gleichgesinnte gefunden und diese Freundschaften auch gepflegt haben. Eine gute Methode nicht nur zum Finden von Gleichgesinnten, sondern auch zum Aufbau von Selbstbewusstsein ist das möglichst frühzeitige Aussuchen eines passenden Hobbys, wodurch sowohl Selbst- als auch Fremdbestätigung erlangt werden kann. Hierbei sollten gerade die Eltern unterstützend wirken und gemeinsam mit dem Kind/ Jugendlichen eine Leidenschaft/ ein Hobby suchen, was fordert, ohne zu überfordern, das den Kontakt zu Gleichgesinnten herstellt und Bestätigung gibt. Wenn dies nicht vorhanden ist, besteht gerade für hochsensible Jungen in der Pubertät das Risiko, an falsche Freunde zu geraten: "Werden sie von einer Gemeinschaft freundlich und ohne Bewertung ihrer Persönlichkeit aufgenommen, stellen sie deren Motive möglicherweise nicht mehr infrage." (S. 140) Deshalb ist es unabdingbar, das eigene Kind mit all seinen Facetten anzunehmen und ihm Wege zu zeigen, wie es Selbstbewusstsein und Resilienz erlangen kann. Bei der späteren Berufswahl sollten nicht nur die Interessen, sondern auch die Rahmenbedingungen (Großraumbüro, Außenkontakte, Flexibilität) berücksichtigt werden.

Zum Abschluss des Buches folgen in gebündelter Form wichtige Tipps für Eltern hochsensibler Kinder, eine Zusammenfassung und ein paar Anlaufstellen sowie Literaturvorschläge.

Zusammenfassung:

Das Buch liest sich sehr gut und flüssig, ist verständlich und praxisnah geschrieben. Ein paar Vorkenntnisse über Hochsensibilität sollte man schon besitzen. Die Fallbeispiele veranschaulichen die theoretischen Aspekte, man findet Situationen wieder, die jeder, der ein hochsensibles Kind hat, schon erlebt hat. Für mich war besonders die ausführliche Behandlung der Schulzeit unglaublich interessant und ich habe in diesem Kapitel viele sehr gute Ratschläge gefunden, die ich berücksichtigen werde. Vieles mache ich schon richtig und doch bleibt die Sorge vor den großen Herausforderungen der Schulzeit. Das Buch hat mir sehr geholfen, meinen diffusen Ängste etwas zu ordnen und zu beruhigen. Ich werde dezidiert auf die beschriebenen Punkte achten und hoffe, dadurch zu einer sicherlich nicht unanstrengenden, aber von Verständnis und Unterstützung getragenen Schulzeit für meinen Großen beizutragen.

Einige Äußerungen haben mir überhaupt nicht gefallen und mich sehr an veraltete pädagogische Muster erinnert, z.B.: "Achten Sie darauf, dass Ihr Kind solche Wutanfälle nicht dazu benutzt, seinen Willen durchzusetzen.[...] Diese Unterscheidung müssen Sie treffen, um Ihrem Kind klare Grenzen aufzuzeigen und sich nicht von ihm manipulieren zu lassen." (S. 43) oder auch "Vermeiden Sie es, gerade auch bei Schulkindern, bis zum Einschlafen am Bett sitzen zu bleiben." (S. 94) Solche pauschalen Aussagen kann ich nicht nachvollziehen, man sollte sich aber auch nicht zu sehr daran festbeißen.

Insgesamt kann ich die Lektüre dieses Buches jedem, der sich für das Thema hochsensible Kinder, speziell bei Jungen, interessiert, empfehlen. Viele der beschriebenen Aspekte passen auf beide Geschlechter und einige Bereiche sind für hochsensible Jungen besonders brisant. Sicherlich ist es für hochsensible Jungen noch schwieriger, ihren Weg zu finden, als für Mädchen. Der Rolle der Eltern bzw. Bezugspersonen kommt hier große Bedeutung zu. Im Buch finden sich äußerst wertvolle Tipps für das liebe- und verständnisvolle Navigieren durch die Kindheit und Jugend eines hochsensiblen Jungen.

Die Eckdaten:
Uta Reimann-Höhn: Ist unser Sohn hochsensibel? Hochsensibilität bei Jungen erkennen und verstehen*, Herder Verlag, Januar 2017, 192 Seiten, ISBN 978-3451614040, € 19,99

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Donnerstag, 24. November 2016

Zwischen Achtsamkeit und Fatalismus: schwanger nach Fehlgeburt und Kinderwunschzeit (Blogparade #andersschwanger)

Bevor wir unser erstes Kind, den Großen, bekamen, hatten wir schon eine Fehlgeburt und eine danach folgende jahrelange Kinderwunschzeit hinter uns. Über meine Fehlgeburt, unter der ich unheimlich gelitten habe, habe ich hier sehr emotional geschrieben, über die Kinderwunschzeit noch gar nicht ausführlich. Beide Faktoren und diese schwierige Vorgeschichte haben natürlich die Schwangerschaft mit meinem Großen geprägt. Inwiefern, das möchte Mama on the Rocks in ihrer neuen Blogparade #andersschwanger wissen.

Da meine erste Schwangerschaft in einer Fehlgeburt endete, nachdem ich gerade mal eine Woche davon wusste, und sich danach keine weitere Schwangerschaft einstellen wollte, war das Vertrauen in meinen Körper sehr gestört und die Zuversicht sank mit jedem Monat bzw. Jahr, was erfolglos verging. Außerdem gab es kein schon vorhandenes Kind, was uns abgelenkt hätte, sondern wir waren nur mit dem Schmerz, der Ohnmacht, der Wut und Trauer beschäftigt. Wenn gleich die erste Schwangerschaft mit einem Verlust endet, ist das ein einschneidendes Erlebnis, das ich kaum verarbeiten konnte. Ich kenne also nicht das Gefühl einer völlig unbelasteten, sorgenfreien Schwangerschaft, da besonders meine zweite, aber auch die dritte Schwangerschaft mit der Kleinen von der Angst vor einer erneuten Fehlgeburt oder anderem körperlichen "Versagen" geprägt waren.

Weder für die Fehlgeburt noch für die danach folgende ungewollte Kinderlosigkeit gab es irgendwelche medizinischen Gründe. Klar, mal war ein Wert hier zu niedrig oder ein Wert da zu hoch, aber es gab keinerlei Indikation dafür, dass ich nicht schwanger geblieben bin und danach nicht mehr schwanger wurde. Es war und blieb einfach unbegreiflich und unerklärlich. Als ich dann  endlich nach vielen Jahren und dem Einsatz aller möglichen medizinischen Mittel mit dem Großen schwanger war, konnte ich es einerseits kaum glauben und freute mich unbändig, erstarrte aber gleichzeitig auch und verbot mir selbst, mich zu sehr auf die Schwangerschaft einzulassen. Die ersten Wochen waren geprägt von täglicher, unterdrückter Angst, bei jedem Toilettengang zitterte ich und die Vorsorgetermine fanden für mein Empfinden viel zu selten statt. Als der Tag der Fehlgeburt (SSW 7+5) geschafft war, atmete ich auf. Allerdings hatte ich bis zur 12. Woche jeden Tag Angst vor einem erneuten Verlust und trotzdem musste das normale Leben genauso weitergehen wie bisher. Da ich kaum Übelkeit verspürte, dachte ich auch ab und zu, die Schwangerschaft sei nicht intakt. Das Vertrauen in den eigenen Körper war verständlicherweise völlig verloren gegangen. Es war eine merkwürdige Mischung aus Gefühlen und ich war gleichzeitig besonders achtsam (sicherlich achtsamer als viele andere Schwangere mit einer leichteren Vorgeschichte) und irgendwie schicksalsergeben, wusste ich doch, dass ich kaum Einfluss auf den Verlauf hatte. Als ich einmal leichte Schmierblutungen hatte, war ich so dermaßen gefasst, dass ich mich selbst kaum erkannte. Zum Glück war alles gut.

Nach den ersten 12 Wochen fühlte ich mich sehr viel sicherer, alle Untersuchungen waren super und mir ging es insgesamt gut. Als ich die ersten Babyklamotten kaufte und zuhause auf unserem Küchentisch ausbreitete, musste ich weinen. Das war sozusagen das ultimative "JA" zu dieser langersehnten Schwangerschaft. Ich kaufte mir auch ein Gerät (Angel Sounds Fetal Doppler*), mit dem man den Herzschlag des Babys hören konnte. Das hat mir in den Wochen, bis ich das Baby selbst spürte, sehr geholfen. Denn die Ultraschalltermine kamen mir lächerlich wenig und viel zu selten vor. Als bei der Feindiagnostik alles gesund und in bester Ordnung mit meinem Baby war, fiel mir ein großer Stein vom Herzen. Ansonsten haben wir keine einzige der zusätzlichen fakultativen Untersuchungen machen lassen, obwohl ich aufgrund meines Alters und der Vorgeschichte eine sogenannte Risikoschwangere war. Bis auf den Anflug einer Schwangerschaftsdiabetes gab es auch keinerlei Komplikationen

Ich war weiterhin sehr vorsichtig und hatte große Angst vor Erschütterungen. Die letzte Strecke bis zu unserem Garten ist beispielsweise sehr uneben. Die gesamte Schwangerschaft mit dem Großen hindurch stieg ich an der Hauptstraße aus unserem Auto aus und lief die ca. 10 Minuten zum Garten zu Fuß, bei jedem Besuch, abends genauso. Das machte ich in der Schwangerschaft mit der Kleinen 2 Jahre später dann nicht mehr. Ich setzte mich auf kein Fahrrad, nicht aus Angst vor Unfällen, sondern aus Angst vor Erschütterungen. Dies wiederum behielt ich auch in der Schwangerschaft mit der Kleinen bei. Es mag irrational erscheinen, aber für mich war es das, was ich zu einem glücklichen Verlauf beitragen konnte. Im Winter 2010/11, als ich schon hochschwanger mit dem Großen war, gab es außerdem eine Phase mit sehr viel Schnee und Eis. Mir war bange vor einem Sturz und ich lief extrem vorsichtig. Andererseits igelte ich mich nie zuhause ein und machte bis zur Geburt täglich lange Spaziergänge. Ich war auch weder krankgeschrieben noch im Beschäftigungsverbot, sondern arbeitete ganz normal bis zum Mutterschutz durch. Die gesamte Schwangerschaft mit dem Großen war geprägt von dem merkwürdigen Kontrast zwischen einem äußerlich normal weitergelebten Leben ohne größere Probleme, einer anfangs großen Angst und Unsicherheit, die mit fortschreitender Schwangerschaft immer kleiner wurde, einer ganz bewussten Achtsamkeit meinerseits, d.h. dem Bestreben, alles richtig zu machen und nichts zu riskieren, und gleichzeitig einem gewissen Fatalismus, d.h. dem Bewusstsein, dass es kommen würde, wie es kommen sollte. Ich glaube, diese Gefühls-Kombination kennen viele Frauen, die nach einer Fehlgeburt (endlich) wieder schwanger waren.

Die dritte, schnelle und überraschende Schwangerschaft mit der Kleinen dagegen war von wesentlich mehr körperlichen Beschwerden geprägt, von vielen Sorgen und Problemen rundherum und der Kraft, die uns, vor allem mich, der noch so kleine Große kostete, der auch mit 2 Jahren kaum in unserer Welt und seinem Leben angekommen war. Da war wieder die Angst vor einer erneuten Fehlgeburt vorhanden, zusammen mit einer Schicksalsergebenheit. Ich war nicht mehr so extrem vorsichtig, das klappte auch gar nicht mit dem 1,5-2jährigen Kind. Stattdessen war ich sehr oft genervt und auch sehr ängstlich, weil ich den schweren Großen immer noch ständig tragen musste, wo ich doch das schwere Tragen (von Bücherkisten) als einen möglichen Auslöser der Fehlgeburt ansah. Nicht nur musste ich ihn oft zur Kita und zurück tragen, weil er partout nicht laufen oder in den Buggy wollte, sondern auch nachts aus seinem Bett herausheben und schaukeln, wenn er wach wurde. Das hat regelmäßig Wut in mir ausgelöst, weil ich Angst um das Baby hatte. Gerettet hat mich in dieser Zeit, dass ich viel zuhause war, da ich nur einen Tag pro Woche arbeitete, und das hat mir gut getan, weil ich mich in dieser Zeit auf das Baby und die Schwangerschaft konzentrieren konnte. Auch in dieser Schwangerschaft habe ich den Angel Sounds Fetal Doppler* noch viel eingesetzt, obwohl ich mich durch die diesmal starke Übelkeit und die früheren Kindsbewegungen etwas sicherer fühlte. Ansonsten machten wir wie in der Schwangerschaft mit dem Großen keinerlei Zusatzuntersuchungen außer der Feindiagnostik, bei der sich mein Mädchen outete. Diese überraschende, völlig unwahrscheinliche dritte Schwangerschaft wurde von ähnlichen Gefühlsschwankungen begleitet und von mir genauso gehütet wie die langersehnte Schwangerschaft mit dem Großen, auch wenn die äußeren Umstände widriger waren.

Fazit:
Eine Schwangerschaft nach einer oder gar mehreren Fehlgeburten, vielleicht noch mit einer anschließenden langen Kinderwunschzeit wie bei uns erlebt man mit Sicherheit anders als eine "normale", nicht vorbelastete Schwangerschaft. Einerseits wird sie wie eine normale Schwangerschaft behandelt und man möchte und muss auch selbst diese Normalität leben, andererseits ist man natürlich schon geprägt von den Vorerfahrungen. Gerade die ersten Wochen einer solchen Schwangerschaft sind ein besonderes schwieriges emotionales Hin und Her. Ich denke schon, dass ich in der Schwangerschaft mit dem Großen insgesamt vorsichtiger war als viele Frauen, die keine solche Vorgeschichte hatten. In der Schwangerschaft mit der Kleinen dagegen machte es mir zu schaffen, dass ich nicht immer vorsichtig und achtsam sein konnte, weil ich mich um mein sehr forderndes Kleinkind kümmern musste. Besonders das ständige Tragen und Herausheben des Großen machten mir des öfteren Angst. Mit der Erinnerung an eine Fehlgeburt im Nacken fühlt sich das eben besonders riskant an.

Ich habe wie Mama on the Rocks auch die Erfahrung gemacht, dass es die wenigsten Menschen interessiert, mit welcher Vorgeschichte man eine Schwangerschaft erlebt und warum man vielleicht besonders vorsichtig ist oder sich die Freude darüber selbst nicht erlaubt. Man soll sich immer völlig normal verhalten, denn schließlich "ist Schwangerschaft ja keine Krankheit". Die Erfahrungen werden kaum thematisiert und so muss man selbst mit den vielen widerstreitenden Gefühlen klarkommen. Selbst im Geburtsvorbereitungskurs werden zwar vorherige Geburten, nicht aber Verluste thematisiert. Bei meiner ersten Hebamme wurde das Thema völlig ignoriert. Mit der zweiten tollen Hebamme konnte ich sowohl die Fehlgeburt als auch die Schreibabyzeit teilweise aufarbeiten und die Ängste wurden ernstgenommen. Das ist so wichtig!

Ich denke, man muss sich bewusst sein, dass man eine solche Schwangerschaft niemals so "naiv" und selig durchlaufen kann wie eine Schwangerschaft ohne vorherige Verluste. Deshalb genießt man sie vielleicht auch weniger als eine unbelastete Schwangerschaft, sondern ist einfach froh, wenn alles gut verläuft. Das persönliche Umfeld sollte das berücksichtigen und Verständnis zeigen. Vielleicht können die Beiträge der Blogparade #andersschwanger etwas dazu beitragen.

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Montag, 10. Oktober 2016

Urlaubsnervosität

Eventuell wird es in den nächsten zwei Wochen ruhiger auf dem Blog. Der Grund dafür ist: wir wollen dem Herbst entfliehen und fliegen erstmals mit beiden Kindern in den Urlaub und ich weiß nicht, ob ich Netz habe und das WLAN funktioniert. Danach wird es natürlich einen Bericht mit vielen Fotos und sicherlich auch emotionalen Gedanken geben.

Wir sind sehr nervös, denn das ist unser erster Flugurlaub mit beiden Kindern. Geflogen sind wir bisher nur ein Mal mit dem Großen allein, als er 1 3/4 Jahre alt war, also vor fast 4 Jahren. Damals auf unsere Lieblingsinsel Gran Canaria. Obwohl die Flüge sehr anstrengend mit ihm waren, er schlecht schlief, sehr früh (zwischen 4:30 und 5:30 Uhr) aufwachte und wir penibel darauf achten mussten, uns an seinen Tagesrhythmus zu halten, weil jede Umstellung für ihn schwierig war, war es ein sehr schöner, im Rahmen der Möglichkeiten sogar teilweise entspannender Urlaub, in dem er aufblühte und einen großen Entwicklungssprung machte. Die Erinnerungen daran sind, im Vergleich zu der übrigen Zeit in diesem Alter, überwiegend positiv.

Damals dachten wir eigentlich, dass wir in der langen Elternzeit, die mein Mann bei der Kleinen hatte, wegfliegen würden, da wir ja nun erfahren seien. Die Herausforderungen, die zwei Kinder mit sich brachten, waren aber nochmal solch ein Niveauunterschied, dass wir dies lieber sein ließen. Auch in den darauffolgenden Jahren fehlte immer der letzte Mut, es zu wagen, und mehrere nervenaufreibende Urlaube, z.B. dieser hier, trugen dazu bei. So bewegten wir uns überwiegend in gewohnten Gefilden und das bewährte sich. Im Herbst 2015 hatten wir eigentlich vorgehabt, in die Wärme zu fliegen, aber da wir alle vier fast durchgehend von Krankheiten heimgesucht wurden, hatte sich das zerschlagen. Wir hatten einfach keine Kraft dafür. Jetzt sind die Kinder wieder ein Jahr älter und wir wollten es endlich wagen.

Die letzten Wochen waren sehr nervenaufreibend. Beide Kinder sind seit ca. 3-4 Wochen sehr anstrengend, fordernd, schwierig, emotional geladen und aufmüpfig. Es dauert keine 2 Minuten, bis einer von beiden weint, wenn sie zusammen sind. Uns gegenüber waren sie sehr respektlos und unduldsam. Ich nehme an, dass die Kleine (knapp 3 1/2) die letzten Auswüchse ihrer Autonomiephase mit teilweise identischen Ausdrucksformen wie der Große, wenn auch nicht ganz so extrem, durchlebt und der Große mit 5 1/2 Jahren nun schon in die 6-Jahres-Krise kommt. Auch, wenn ich darauf vorbereitet war, erwischte es mich doch eiskalt und ich bin ziemlich verstört ob des Rückfalles in frühere Zeiten. Ich sehe gewisse Entwicklungsschritte schon durchschimmern, habe aber im Moment fast nur mit den negativen, unschönen Auswüchsen dieser Entwicklungsschübe zu tun. Es triggert uns natürlich auch, wenn die Kinder so schlecht drauf sind; zwar reagieren wir sicherlich gelassener als früher, aber es beeinträchtigt uns natürlich trotzdem in unserem emotionalen Gleichgewicht, wenn beide Kinder parallel außer sich sind. Denkbar schlechte Voraussetzungen für einen für uns anstrengenden, da ungewohnten Urlaub. Ich habe nun meine Hoffnung darin gelegt, dass sie sicherlich ebenfalls urlaubsreif sind und sich hoffentlich etwas entspannen werden, sobald der Druck des Alltags von ihnen abfällt und sie merken, dass wir Eltern den ganzen Tag verfügbar sind. Die Sonne und Wärme und spannenden Erlebnisse werden hoffentlich zu einer Beruhigung der Situation beitragen.

Meine größte Angst war, dass vorher noch etwas passiert, sich jemand einen Arm bricht oder mit Magen-Darm flachliegt. Das verstärkt den Druck bei einem Flugurlaub sehr, wie ich deutlich im Vorfeld merkte. In einem Ferienhaus im Inland kann man auch am nächsten Tag anreisen oder ein Fieberkind angemessen betreuen. In einem Flugurlaub ist das alles sehr viel schwieriger. Als die Kleine vor einer Woche rückwärts von einem ca. 80 cm hohen Baumstamm herunterfiel und sich danach den Arm hielt und lange weinte, fürchtete ich schon das Schlimmste. Auch sind sie und mein Mann seit Tagen erkältet. Es ist einfach alles so unglaublich unberechenbar mit kleinen Kindern, und da wir beide nicht die nervenstärksten Eltern sind, werfen uns viele kleine Unwägbarkeiten schon schnell aus der Bahn. Ich mache drei Kreuze, wenn wir im Flieger sitzen!

Gleichzeitig freue ich mich darauf, ihnen ein Stück mehr von der Welt zu zeigen, sie neue Erfahrungen sammeln zu lassen und tolle gemeinsame Erlebnisse mit ihnen zu machen. Ich bin gespannt, wie sie sich zurechtfinden und reagieren und welche Erinnerungen sie mitnehmen werden. Ebenso freue ich mich sehr darauf, wiedermal etwas für mich/uns zu tun und die baby- und kleinkindbedingte Flugpause zu beenden. Hach, wie toll, es geht in die Welt hinaus!

Bildquelle: Pixabay

Dienstag, 27. September 2016

Was ich als Mama gerne besser machen würde (Blogparade #ichwürdegerne)

Ich glaube, fast jede/r von uns war eine perfekte Mama oder ein perfekter Papa, bevor er/sie selbst Kinder bekam und merkte, dass einiges (vieles) anders läuft als vorgestellt. Man hatte die Erziehungsweisheit mit Löffeln gefressen und war der Überzeugung, ein Drehen an Schräubchen A bringt den gewünschten Mechanismus in Gang. Und fragte sich, warum das denn bei anderen Eltern und deren Kindern nicht funktionierte. Nun ja, seit wir selbst Eltern sind, sind wir schlauer und demütiger. Wir wissen, dass Kinder Individuen sind, die nicht nach Schemata funktionieren. Wir wissen, dass ein bestimmtes Verhalten unsererseits nicht unbedingt das erhoffte Ergebnis bei unserem Kind ergibt. Manchmal sehen wir sogar das Gegenteil davon. Und trotzdem bemühen wir uns immer, gute, liebevolle, zugewandte Eltern zu sein, uns ständig zu reflektieren und zu korrigieren. Und haben immer noch gewisse Ansprüche an uns selbst im Kopf, an denen wir uns messen. Das ist manchmal destruktiv, wenn es sich um völlig überzogene, mit dem eigenen Charakter oder dem Wesen des Kindes nicht vereinbare Ansprüche handelt. Oft aber regt es dazu an, sich zu fragen, was man noch besser machen kann als Mutter/Vater. Dazu passt die aktuelle Blogparade von Leben & Erziehen: Was wir als Eltern gerne besser machen würden, an der ich mit diesem Beitrag teilnehme. Einige Eltern schreiben, dass sie gern mehr basteln würden oder ausgefeilte Brotdosen herrichten würden oder nicht so stark auf ihr Handy fixiert sein möchten. Bei mir sind es eher mentale und emotionale Dinge, die ich gern besser machen würde.

1.) Ich würde gern das Zusammenleben mit meinen Kindern mehr genießen. Ich bin oft unruhig, gestresst oder manchmal auch gelangweilt in Gegenwart meiner Kinder. Ich frage mich viel zu oft: "Was machst du da?" Ich stehe eigentlich unter einer permanenten Anspannung, wenn ich mit meinen Kindern zusammen bin, und kann das so gut wie nie abschütteln. Das liegt nicht daran, dass ich noch so viele Dinge im Hinterkopf habe, die erledigt werden müssten (manchmal auch daran), sondern eher an dem ständigen Funktionieren-Müssen, der Bereitschaft, dem Reagieren-Müssen. Das schlaucht mich wirklich unheimlich, legt sich wie ein schwerer Stein in meinen Magen und beeinträchtigt auch die allerschönsten Momente bzw. es gibt nur sehr wenige Augenblicke, wo sich der Stein auflöst. Das ist schade und ich weiß nicht, was man da machen kann. Ich hätte es gern anders und würde die Kinder gern mehr genießen, so wie ich früher die Natur, Reisen oder Musik genossen habe. Manchmal gelingt es mir, den Kopf bewusst auszuschalten oder durch tiefe Bauchatmung den Stein im Bauch etwas leichter zu machen. Oft genug leider nicht.

Quelle: Pixabay

2.) Ich würde gern noch ruhiger und gelassener im Umgang mit meinen Kindern werden und den Stress oder Ärger, den ich habe, nicht an ihnen auslassen. Dazu muss ich sagen, dass ich schon tausendmal ruhiger geworden bin als früher (vor den Kindern), als ich wegen vielen Kleinigkeiten explodiert bin. Dies wurde leider in der Anfangszeit mit dem Großen noch extremer, da mein psychischer und physischer Stress in dieser Zeit enorm war. Mittlerweile habe ich realisiert, dass tatsächlich eine der wichtigsten Komponenten im Umgang mit Kindern die eigene Ruhe ist und arbeite täglich daran, meine Stressauslöser zu erkennen, bevor sich alles auf den Kindern entlädt. Das gelingt natürlich nicht immer, da meine Ausgangsbasis (hochsensibel, keine Stressresistenz und kaum Verarbeitungsstrategien) einfach sehr schlecht ist. Aber ich versuche es und bemerke oft ganz deutlich, wie eines zum anderen kommt und die Spirale sich dreht. Ich bin ein emotionaler Mensch und würde gern viel mehr Ruhe ausstrahlen, vor allem für meine Kinder, geduldiger sein und nicht alles so an mich rankommen lassen. Das ist zumindest ein Aspekt, an dem ich mehr arbeiten kann als an Punkt 1.

3.) Ich würde gern etwas mutiger sein und mir mehr mit den Kindern zutrauen. Also ALLEIN mit den Kindern. Ich bin ein sehr vorsichtiger und abwägender Mensch und durchdenke potentiell riskante Dinge so oft, dass ich mir selber manchmal im Weg stehe. Sicherlich hilft diese Vorsicht auch dabei, sich keinen Situationen auszusetzen, die mich überfordern oder allzu sehr stressen würden. Aber manchmal würde ich mich gern mehr trauen. Ich bewundere Menschen (bzw. halte sie für verrückt), die allein mit Baby und Kleinkind in den Urlaub fahren. Nie-niemals hätte ich so etwas gewagt, dazu waren meine Kinder, meine eigenen psychischen Kräfte und die fremden Umstände viel zu unberechenbar. Dagegen freue ich mich über jede kleine Herausforderung, die ich meistere. Ich war stolz, als ich zum ersten Mal beide Kinder allein ins Bett brachte. Mir fiel ein Stein vom Herzen, als der Besuch bei meinen Eltern inklusive längerer Busfahrt mit beiden Kindern letztes Jahr gut klappte oder als ich im März dieses Jahres zusammen mit meinen Eltern und den Kindern im Kurzurlaub war. Das sind für mich echt Herausforderungen, weil ich nie wissen kann, wie sie laufen werden. Ich würde gern noch mehr solcher Erfolgserlebnisse haben, aber oft traue ich mich einfach nicht. Habe Angst, krank zu werden oder die Nerven überzustrapazieren. Wie gesagt, ich finde es gut, seine Kräfte korrekt einzuschätzen, aber etwas mehr Mut wäre sicherlich nicht verkehrt. Ich arbeite daran, mir in kleinen Schritten mehr zuzutrauen, ohne mich zu überfordern.

Rückschau:

Was die vergangenen 5 1/2 Jahre, seit ich Mama bin, angeht, gibt es natürlich auch so einiges, was ich aus der Rückschau gern anders gemacht hätte. Vor allem in der Babyzeit und in der sich direkt anschließenden Autonomiephase des Großen hätte ich gern besser reagiert, als ich es zu diesem Zeitpunkt konnte. Ich hätte weniger hadern und mich viel mehr auf ihn einlassen müssen. Ich hätte deutlicher Entlastung einfordern müssen, um dadurch wieder Kraft für ihn und mich zu haben. Ich hätte kreativer sein und schneller fernab der üblichen Erziehungsansichten schauen müssen, was helfen könnte. Und ich hätte nicht so viel zweifeln sollen. Das wäre für ihn und für mich gut gewesen. Leider wusste ich damals noch nicht viel über ihn und über mich und konnte vielfach nicht aus meiner Haut. Das bedauere ich unheimlich. Andererseits sehe ich auch, welche Entwicklung ich als Mama durch das Zusammenleben mit meinen Kindern gemacht habe und welche Wege ich beschritten habe. Wege der Gleichwürdigkeit und des Respekts vor Kindern, die mich weit weg von der eigenen Erziehung führen und die ich beibehalten und weiter ausbauen möchte. Ich tröste, wie ich selbst nie getröstet worden bin. Ich fange auf, wie ich nie aufgefangen worden bin. Ich ergreife Partei, wie für mich (als Kind) nie Partei ergriffen worden ist. All das ist das Produkt meines bisherigen Mamalebens und ich spüre, dass ich auf einem guten Weg bin. Das heißt aber eben nicht, dass man nicht immer noch etwas besser machen kann. Als Mama oder Papa ist man wahrscheinlich immer auf dem Weg und nie am Ziel.

Ich habe übrigens meinen Großen befragt, was ich besser machen könnte als Mama. Ihm fiel heute leider nichts sein. Naja, ich denke, spätestens in der Pubertät wird er mir die Frage beantworten können;-)

Und was würdet ihr als Mama oder Papa gern besser machen?

Donnerstag, 28. Juli 2016

Das Desinteresse des Großen an seiner Baby-Schwester

Ich lese und höre immer wieder verzückte Berichte, wie sehr kleine Kinder bei der folgenden Schwangerschaft mitfiebern, wie sie sich wünschen und freuen, große Schwester/ großer Bruder zu werden und wie sie nach der Geburt das Baby beknuddeln, umsorgen, die Tätigkeiten der Mama nachahmen (z.B. an Puppen), den Kinderwagen schieben und stolz "ihr" Baby präsentieren. Ich weiß nicht, ob da lediglich einige wenige Momentaufnahmen geschildert werden oder ob das in vielen Familien tatsächlich in diesem Ausmaß der Fall ist. Bei uns war das nämlich nicht so.

Als ich schwanger wurde, war der Große noch nicht mal anderthalb Jahre alt. Natürlich haben wir ihn, je größer der Bauch wurde, auf das Geschwisterchen vorbereitet, ihm Dinge erklärt und gezeigt, mit ihm Bücher wie dies hier gelesen etc. Wir haben ihm gesagt, dass Mama dann ins Krankenhaus geht und er mit Papa allein zuhause ist. Wir haben mit ihm zusammen einige Babysachen wieder hervorgeholt (Spielzeug, Kleidung) und deren Funktion erklärt. Arztbesuche habe ich aber nie mit ihm zusammen absolviert, er hat auch keinen Geschwisterkurs besucht und es wurde nichts in der Wohnung umgeräumt. Sein Kinderzimmer inkl. Wickeltisch für's Baby (er ließ sich nicht mehr darauf wickeln) blieb unverändert, sein Bett behielt er, der Autokindersitz blieb gleich und es gab wirklich kaum Veränderungen in seiner häuslichen Umgebung. Ein neues Beistellbett stellten wir im Schlafzimmer auf, die neue Babyschale kam ins Auto (beides war schon verkauft) und der Kinderwagen wurde um ein Buggyboard erweitert. Ansonsten wollten wir ihm mit so wenig äußerer Veränderung wie möglich Sicherheit und Vertrauen vermitteln, um die unbekannte Situation zu meistern. Für ihn sollte alles gleich bleiben. Zu diesem Zeitpunkt hat ihn jegliche Veränderung total aus der Bahn geworfen.

Man merkte ihm auch nicht an, dass er realisierte, was auf ihn zukam. Er wirkte relativ unbeteiligt und ich kann mich nicht erinnern, dass er mal sein Ohr an meinen Bauch legte oder mit dem Baby sprach. Vielleicht hat er es gemacht, aber wenn, dann so selten und kurz, dass ich es kaum wahrgenommen habe. Er hat auch nie begeistert erzählt, dass er bald großer Bruder wird. Klar, er sprach ja auch noch nicht wirklich viel. Für meine Schwangerschaft interessierte er sich eigentlich nicht, und auch andere Schwangere und Babys lassen ihn bis heute kalt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er nie von selbst gesagt hätte, dass er noch ein Geschwisterchen möchte, so wie man es immer von vielen Seiten hört. Selbst das endgültige Still-Ende während der Schwangerschaft bedeutete für ihn keinen großen Einschnitt, soweit ich das beurteilen kann. Er hörte einfach von einem Tag zum anderen damit auf.

Von den Beschwerlichkeiten der zweiten Schwangerschaft bekam er nicht so viel mit. Übelkeit und Schlappheit sieht man nicht, tragen musste ich ihn weiterhin sehr viel, auch wenn ich immer wieder an ihn appellierte, und als ich in den letzten Wochen oft starke Vor- oder Übungswehen hatte und kurz innehalten musste, stand er einfach still neben mir und wartete. Zum Glück, denn als er mit 2 Jahren anfing, Laufrad zu fahren, wäre er sonst über alle Berge gewesen, während ich unterwegs minutenlang verkrampfte. Als ich wegen Übertragung zum CTG ins Krankenhaus musste, fuhren wir zwar gemeinsam hin, aber mein Mann ging währenddessen mit ihm auf den Spielplatz. Zumindest hatte er so das Krankenhaus schon mal gesehen. Aber er wirkte vor der Geburt insgesamt nicht aufgeregt oder neugierig oder stolz oder unsicher oder eifersüchtig. Er fieberte einfach kaum mit. Allerdings war er auch das erste Kind aus unserem Bekanntenkreis, das ein Geschwisterkind bekam.

Als die Kleine geboren wurde, war er 26 Monate alt. Er kam nach der Kita mit dem Papa zu uns ins Krankenhaus, schaute sich das Baby und mich im Krankenhaushemd kurz an und spielte dann mit seinem Bagger, dem Geschenk des Babys. Klar haben wir auch Aufnahmen, wo er das Baby streichelt, neben ihr im Krankenhausbett liegt oder mein Mann erzählte mir, wie er zuhause abends nach uns fragte. Wirklich süß war, wie sie uns abholten und er wacker mit dem Papa zusammen die Babyschale trug. Insgesamt aber war er relativ zurückhaltend in seinem Interesse für seine Schwester und das setzte sich zuhause fort.



Für das Stillen und Wickeln hat er sich nicht wirklich interessiert, auch nicht, wenn man ihn einbeziehen wollte. Er hat auch nicht meine Handlungen nachgeahmt, wie ich das oft bei anderen Mamas lese und höre. Weder stillte, fütterte, trug, wickelte oder badete er seine Kuscheltiere (für Kuscheltiere hat er sich ja auch nie begeistert) oder seine Babypuppe, die ihm die Großeltern zur Geburt der Schwester schenkten, noch holte er mich, wenn das Baby weinte. Eher saß er in solchen Fällen stumm und unbeteiligt daneben, so wie er auch neben ihr saß, wenn wir spielten, ohne ihr etwas zu zeigen oder sie zu bespaßen. Er hat seine Schwester nie als Subjekt, das er anleiten und beschäftigen könnte, gesehen. Er hat für sich oder mit uns gespielt und sich nicht weiter um sie gekümmert. Nicht groß mit ihr geredet, ihr kein Spielzeug gebracht, sie nicht getröstet, gestreichelt, geknuddelt, abgeknutscht. Sie hat ihn natürlich trotzdem angehimmelt, aber wir fanden das von seiner Seite aus im Vergleich zu anderen Kindern ziemlich wenig Interesse und Begeisterung für das Geschwisterchen. Wenn er von der Kita nach Hause kam, tangierte es ihn nicht, wo die Kleine war. Er hat nie geäußert, dass er auch bei mir schlafen wolle, nur weil die Kleine bei mir schläft. Klar war er erst 26 Monate + alt und noch sehr stark von seinen eigenen Problemen und Unausgeglichenheiten (Autonomiephase) in Beschlag genommen, aber uns erschien sein Desinteresse ungewöhnlich. Allerdings hat er sich eben auch nie - bis heute nicht - für andere Babys interessiert. Vielleicht ist das vergleichbar mit der Tatsache, dass ich keine Baby-Mama bin, wie hier beschrieben.

Je mobiler sie wurde, umso "gefährlicher" wurde sie für ihn und er sah sich genötigt, sein Eigentum zu verteidigen. Er hatte und hat immer noch ein sehr starkes Eigentumsempfinden, auch seiner Schwester gegenüber. Er hat keinen Beschützerinstinkt und keine Lehrmeister-Ambitionen. In der Kita hat sie immer seine Nähe gesucht, er nie ihre, soweit ich das aus Erzählungen der Erzieher beurteilen kann. Er hat selten mit ihr geschäkert oder herumgealbert, sie auch später kaum einmal getröstet. Das setzt sich tendenziell bis heute fort. Wie gesagt, ich bin mir ziemlich sicher, dass er sich niemals aktiv ein Geschwisterchen von uns gewünscht hätte, so wie man es besonders von Mädchen oft hört. Ich muss ehrlich sagen, dass ich damals enttäuscht von seinem Desinteresse war, weil ich es so anders erwartet und gehört hatte. Damals kannten wir ihn ja auch noch lange nicht so gut wie heute. Aus heutiger Sicht muss ich sagen, dass besonders ich immer viel zu hohe Erwartungen zu dem, was eben "normal" ist, an ihn hatte. Irgendwie hat man ja immer die Vorstellung, dass das große Kind das kleine knuddelt und umsorgt. Meine allgemeinen Gedanken über die Geschwisterbeziehung der beiden findet ihr hier.

Eifersucht war übrigens so lange kein Thema, wie sein "System" stimmte, nämlich dass der Papa sich um ihn kümmerte und ich mich ums Baby. Er hatte sich ja in den Wochen vor ihrer Geburt emotional sehr stark an den Papa gebunden. Wenn der Papa in seiner Anwesenheit das Baby nahm, wurde er sehr unleidlich. Wenn alles im Lot war und das Baby bei mir war, war Eifersucht anfangs kaum ein Problem. Das ließ nach ein paar Monaten nach, als er sich mir langsam wieder annäherte und sein "System" aufgeweicht wurde. Danach und mit der zunehmenden Mobilität der Kleinen wurde die Eifersucht etwas sichtbarer. Vor allem die Eifersucht in Hinblick auf das Teilen-Müssen der Aufmerksamkeit. Insgesamt aber war das, was ich seiner Autonomiephase anlaste, schwerwiegender als jegliche Eifersucht und Entthronung, auch wenn sich das natürlich gegenseitig verstärken kann. Man musste bei ihm nie Sorge habe, dass er grob mit der Kleinen ist, ihr bewusst wehtut oder sich zu überschwänglich zeigt. Dafür hat sie ihn einfach zu wenig interessiert.

Wie war oder ist das bei euch, haben eure größeren Kinder in eurer nächsten Schwangerschaft mitgefiebert oder waren sie relativ desinteressiert? Wie haben sie das Baby nach der Geburt aufgenommen? Haben sie euer Verhalten nachgeahmt, waren sie vom Baby begeistert oder war es eher wie bei uns? Sind eure Kinder generell babybegeistert oder dahingehend auch eher leidenschaftslos?

Mittwoch, 20. Juli 2016

Schwimmkurs mit 5 Jahren - Ja oder nein?

In unserer Kita wird für die Vorschulkinder, zu denen mein Großer nun ab August zählt, ein Schwimmkurs angeboten, der ein Mal wöchentlich in einer Schwimmhalle stattfindet und bestenfalls mit dem Seepferdchen enden soll. Nach unserem Urlaub hatten wir das Anmeldeformular dazu in seinem Kitafach. Ich finde das eigentlich ein tolles Angebot und würde ihn gern anmelden. Zusammen mit seiner Kita-Gruppe, den Kindern, die er seit 4 Jahren kennt, Schwimmen zu lernen, stelle ich mir als eine schöne und positive Erfahrung für ihn vor. Andererseits habe ich einige Bedenken, die mich zögern lassen und möchte deshalb gern eure Erfahrungsberichte und Meinungen hören.

1.) Die Uhrzeit
Der Kurs findet donnerstags um die Mittagszeit statt. Zeit im Wasser ist von 13 bis 13:45 Uhr, inkl. An- und Abreise zur Schwimmhalle sind die Kinder also ca. von 12 Uhr bis 14:30 Uhr unterwegs. Sie müssen also direkt nach dem Mittagessen mit vollem Bauch aufbrechen und genau zu einer Zeit, wo ein Tagestiefpunkt erreicht wird und eigentlich die Ruhezeit stattfindet, Leistung bringen. Da wir sehr auf die mittägliche Ruhezeit des Großen achten und gerade beim anstrengenden Kitatag darauf großen Wert legen, finde ich genau diese Uhrzeit unglaublich suboptimal.

2.) Die Fahrt
Die Hin- und Rückfahrt von der Kita zur Schwimmhalle muss von den Eltern organisiert werden. In der vorigen Gruppe war es so, dass einige Eltern abwechselnd mehrere Kinder mit dem Auto hingefahren haben. Wir könnten dies nicht gewährleisten, da wir beide zu dieser Uhrzeit wirklich in Kernzeit arbeiten. Man wäre also auf andere Eltern angewiesen. Außerdem gab es den ganzen Winter über ständig Rundmails, dass irgendjemand (Kind oder Elternteil) krank geworden ist und entweder Fahrdienst oder Schwimmkurs nicht wahrnehmen kann. Sehr mühsam, das dann spontan neu zu organisieren oder eine Nichtteilnahme des Kindes in Kauf zu nehmen.

3.) Die Voraussetzungen
Der Große ist eigentlich ein zurückhaltendes, beobachtendes, auch eher ängstliches Kind, das sich bei vertrauten Bezugspersonen mittlerweile immer mehr zutraut und ausprobiert. Ein Schwimmtrainer ist keine vertraute Bezugsperson und kann, wenn er/ sie nicht angemessen auf seine Schüler eingeht, viel Schaden anrichten bei dem gerade mühsam aufgebauten Selbstvertrauen des Großen. Ich fürchte mich vor "Hammerschlag"-Methoden, die mein Kind überfordern, so wie sie mich einst überforderten, obwohl ich um einiges älter war. Ich denke, er braucht Herausforderungen, aber ich bin nicht der Typ Mama, der ein Kind, das noch nicht soweit ist, ins kalte Wasser wirft.

4.) Wasseraffinität
Der Große hatte lange Zeit keine Affinität bzw. sogar Scheu vor Wasser. Waschen, baden, duschen war bis ca. 3 - 3,5 Jahre ein riesengroßer Krampf. Schon als Baby hat er das Baden gehasst. Ich erinnere mich, wie er bei seinem allerersten Bad, vielleicht 2 Wochen alt, wild strampelte und nach kurzer Zeit wie am Spieß schrie. Ein Baby-Schwimmkurs wäre bei ihm eine Tortur für alle Beteiligten gewesen. Am Meer/ See ist er nie freiwillig ins Wasser gegangen, nicht mal mit den Füßen. Das hat sich alles erst in den letzten ca. 1,5 Jahren gewandelt. Mittlerweile mag er es, im See zu planschen und sitzt auch ganz gern in der Badewanne, allerdings am liebsten allein, mit der Kleinen zusammen gibt es nur Streiterei. Er ist sogar schon mehrfach eine Wasserrutsche heruntergesaust und hatte wohl danach Respekt vor der eigenen Courage. Er hat jedoch immer noch Angst vor tiefem Wasser, das merkt man deutlich. Als ich im See mit ihm ein paar Schwimmbewegungen (mit Schwimmärmeln) machen wollte und seine paddelnden Beine etwas nach oben stupste, damit er in der waagerechten Schwimmposition ist, bekam er trotz meines Stützens sofort Panik und ich musste ihn weinend aus dem Wasser tragen. Sein Verhältnis zu Wasser ist also immer noch nicht unbeschwert und sorglos, sondern misstrauisch und labil. Ich habe Sorge, dass auch hier mehr kaputt gemacht als gewonnen wird. Auf der anderen Seite besteht natürlich auch die Möglichkeit, dass er durch einen unbeteiligten Dritten die letzte Scheu überwindet und die Herausforderung besteht.

Für das Seepferdchen, das am Ende des Kurses erreicht werden kann, müssen folgende Anforderungen erfüllt werden:
  • Sprung vom Beckenrand und 25 m Schwimmen
  • Heraufholen eines Gegenstandes mit den Händen aus schultertiefem Wasser
Beides, weder den Sprung noch das Tauchen, kann ich mir nach heutigem Stand beim Großen vorstellen. Er hasst es, wenn Wasser an sein Gesicht kommt oder er vollgespritzt wird. Beides habe ich selbst übrigens auch nie gewagt. Projiziere ich damit meine eigenen Erfahrungen auf ihn oder schätze ich ihn realistisch ein?

5.) Eigene Erfahrungen
Ich habe als Kind der DDR in der 3. oder 4. Klasse von der Schule aus schwimmen gelernt bzw. die Anfänge im Sommer davor im Urlaub mit meinen Eltern. Da ich mit 7 Jahren in die Schule kam, bin ich also mindestens 9 Jahre alt gewesen. Wir fuhren zum Schwimmunterricht in unsere städtische Schwimmhalle und ich weiß noch vage, dass ich das alles andere als angenehm fand. Herrische, unsensible Trainer, das eklige, halbnasse Gefühl auf der Fahrt zurück und die Anforderungen nahmen mir die Lust daran. Ich schwimme eigentlich gern und heute bin ich immer die erste der Familie, die im See zu finden ist, aber eben freiheitlich, ohne Zwang und Erwartungen. Ich schwimme nie weit hinaus, da ich immer Angst vor einem Kraftverlust auf dem Rückweg habe. Und ich habe wirklich Respekt vor tiefem Wasser und bekomme schnell Panik, wenn mich etwas am Fuß berührt.

Im Schwimmkurs meiner Schule bin ich, und da konnten sich die Trainer auf den Kopf stellen, niemals vom Beckenrand oder Brett gesprungen. Sogenannte Bauchklatscher, die anderen Kindern einen Heidenspaß bereiteten, erfüllten mich mit Abscheu und Grauen. Getaucht bin ich bis heute noch nie. Da ich und ein anderes Mädchen sich vehement gegen den Sprung sträubten, durften wir beide für unser Schwimmabzeichen uns vom Beckenrand ins Wasser hinein rutschen lassen. Das war das Äußerste, was bei mir ging.

6.) Gesellschaftliche Erwartungen
Ich weiß nicht, ob es heutzutage erwartet oder vorausgesetzt wird, dass ein Kind schon vor Schulstart schwimmen kann. Klar ist das toll, wenn es klappt, aber es gibt eben Wasserratten und "Spätzünder", genau wie bei allen anderen Entwicklungsschritten. Laut Familie.de liegt das ideale Alter zum Schwimmenlernen zwischen 5 und 8 Jahren. Er wäre also mit 5 noch ganz am Anfang. Wie gesagt, bei Kindern, die von Anfang an keine Scheu vor und einen riesen Spaß im Wasser hatten, würde ich das auch so früh wie möglich versuchen. Beim Großen liegt der Fall aber etwas anders und ich möchte keinesfalls, um einer gesellschaftlichen Norm zu entsprechen, ihn zu etwas zwingen, was noch zu früh ist. Andererseits will und muss ich ihn angemessenen Herausforderungen aussetzen, damit er sich weiter entwickeln kann. Was da zuwenig oder zuviel ist, ist immer schwer einzuschätzen und kann auch von Tag zu Tag schwanken.

7.) Angst vor vielen Erkältungen
Es mag jetzt vielleicht hysterisch klingen, aber nach unseren bisher seltenen Schwimmbadbesuchen im Winter hat sich immer mindestens eines unserer Kinder erkältet, obwohl wir sehr auf gutes Abtrocknen und dicke Kleidung achten. Ich glaube, das liegt nicht an dem Kälteschock danach, sondern an dem abwechselnden Aufenthalt im warmen Wasser und nassen Herumsitzen bzw. Herumlaufen im kühleren Schwimmbad. Mein Großer merkt nicht oder zu spät, wenn er friert, und reagiert nicht selbstständig darauf. Nach unserem letzten Winter, in dem wir von Oktober bis April alle mehr oder weniger permanent krank waren und wirklich auf dem Zahnfleisch gingen, bin ich ein gebranntes Kind. Das war eine absolute Grenzerfahrung und in diesem Ausmaß noch nie dagewesen, selbst in den beiden ersten Kitawintern der Kinder nicht. Und das Problem ist ja, wenn ein Familienmitglied erkältet ist, sind es bald alle und das wollen wir eigentlich nicht noch durch einen Schwimmkurs herausfordern. Viel lieber würde ich einen kürzeren, kompakteren Kurs mit ihm im Frühjahr/ Sommer machen, wenn alle etwas stabiler sind. Oder ihm selbst das Schwimmen beibringen. Manchmal ist es für Kinder aber auch leichter, zusammen mit der eigenen Peergroup etwas Neues zu lernen.

So, das waren viele Gedanken um eine vielleicht simple Entscheidung. So bin ich nun mal, alles doppelt und dreifach vorher zu durchdenken und genau abzuwägen. Könnt ihr mir ein wenig helfen? In welchem Alter haben eure Kinder schwimmen gelernt? In einem Kurs oder mit euch zusammen? Wie haben eure Kinder das mitgemacht? Unabhängig davon: wenn ihr euch in unsere Lage hineinversetzt, würdet ihr uns dann zu dem Kurs raten oder eher nicht? Danke für alle Erfahrungen!

Update vom 21.07.16:
Die beiden besten Freunde des Großen werden an diesem Schwimmkurs nicht teilnehmen, weil sie ein Geburtstagsgeschenk (Schwimmkurs) einlösen werden. Bezüglich Punkt 1, 2 und 7 hatte deren Mama ähnliche Bedenken. Außerdem hatte sie gehört, dass die Kinder des letzten Kurses wohl nicht so glücklich gewesen wären.

Der Große selbst war sehr zurückhaltend, als ich ihn heute in einer ruhigen Minute fragte, ob er es selbst möchte. Ohne seine Freunde wollte er nicht und insgesamt zeigte er wenig Ambitionen. Er fand es auch nicht toll, von anderen Eltern dahin gefahren zu werden.

Ergebnis: Wir haben den Großen nicht zum Schwimmkurs angemeldet und ich bin mir sicher, das war die richtige Entscheidung. Zwar findet er langsam immer mehr Gefallen am Element Wasser, zeigt aber noch viel Angst bei Spritzern, Wellen etc.  Geben wir ihm lieber noch etwas Zeit.

Bildquelle: Pixabay

Montag, 13. Juni 2016

Babylächeln oder Kleinkindgespräche (Blogparade #babyfrage)

Wenn ich von der Arbeit nach Hause komme, laufen mir jeden Tag kinderwagenschiebende Mütter über den Weg. Früher - kinderlos - hätte ich gedacht: "Haben die es gut, das muss ein Leben sein!" Nun habe ich zweimal die Erfahrung gemacht und denke nur: "Oh Gott, nicht einen einzigen Tag möchtest du das nochmal erleben!" Diese Erschöpfung, diese Fremdbestimmung, diese Einsamkeit, diese Trostlosigkeit, diese intellektuelle Unterforderung. Mir kommen sofort die Bilder in den Kopf, auf denen ich stundenlang mit meinem Baby auf dem Boden hocke und hundertmal Baubecher übereinander stapele. Oder am Fenster stehe und das Kind schuckele, während für alle anderen Menschen das Leben einfach so weiterging. Oder bei Eiseskälte, gliederschmerz- und krankheitsgeplagt 4 Stunden mit dem Kinderwagen spazieren musste, damit das Kind mal etwas länger schlief. Bilder, auf denen ich nicht eine einzige Mahlzeit in Ruhe verspeisen konnte. Auf denen ich abends alle halbe Stunde ins Kinderzimmer herbeigeschrien wurde und nachts stundenlang mit dem Baby durch die dunkle Wohnung lief. Auf denen ich tränenüberströmt, todunglücklich oder wütend-aggressiv mit meinem neuen Leben haderte. Diese Bilder ließen sich unendlich fortsetzen und ich bin einfach nur glücklich, dass diese Zeit vorbei ist. Jetzt, mit einem 5 und einem 3 Jahre alten Kind, gibt es auch Herausforderungen, aber lange nicht so existenzielle wie im ersten Babyjahr. Und über eines bin ich mir mittlerweile im Klaren: ich bin einfach keine Baby-Mama.

Passend dazu hat der Blog Das Elternhandbuch eine Blogparade ins Leben gerufen: Baby? Nein, danke! Warum ich große Kinder so sehr liebe! Groß sind meine Kinder zwar noch nicht, aber schon lange keine Babys mehr und ich bin dafür sehr dankbar. Man kann mit ihnen Unterhaltungen führen und sich oft schon auf Vernunftebene begegnen. Man hat gemeinsame Erlebnisse, an die man sich erinnert, und kennt das Kind schon lange genug, um (meist) zu wissen, wo der Schuh drückt. Man weiß um die Vorlieben und Marotten des Kindes, ebenso kennt das Kind die Eigenarten seiner Eltern und hat seinen Platz in der Familie gefunden. Die Kinder werden selbstständiger und unabhängiger, wodurch man selbst Stück für Stück seine Unabhängigkeit wiedergewinnt. Ich kann meinen 5-Jährigen schon eine kurze Zeit allein in der Wohnung lassen, die Kinder bestellen ihre Kugel Eis (fast) allein, gehen ohne mich auf die Toilette (aber gern mit mir) und der Große will schon ganz oft nicht mehr Karussell fahren, wenn wir auf einem Fest sind. Der Buggy wird bald überflüssig sein und viel Kleinkindkram wird nach und nach verkauft.

Wenn ich mit meinem Großen allein unterwegs bin, fühlt sich das ganz toll an. Wir sind dann ein Team, unterhalten uns und nichts erinnert mehr an das hysterisch schreiende Baby im Kinderwagen. Auch wenn man mit ihm allein zuhause ist, kann man sich relativ gut entspannen. Man ist einfach nicht mehr ständig in Bereitschaft und muss sich nicht mehr komplett auf das Kind konzentrieren. Er war schon zweimal allein mit meinem Mann für ein Hotelwochenende unterwegs und kann sich im Gegensatz zu früher mittlerweile sehr gut darauf einstellen. Meine Lieblingsmomente sind, wenn wir uns beide ruhig, jeder für sich, beschäftigen, der Große Lego baut und ich etwas für mich mache. Mit der Kleinen funktioniert das noch nicht, aber ich weiß nun, dass diese Zeit kommen wird.

Quelle: Pixabay

Mit der Kleinen kann ich mich so bewusst unterhalten, das ist eine wahre Freude. Obwohl sie noch deutlich mehr auf mich angewiesen ist als der Große, merkt man dennoch deutlich, wie sie langsam flügge wird. Und das ist so toll, ich genieße jeden einzelnen Schritt. Noch nicht ein Mal habe ich mir eine frühere Phase zurückgewünscht, sondern habe die Erfahrung gemacht, dass es für mich immer einfacher wurde, je älter die Kinder wurden, wie im Text Kleine Kinder, keine Sorgen? schon beschrieben. Ich bin auch überhaupt nicht neidisch auf schwangere Frauen oder frischgebackene Eltern, denn wenn ich ein Baby sehe, denke ich zuerst immer an die unangenehmen, fordernden, nervenaufreibenden Aspekte dieser Zeit. Obwohl die Babyzeiten beider Kinder sehr verschieden waren (mein Großer war ein High-Need-Kind, die Kleine nicht), habe ich immer das Ende herbeigesehnt und mich über jeden Geburtstag meiner Kinder gefreut. Das Zusammenleben mit unserem Großen ist tatsächlich erst etwa mit 4 Jahren entspannter geworden, das ist also jetzt etwas über ein Jahr her, und der Kontrast zu den Jahren davor ist wirklich extrem. Das war einfach nur kräftezehrend. Der knappe Geschwisterabstand (26 Monate) trug zur Erschöpfung noch mehr bei und wirbelte die Familie erneut durcheinander. Ich erinnere mich nur an sehr wenige ruhige, entspannte, glückliche Momente aus den ersten Jahren.

Mittlerweile ist Stabilität eingetreten, jedes Familienmitglied hat ein eigenes Leben und der Alltag fühlt sich wieder relativ normal an. Das heißt nicht, dass es nicht anstrengend ist; aber meine gesamte Existenz ist nicht mehr so erschüttert wie in der Babyzeit. Ich bin wieder ich, zwar noch mit vielen Einschränkungen, aber ich kann wieder leben. In der Babyzeit habe ich nur funktioniert. Hoffentlich liebevoll funktioniert, aber eben nur für die Kinder existiert. Das ist vorbei, gottseidank. Ich brauche das nicht, dass ein kleines Wesen komplett auf mich angewiesen ist. Manchen Müttern gibt das Bestätigung und einen Lebenssinn, ich dagegen fühle mich dadurch wie eingesperrt und ausgesaugt. Das hätte ich nie und nimmer, erst recht nicht in diesem Ausmaß, erwartet und es dauerte lange, bis ich akzeptierte, dass es eben so ist. Ich bin keine Baby-Mama.

Ich mag es, dass meine Kinder älter werden. Ich mag es, mich mit ihnen zu unterhalten. Ich mag es, dass sie Meinungen, Vorlieben, Interessen, Ansichten entwickeln und äußern. Ich mag es, wie sie sich in ihr Leben einfinden. Ich mag es, dass sie mich nicht mehr für ihre elementaren Bedürfnisse brauchen, sondern für anspruchsvollere Dinge. Ich freue mich darauf, meine Kinder beim Älterwerden zu begleiten, ihnen meine Interessen und Leidenschaften näherzubringen, sie die Welt entdecken zu lassen und mit ihnen spannende Fragen zu diskutieren. Ich freue mich auf einen Pool gemeinsamer Erinnerungen und das weitere Zusammenwachsen. Ich freue mich auf die erste Städtereise mit ihnen, die erste Bergwanderung, die erste Museumsführung, auf ruhige und genussvolle Restaurantbesuche, auf die Ausweitung unseres Urlaubsziel-Radiuses durch längere Autofahrten, auf anspruchsvollere Gesellschaftsspiele und wissensvermittelnde Kinderbücher, aus denen man selbst noch lernt. Ich freue mich auch auf ihre zunehmende Abnabelung, auf mehr Unabhängigkeit und Selbstständigkeit für beide Seiten. Dadurch wird unser Verhältnis seine Einseitigkeit verlieren und immer gleichberechtigter werden.

Vieles davon wäre mit dem Großen allein schon jetzt möglich. Mit der Kleinen noch nicht, aber es wird kommen. Und dem fiebere ich entgegen, darauf freue ich mich und möchte nicht zurück. Die Babyzeit empfand ich nie als erfüllend, nicht mit der relativ pflegeleichten Kleinen und erst recht nicht mit dem anstrengenden Großen. Ich hätte sie getrost überspringen können. Ein wissbegieriges Gespräch mit einem Kleinkind bedeutet mir mehr als ein zahnloses Babylächeln. Je älter sie werden, umso mehr Spaß macht es. Natürlich gibt es tagtäglich Situationen und immer wieder längere Phasen, die so gar keinen Spaß machen. Aber die Tendenz steht fest. Ich bin gespannt, ob sich diese Serie weiterhin so fortsetzt. Hoffentlich!