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Samstag, 20. Januar 2018

"Gelassen durch die Jahre 5 bis 10": Interview mit den Autorinnen des Wunschkind-Blogs über ihr zweites Buch

Gestern überraschten uns die Autorinnen des Blogs Das gewünschteste Wunschkind aller Zeiten treibt mich in den Wahnsinn mit der Ankündigung, dass sie begonnen haben, an ihrem dritten Buch zu schreiben, in dem es um das Thema Geschwister gehen wird. Wieder ein sehr spannendes Thema! Aktuell jedoch warten alle ihre Fans ungeduldig auf ihr zweites Buch "Gelassen durch die Jahre 5 bis 10", das im März 2018 erscheinen und das Vor- und Grundschulalter behandeln wird, eine Zeit voller Umbrüche und Veränderungen, die Eltern vor vielfältige Herausforderungen stellt. Mit ihrem bindungsorientierten und praxisnahen Ansatz möchten sie uns in ihrem neuen Buch gelassen durch diese Jahre führen und uns Eltern bei Themen wie Schulfrust, Vertrauen und Loslassen, Mediengebrauch etc. unterstützen. In Kürze können wir all das selbst im Buch nachlesen. Als Einstimmung darauf habe ich mit den Autorinnen ein Interview geführt, in dem sie ihr neues Buch vorstellen. Ich freue mich sehr darüber, es euch heute präsentieren zu dürfen.


Hier kommt das Interview:

Im März 2018 erscheint euer neues Buch „Gelassen durch die Jahre 5 bis 10“* im Beltz Verlag, auf das alle eure Fans und Leser schon hinfiebern. Danke, dass ihr uns hier schon einige Einblicke gewähren wollt.


1. Könnt ihr etwas näher beschreiben, welche Themen ihr im neuen Buch anreißen und welche Schwerpunkte ihr setzen werdet?

Nun, es geht vornehmlich um die typischen Probleme, die Eltern in diesem Altersabschnitt mit ihren Kindern haben: Das Kind will keine Hausaufgaben machen, es hängt nur an seinem Handy, es wird bald eingeschult und ist plötzlich so aggressiv, es hat blöde Freunde, die einen schlechten Einfluss ausüben, es hört nicht mehr auf die Eltern oder provoziert sie sogar, es flippt total aus, wenn die Eltern einen guten Ratschlag machen usw. Warum die Kinder so handeln, erklären wir wieder anhand des Gehirns - meist gibt es einen guten Grund. Wir erklären auch, wie man das als Eltern auf beziehungs- und bedürfnisorientierte Weise lösen kann. Eine ausführliche Inhaltsangabe findet ihr übrigens hier auf unserem Blog.


2. War es schwieriger, dieses zweite Buch zu schreiben, mit all dem Erwartungsdruck im Hinterkopf? Schließlich war euer Debüt ein Bestseller und ist zu einem Standardwerk über die „Trotzphase“ geworden.

Nein. Das Schreiben war genauso leicht und genauso schwer wie beim ersten Buch. Man geht ja an ein neues Buch nicht mit den Gedanken heran, einen Bestseller schreiben zu wollen. Man möchte einfach etwas erzählen - das war beim ersten und beim zweiten Buch gleich. Was jetzt, wo das neue Buch fertig ist, allerdings stark bei mir auftritt, ist Muffensausen. Ich habe wirklich Angst, es verbockt zu haben - dass alle Leser_innen das Buch langweilig und uninspirierend finden. Danielle versucht mir das tapfer auszureden. Sie findet das neue Buch toll. Also ja, Druck ist schon da. Aber eben nicht, weil wir unbedingt einen zweiten Bestseller wollen, sondern weil wir die Leser_innen nicht enttäuschen wollen.


3. In eurem ersten Buch „Der entspannte Weg durch Trotzphasen“* habt ihr ja einige eurer Blogtexte als Grundlage genommen und für das Buch erweitert. Diesmal war das sicherlich so nicht möglich, weil es nur wenige Texte zu dem thematisierten Alter auf eurem Blog gibt. Lief der Prozess des Schreibens und die Verteilung der Arbeit deshalb anders ab als beim letzten Mal?

Für das erste Buch hatten wir tatsächlich sehr viel mehr Artikel im Blog, auf die wir zurückgreifen konnten. Das war jetzt beim zweiten nicht mehr so einfach. Es sind zwar ein paar alte Artikel eingeflossen, z. B. über den Unterschied zwischen Wünschen und Bedürfnissen, aber insgesamt mussten wir sehr viel mehr neu schreiben und eben dazu auch recherchieren. Dieses zweite Buch war also arbeitsintensiver, würde ich sagen. Die Verteilung der Arbeit zwischen Danielle und mir war wie beim ersten Buch auch. Wir ergänzen uns einfach perfekt. Danielle kann innerhalb von Minuten jede Statistik und jede Buchreferenz wiederfinden, die ich brauche und sie fängt auch immer als Erste an mit jedem neuen Buch, weil sie strukturierter ist als ich. Ich merke immer erst beim Schreiben, was ich eigentlich im Buch haben will. Dafür bin ich für die Beispiele aus dem Alltag verantwortlich und mache ich auch die finale Überarbeitung, damit der Text an sich rund wirkt. Nach dem Lektorat sitzen wir beide nochmal unabhängig voneinander über den Kapiteln und suchen Fehler. Diesen letzten Schritt finde ich soooo anstrengend, dass ich ihn am liebsten ganz Danielle aufbürden würde.


4. Wie habt ihr selbst das Alter zwischen 5 und 10 bei euren Kindern empfunden bzw. wie empfindet ihr es? Was war leichter, was war schwerer als in den Jahren davor?

Katja: Ich finde eigentlich nur das Begleiten von Wutanfällen als emotional sehr auslaugend, insofern finde ich das Zusammenleben mit Kindern, die 5 und älter sind, als total entspannend. Klar gibt es auch Streit, schlechte Laune und irgendwelche Phasen, aber die waren bei uns immer nur kurz. Als meine Tochter Fräulein Chaos eingeschult wurde, ihre gleichalte Schwester aber nicht, da hatten wir z. B. ein paar sehr intensive Wochen mit einigem Gekreische auf Seiten der nicht eingeschulten Tochter. Da sie rein rational gut verstanden hatte, warum wir sie hatten zurückstellen lassen, und sie in der Kita auch glücklich war, brauchte ich ein bisschen, um dem Kreischen auf den Grund zu kommen. Als wir das aber verstanden hatten, konnte wir sie und ihr Bedürfnis besser unterstützen und dann hörte auch das störende Verhalten auf. Es ist also nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen bei uns, aber ich muss auch nicht täglich irgendwelche Grabenkämpfe austragen. Mittlerweile sind meine Kinder so vernünftig und rücksichtsvoll, dass ich wirklich nur noch sagen muss, wenn mich eine Kleinigkeit stört (z. B. wenn sie laut herumalbern, während ich etwas schreiben will), und dann hören sie einfach mit dem Störenden auf. Oder sie schlagen mir eine Alternative vor, so dass wir alle das bekommen, was wir wollen. Das hört sich jetzt albern kitschig an, aber unser Zusammenleben ist so leicht und schön, dass ich mich wirklich sehr gesegnet fühle.

Danielle: Ich muss ehrlich gestehen, dass mich die Zeit jetzt mehr anstrengt, als die ersten 5 Jahre, die ich mit meinen Kindern verbracht habe. Das liegt aber vorrangig daran, dass wir die Kinder in der Autonomiephase gut begleiten konnten, so dass diese Zeit eigentlich ruhig und angenehm war. Meine Kinder sind jetzt 6 und knapp 9 und lieben es, sich gegenseitig zu provozieren. Meinen Mann stresst das ziemlich, so dass ich mich oft unter Druck fühle, die Situationen möglichst schnell lösen zu wollen. Ich selbst kann das Geschrei meist gut aushalten und will lieber abwarten, bis sie selbst eine Lösung finden, aber meinem Mann fällt das sehr schwer. Da die Balance zu halten zwischen dem Bedürfnis meines Mannes nach Ruhe und dem Lernschwerpunkt der Kinder, ihren Streit selbst zu lösen, ist für mich ziemlich anstrengend. Was aber angenehm ist: meine Kinder sind nun in dem Alter, in dem sie für längere Zeit allein oder miteinander spielen. So haben wir Eltern zunehmend mehr Zeit für unsere eigenen Belange und natürlich auch uns als Paar - das ist schon deutlich entspannender, als die Zeit, in der man dem Anderthalbjährigen wachsam quasi auf Schritt und Tritt folgen musste.


Bildquelle: Das Gewünschteste Wunschkind aller Zeiten


5. Was sind die grundlegenden Veränderungen in diesem Alter und was sollten Eltern unbedingt wissen und berücksichtigen?

Nun, im ersten Lebensjahr lernen unsere Kinder ja erstmal ihren Körper kennen und ihn zu koordinieren. In der Trotzphase zwischen einem und fünf Jahren wiederum lernen sie, ihre Gefühle einzuordnen, mit ihnen umzugehen und sie zu integrieren. Wenn das abgeschlossen ist, also mit etwa 5 Jahren, sind im Gehirn dann alle Voraussetzungen gegeben, um zu lernen, wie die eigenen Handlungen auf andere wirken, welche Konsequenzen in den Beziehungen dadurch auftreten usw. Das große Lernthema der mittleren Kindheit ist also eindeutig "soziale Beziehungen". Deshalb driften unsere Kinder in diesem Alter auch etwas von uns weg, hin zu ihren Peers. Die Meinung ihrer Freunde wird wichtiger, und sie wollen immer mehr Zeit mit ihnen verbringen, als mit uns. Das ist richtig und wichtig so. Für die Eltern bedeutet das, sich im Loslassen zu üben. Wir dürfen weiterhin in Beziehung mit unseren Kindern bleiben, aber ihnen nicht in ihr Leben und ihre Freundschaften reinreden. Wenn sie in schwierige Mobbingsituationen geraten, dann müssen wir natürlich helfend zur Seite stehen, aber den Rest meistern sie gut allein. Und auch, wenn sie sich innerhalb dieser Freundschaften und Beziehungen für Wege entscheiden, die wir mit unserer Lebenserfahrung irgendwie doof oder nicht gesellschaftlich angemessen finden, sollten wir ihnen die Möglichkeit geben, selbst herauszufinden, was bei anderen gut ankommt und was nicht. Dieser Lernweg ist einfach nachhaltiger.


6. Katja Seide ist ja Lehrerin. Hast Du mit dieser Altersgruppe auch beruflich zu tun? Inwieweit fließen diese Erfahrungen in das Buch mit ein? Profitierst Du selbst davon, eure Gedanken und Strategien zu diesem Alter mal kompakt zusammengefasst und aufgeschrieben zu haben?

An meiner jetzigen Schule arbeite ich mit Kindern von 6 bis 12 Jahren, an der letzten Schule waren es sogar Kinder von 6-16 Jahren, und ja, natürlich fließen die Erfahrungen mit ins Buch ein. Ich habe ein bisschen aus dem Nähkästchen geplaudert, wie wir Sonderpädagogen z. B. mit "schwierigen" Kindern umgehen oder was ich genau mache, wenn es einen eskalierten Streit zwischen zwei Kindern gegeben hat.


7. Für viele Eltern ist speziell die sogenannte Wackelzahnpubertät vor der Einschulung besonders nervenaufreibend. Auch bei meinem Sohn, der bald 7 Jahre alt wird und gerade eingeschult wurde, bemerke ich immer noch deutliche emotionale Schwankungen bzw. Schübe, in denen alles ausgelöscht scheint, was vorher gut funktionierte. Was passiert da in den Kinderhirnen und wie kann man diese umwälzende Zeit gut unterstützen?

Es gibt ja den Mythos der Vorschulpubertät, der besagt, Jungs hätten mit 5 und 6 eine Art Hormonschub, so dass sie in dieser Zeit aggressiver sind. Quasi wie in der richtigen Pubertät. Wir haben da intensiv nachgeforscht, und diesen Testosteronschub gibt es nicht. Von der Geburt bis etwa 10 Jahre haben Jungen und Mädchen gleich viel Testosteron im Körper, nämlich quasi null. Gäbe es diesen Hormonschub bei Jungen wirklich, würde ihnen mit 5 Jahren Haare unter den Achseln wachsen oder sie würden eine tiefere Stimme bekommen - das passiert aber nicht. Außerdem sind auch Mädchen mit 5 oder 6 Jahren echte Zahnlückenrebellen - sie sind genauso aufmüpfig, wie Jungen. Nein, was da in dem Jahr vor der Einschulung passiert, ist ein anderes Phänomen. Dazu muss ich ein bisschen ausholen. Es ist so, dass wir Menschen und alle wilden Tiere es nicht leiden können, uns in hilflosen Situationen wiederzufinden. Das löst in unserem Gehirn nämlich eine Menge Stress aus. Deshalb versuchen wir, Hilflosigkeit zu entgehen. Es gibt ein sehr aufschlussreiches Experiment mit weißen Mäusen. Diese haben einen sehr großen Anteil des Tages damit verbracht, den Wissenschaftlern auf der anderen Seite des Käfigs zu "widersprechen". Knipsten die Versuchsleiter z.B. Licht in dem Käfig an, setzten die Mäuse alles daran, dieses Licht wieder auszumachen. Machten die Versuchsleiter das Licht aus, knipsten die Mäuse es wieder an. Sie verzichteten sogar freiwillig auf Nahrung oder Sex, nur, um widersprechen zu können, also eine Möglichkeit zu haben, sich nicht hilflos ausgeliefert zu fühlen. Und diesen Drang haben wir Menschen auch. So - und nun sind unsere 5-Jährigen also plötzlich in der Situation, dass sie bald zur Schule kommen. Die Erwachsenen um sie herum spechen nun andauernd darüber, ältere Herrschaften reden vom "Ernst des Lebens", der für sie beginnt, sie müssen in der Kita zur "Vorschule" gehen. Die Kinder wissen nicht so genau, wie es in der richtigen Schule sein wird, sie haben Angst davor, sie werden neue Freunde finden müssen, sie werden wieder die Kleinsten sein etc. Die Einschulung kommt also gnadenlos auf sie zu, und egal, was sie tun oder nicht, sie können nicht verhindern, eingeschult zu werden. All das führt zu großem inneren Druck, weil sie eben im Hinblick auf die Unausweichlichkeit Hilflosigkeit verspüren. Und was passiert bei großem inneren Druck? Wir werden aggressiv. Und genau das ist es, was wir bei den Zahnlückenrebellen beobachten: Es ist in Wut und Aggression umgewandelte Hilflosigkeit.

Wenn man das weiß, kann man das als Eltern relativ leicht auflösen. Man sollte den Kindern die Möglichkeit geben, sich auf anderem Gebiet nicht hilflos, sondern handlungsfähig zu erleben. Bei einer Aktion, die ihnen vielleicht auch Angst macht, aber eben bewältigt werden kann. Man muss ihnen quasi einen Knopf zum Drücken anbieten, wie bei den weißen Mäusen. Dazu eignen sich "gefährliche" Dinge, wie z.B. mit dem Messer schnitzen, oder allein zum Einkaufen gehen, oder allein kochen zu dürfen, oder mit Feuer hantieren zu dürfen. Gibt es für das Kind genügend andere Gelegenheiten, sich als nicht hilflos zu erleben, dann schwindet auch die Aggression im Alltag, die durch das Damoklesschwert "Einschulung" ausgelöst wurde. Alternativ können Eltern natürlich auch abwarten - ein paar Wochen nach der Einschulung sind eigentlich alle Kinder wieder von allein ganz normal und entspannt.


8. Was müsste im System Schule verändert werden, um Kindern in diesem Alter generell besser gerecht zu werden?

Oha, dazu könnte ich Romane schreiben... Ich glaube, es muss einen Paradigmenwechsel innerhalb des Verständnisses von Schule und Lernen geben. Wir müssen Zwang und Druck abschaffen, und den Kindern ihre Individualität in ihrem Herangehen ans Lernen lassen. Soweit ich das beurteilen kann, sind die meisten Schulen an diesem Punkt noch nicht angekommen. Aber es würde auch ein gänzlich neues Verständnis von Unterricht notwendig machen. An der Schule meiner Kinder wird z. B. in Mathe mit Yo-Gi-Oh und Nexo-Knights-Karten unterrichtet, was die Kinder natürlich viel mehr "abholt" als klassischer Unterricht. Wenn ein Kind ein Bild nur gekritzelt ausmalt, wird das einfach so angenommen, ohne darauf hinzuweisen, dass das nicht "richtig" ausgemalt sei. Sie werden zu nichts gedrängt und können jederzeit (auch mitten im Unterricht) zum Spielen auf den Hof gehen. Ihnen wird Vertrauen entgegengebracht, die Dinge dann zu lernen, wenn es für sie wichtig wird. Und der Erfolg gibt der Schule Recht - die Kinder lernen das alles auch ohne Zwang. Nur halt manchmal nicht in der von Erwachsenen vorgesehenen Reihenfolge.

Generell finde ich, dass die Schule, so wie sie existiert, den Kindern zu stark abgewöhnt, eigene Entscheidungen zu treffen. Man braucht nur mal kurz in eine beliebige erste Klasse hineinzuschauen: Den Kindern wird gesagt, wann sie frühstücken sollen, dass sie nun ihre Mathesachen auspacken sollen, dass sie jetzt bitte noch schnell auf Toilette gehen sollen, weil es gleich klingelt, dass sie eine Jacke auf dem Hof anziehen sollen, weil es kalt sei und dass sie nun den Buchstaben A lernen etc. Es gibt in der klassischen Schule wirklich kaum Gelegenheit für Kinder, eigene Entscheidungen für sich selbst zu treffen. Das machen immer die Erwachsenen. Und dann wird sich hinterher gewundert, warum die Kinder so unselbständig werden. Tja nun. Die Universitäten beschweren sich, dass die jungen Studierenden es nicht mehr schaffen, sich selbst zu organisieren und ihr Studium zu planen und umzusetzen, aber anstatt das Übel bei der Wurzel zu packen und den Umgang der Schule mit Schülerinnen und Schülern zu ändern, und sie selbstständiger werden zu lassen, wird stattdessen am Symptom rumgedoktert und das Studium komplett verschult. Klar, so kommen die Studierenden dann durch's Studium, aber sie haben dann immer noch nicht gelernt, eigene Entscheidungen zu treffen, ein Ziel zu planen und umzusetzen...

Bildquelle: Pixabay

9. Es gibt zu diesem Alter kaum Bücher, die keinen Fachbuchcharakter haben. Wolltet ihr ganz bewusst eine Literaturlücke schließen und ein populäres, allgemeinverständliches Buch zum Grundschulalter schreiben?

Uns war erst gar nicht bewusst, wie wenig Bücher es zu diesem mittleren Alter gibt - wir waren sehr überrascht, als wir das herausfanden. Denn eigentlich ist das doch der Zeitraum, um soziale Beziehungen zu lernen! Gerade, wenn man Angst davor hat, was die Pubertät so bringt, sollte man unbedingt die Jahre 5 bis 10 nutzen, um grundlegende Werte und eine tragfähige Basis für nicht-verletzendes Verhalten zu vermitteln. Die meisten Eltern kaufen erst in der Pubertät Bücher, wenn sie akute Probleme haben, aber dann ist ja eigentlich schon der Zug abgefahren. Jesper Juul z.B. sagt, dass in der Pubertät Erziehung nicht mehr geht und wir stimmen ihm da durchaus zu.


10. Seid ihr eigentlich ausgebrannt nach dem Schreiben dieser beiden Bücher oder habt ihr schon die nächsten Projekte im Hinterkopf? Auf eurem Blog ist es ja gerade etwas stiller; wie sieht euer Alltag zur Zeit aus? Wird es wirklich ein drittes Buch geben?

Es wird auf jeden Fall ein drittes Buch geben! Tatsächlich fangen wir gerade an, es zu schreiben, obwohl es zeitlich etwas schwierig ist. Wir beide haben den Job gewechselt und müssen uns erst einmal am neuen Arbeitsplatz einarbeiten. Zusammen mit der Familie bleibt da herzlich wenig Zeit für das neue Buch, leider. Die meisten unserer Leserinnen und Leser vermuteten, wir würden jetzt zur Pubertät schreiben. Aber wir haben immer gesagt, wir können nur authentisch über Themen schreiben, die wir selbst schon mit unseren Kindern durchgemacht haben. Daher ist das Thema des dritten Buches "Geschwister" - wie geht man mit Eifersucht und Geschwisterstreit um, was sollte man beachten, wenn ein neues Baby in die Familie geboren wird und wie jongliert man die unterschiedlichen Bedürfnisse der Kinder? In unserem Kopf ist es quasi schon halb geschrieben - nur müssen wir irgendwie Zeit finden, es auch in den Laptop zu tippen. Wir werden es diesmal wie beim ersten Buch machen - wir schreiben Artikel über das Thema für den Blog und fassen diese dann hinterher für das Buch zusammen. So bleiben wir unserem Wunsch treu, unser Wissen kostenlos zur Verfügung zu stellen. Unsere Leserinnen und Leser können dann selbst entscheiden, ob ihnen die Artikel im Blog ausreichen, oder ob sie dann noch das Buch kaufen wollen, um die Gedanken gebündelt für zuhause zum Nachschlagen zu haben.

Ich danke euch von ganzem Herzen für das Interview, wünsche eurem neuen Buch viel Erfolg und wieder viele Leserinnen und Leser und hoffe, dass ihr uns noch lange als Blog- und Buchautorinnen erhalten bleibt. Danke!

Die Eckdaten des Buches:

Danielle Graf, Katja Seide: Das gewünschteste Wunschkind aller Zeiten treibt mich in den Wahnsinn: Gelassen durch die Jahre 5 bis 10*, Beltz Verlag, 352 Seiten, März 2018, ISBN 978-3407865045, € 16,95
* Affiliate Link (gleicher Preis für euch, kleine Provision beim Kauf für mich)

Dienstag, 25. April 2017

Das Potenzial hochsensibler Kinder: "Aber ich kann es doch spüren!" (Rezension und Verlosung)

Erneut möchte ich euch ein neues, gerade erschienenes Buch über hochsensible Kinder vorstellen und darf sogar ein Exemplar an euch verlosen. Es handelt sich um das Buch von Karin Abriel: "Aber ich kann es doch spüren! Hochsensibilität als Potenzial nutzen"*, erschienen im Crotona Verlag. Karin Abriel ist Pädagogin und Herausgeberin der Webseite www.hochsensibilitaet.at und möchte mit diesem Buch dazu beitragen, "Bewusstsein zu schaffen für Bedürfnisse hochsensibler Menschen, vor allem Kinder, in einer Gesellschaft, die diesbezüglich noch wenig Bewusstsein hat" (siehe hier). Außerdem wird auf dem Cover mit dem "Schwerpunkt Schule" geworben und das interessiert mich natürlich besonders, da mein hochsensibler Sohn in diesem Jahr eingeschult wird. Meine bisherigen Rezensionen findet ihr hier.

Den Titel "Aber ich kann es doch spüren!" finde ich sehr passend für ein Buch über hochsensible Kinder. Da es nicht sehr umfangreich ist, eignet es sich gut für Eltern oder Pädagogen, die sich einen kurzen Überblick über das Thema verschaffen wollen. Im 1. Kapitel "Was ist Hochsensibilität?" fasst die Autorin die wesentlichen Informationen über das Phänomen zusammen und stellt die Merkmale hochsensibler Kinder wie stark ausgeprägte sinnliche Wahrnehmungen, besonderes Interesse an tiefergehenden Themen, präzise sprachliche Ausdrucksweise, Neigung zu Ticks und Zwängen, Zwiespalt zwischen Anders-Empfinden und Anpassungswillen etc. dar und konstatiert:

"Bedürfnisse von hochsensiblen Kindern sind fordernd. Sehr fordernd. Hochsensibel wahrzunehmen, bedeutet, ständiges Überfordertsein mit der Umgebung und ihren Reizen, als Kind noch einmal um ein Vielfaches mehr als im Erwachsenenalter. Das Erkennen, dass die Welt scheinbar anders wahrgenommen wird als bei den unmittelbaren Bezugspersonen, führt zu dem Dilemma, als hochsensibles Kind schon bald mit einer Identitätskrise konfrontiert zu werden." (S. 33f)

Es entsteht oft eine Tendenz zu Introversion, Rückzug, mangelndem Selbstbewusstsein und Distanziertheit, wodurch das Potential, das solchen Kindern innewohnt, auch später im Erwachsenenalter nicht ausreichend genutzt werden kann. Für eine positive Entwicklung kommt es sehr stark auf die Unterstützung und das Verständnis der Bezugspersonen an, wobei es schwierig sein kann, die eigenen Empfindungen und Erfahrungen von denen seines Kindes zu trennen, zum Beispiel, was die eigene Schulkarriere angeht.

Im 4. Kapitel geht die Autorin auf die Herausforderungen des heutigen Schulsystems ein, das durch Zeit- und Leistungsdruck, Anti-Individualismus, Lautstärke, Gewalt und Aggression, Hierarchien etc. charakterisiert ist und eine extreme Belastungssituation für hochsensible Kinder darstellen kann. Individuellen Unterschieden von Kindern wird nicht (ausreichend) Rechnung getragen und der Druck, einer Norm entsprechen zu müssen, ist sehr hoch. Umso mehr spüren Kinder, die "anders" sind, dass sie nicht in das starre System Schule passen, genauso wie auch Pädagogen überfordert sein können, wenn ein Kind extrem vom Durchschnitt abweicht.

"Den unterschiedlichen Wahrnehmungskanälen, die bei allen, vor allem aber bei hochsensiblen Kindern, vorhanden sind, wird im Regelunterricht auf keinerlei Art und Weise Rechnung getragen." (S. 75)

Im Teil 2 des Buches geht die Autorin darauf ein, wie man ein hochsensibles Kind konkret im Alltag unterstützen kann, und gibt viele praktische Tipps und Anregungen, die das gemeinsame Leben erleichtern. Als ein Schlagwort nennt sie beispielsweise den "Mut zur Langsamkeit", den Eltern möglichst aufbringen sollten, um der langsameren, intensiveren Wahrnehmung und Verarbeitung ihres Kindes gerecht zu werden und den Stress der umgebenden Welt, dem es ausgesetzt ist, zu reduzieren bzw. auszugleichen.

Zum Schluss bietet das Buch noch konkrete Ratschläge, wie man der Überforderung hochsensibler Kinder im Schulalltag am besten begegnen kann, worauf Eltern achten sollten und wie man unterstützen kann. Auch hier kommt es wieder darauf an, eine gesunde Balance zwischen Verständnis und Überidentifizierung zu finden. Diese Anregungen beziehen sich aber im Wesentlichen auf die Rolle der Eltern; mir fehlt in dem Kapitel, wie Lehrer und Erzieher angemessen mit hochsensiblen Kindern umgehen und sie so integrieren können, dass der enorme Anpassungsdruck reduziert wird.

Die richtige Schulwahl ist ein bedeutsames Thema für Eltern hochsensibler Kinder. Nicht immer jedoch sind alternative Schulen mit ihrem Fokus auf Eigenverantwortlichkeit automatisch die besseren Schulen für solche Kinder. Sie brauchen vor allem feste Strukturen und zugewandte, verständnisvolle Bezugspersonen. Man sollte sich bewusst machen, dass es nicht die "einzig richtige" Schule für das Kind geben wird. Viele Faktoren spielen dabei eine Rolle.

"Es gibt Systeme, herkömmliche und alternative, die in unterschiedlichen Richtungen Schwerpunkte setzen. Ob das für Ihr Kind förderlich ist, liegt stark an der Persönlichkeit, die es mitbringt, und an den Menschen, die diese Persönlichkeit im System begleiten." (S. 139f.)

Insgesamt ist die Schulzeit eine herausfordernde, lange Zeit für hochsensible Kinder, die mit vielen Emotionen auf beiden Seiten einhergehen kann und manchmal sogar das Gefühl von Ausweglosigkeit hinterlässt. Eltern und Pädagogen sollten eng zusammenarbeiten, um die Entfaltung des Potenzials hochsensibler Kinder zu unterstützen. Das Buch möchte dazu beitragen, für das Thema zu sensibilisieren und sich damit auseinanderzusetzen. Als Einführung in das Thema und kurze Zusammenfassung ist es gut geeignet. Es sind auch gute praktische Tipps enthalten. Wenn man sich schon intensiver mit dem Thema Hochsensibilität/ hochsensible Kinder beschäftigt hat (wie in meinem Falle), bietet ein Buch von diesem Umfang naturgemäß nicht viel Neues. Auch zum beworbenen Schwerpunkt Schule hätte ich mir ein paar mehr Gedanken gewünscht. Trotzdem finde ich es ungemein wichtig, dass es solche Einführungswerke gibt und dadurch Menschen, die sich über das Thema informieren wollen, ohne gleich ein umfangreiches wissenschaftliches Werk zu lesen, erreicht werden.

Fazit: Leseempfehlung für alle Eltern und Pädagogen, die sich kurz und knackig zum Thema belesen möchten.

Die Eckdaten:
Karin Abriel: Aber ich kann es doch spüren! Hochsensibilität als Potenzial nutzen*, Crotona Verlag, Februar 2017, 180 Seiten, ISBN 978-3861910831, € 14,95

Verlosung


Ich freue mich, ein weiteres Exemplar des Buches "Aber ich kann es doch spüren!"* verlosen zu dürfen. Um in den Lostopf zu hüpfen, hinterlasst mir bitte hier einen Kommentar darüber, was euch an dem Thema interessiert und, falls das Thema Schule bald ansteht, was euch besonders wichtig für euer hochsensibles Kind ist. Zusätzlich würde ich mich freuen, wenn ihr mir auf Facebook folgt, die Verlosung teilt und mir hier ein Herzchen gebt. Ist aber keine Bedingung. Bitte gebt euren Namen an, sonst kann ich euch nicht berücksichtigen!

Die Verlosung läuft bis zum 01.05.2017, 23:59 Uhr. Unter allen bis dahin eingehenden Kommentaren wird der Gewinner/die Gewinnerin ausgelost und hier sowie auf Facebook bekanntgegeben. Die Verlosung steht in keinem Zusammenhang mit Facebook. Versand nur innerhalb Deutschlands. Mindestalter 18 Jahre. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Viel Glück!

Vielen Dank an den Crotona Verlag für das Rezensions- und das Verlosungsexemplar!

*Affiliate Link

Ich habe am 03.05.2017 ausgelost. Gewonnen hat: Ann Greg. Herzlichen Glückwunsch!

10.05.2017: Da sich Ann Greg leider nicht bei mir gemeldet hat, musste ich neu auslosen. Die neue Gewinnerin ist Christina Voss (Josy). Herzlichen Glückwunsch! 

Donnerstag, 26. Januar 2017

Die Herausforderungen hochsensibler Jungen: "Ist unser Sohn hochsensibel?" (Rezension)

Das Buch, das ich heute vorstellen möchte, ist ganz neu auf dem Markt und im Herder Verlag erschienen: "Ist unser Sohn hochsensibel? Hochsensibilität bei Jungen erkennen und verstehen"*. Die Autorin Uta Reimann-Höhn ist Pädagogin, Mutter zweier Söhne und hat schon einige Ratgeber verfasst, u.a. zum Thema AD(H)S. Soweit mir bekannt ist, handelt es sich bei diesem neu erschienenen Buch um das erste und bisher einzige Werk, das sich speziell dem Thema "Hochsensible Jungen" widmet. Über hochsensible Männer gibt es seit kurzem das Buch Der sanfte Krieger von Oliver Domröse, doch die Hochsensibilität bei Jungen wird in den diversen Sachbüchern nur angeschnitten, z. B. in Hochsensibel ist mehr als zart besaitet von Sylvia Harke auf S. 222ff. Mich interessiert das Thema sehr, denn mein Großer ist vermutlich hochsensibel und seine in diesem Jahr bevorstehende Einschulung beschert mir viele Gedanken und Sorgen, die um sein spezielles Wesen und sein Klarkommen in diesem unindividualistischen System Schule kreisen. Dafür habe ich im Buch viele wertvolle Anregungen und Tipps bekommen. Es ist allerdings, und das habe ich fast erwartet, im Wesentlichen ein Buch über hochsensible Kinder, nicht nur Jungen.

Die Autorin startet mit einer kurzen Einführung anhand von Fallbeispielen und geht erfrischend schnell ins Detail, ohne sich an langen Erklärungen oder Diskussionen über das Phänomen der Hochsensibilität aufzuhalten. Man sollte also schon ein wenig Vorwissen zu dem Thema haben. Danach folgt das Kapitel "Positive Merkmale von hochsensiblen Jungen", in dem sie zum einen beschreibt, was hochsensible Kinder besonders gut können, zum anderen aber auch erwähnt, worunter solche Kinder gerade in der heutigen Zeit leiden. Und sie geht auf die speziellen Herausforderungen hochsensibler Jungen/ Männer ein, denn: "Besonders schwer haben es die Jungen, denn noch immer wird von ihnen erwartet, einem klassischen Rollenbild zu folgen. Ein Junge, der nicht tobt, kämpft und sich durchsetzt, wird häufig nicht ernst genommen." (S. 41f.) Und: "Hochsensible Jungen können ihre Gefühle und ihre Wahrnehmung der Welt selten mit anderen Männern teilen." (S. 139)

Spezielle Herausforderungen von hochsensiblen Jungen im Vergleich zu ihren nicht hochsensiblen Geschlechtsgenossen sind z.B.:

- die Abneigung gegen Körperlichkeit und Konkurrenzkampf: "Gerangel und Kämpfchen mögen sie nicht und vermeiden Auseinandersetzungen, wo immer es geht. Streitereien und Konflikte - Alltag im Kindergarten und für manche Jungen ein großer Spaß - sind ihnen verhasst." (S. 46)

- die Abneigung gegen Gruppen- und Wettkampfspiele

- die Abneigung gegen den Genuss von Fleisch bzw. überhaupt das selektive Essverhalten

- ihre Vorsichtigkeit, Ängstlichkeit und mangelnde Experimentierfreudigkeit, Abneigung gegen Höhe und Geschwindigkeit, fehlende Risikofreude

- ihre Emotionalität, ihr Einfühlungsvermögen, ihre Tendenz zum Vermittler und Nicht-Eignung zum "Anführer", ihre Entscheidungsscheu und Bedachtsamkeit

Nach der Einführung folgt ein Test mit 25 Fragen, der sich am bekannten Test von Elaine Aron orientiert und deren Fragen auf Jungen fokussiert. Die Fragen passen naturgemäß auf Kinder beides Geschlechts. Ich finde die diversen Tests zwar immer interessant, denke aber, dass es genau wie bei der Frage der eigenen Hochsensibilität genauso stark darauf ankommt, ob man sich selbst oder sein Kind in den Beschreibungen der Literatur bzw. den Erfahrungsberichten erkennt. Sucht man Antworten auf Fragen oder Hilfestellungen für Herausforderungen, dann beschäftigt man sich weiter mit dem Thema, unabhängig davon, wieviele Punkte man oder das Kind erreicht hat.

Danach geht die Autorin ausführlich auf die verschiedenen Lebensphasen eines Kindes ein: Baby- und Kleinkindzeit, Schuljahre und Pubertät. Sie bestätigt, dass man schon bei Säuglingen erste Anzeichen einer Hochsensibilität wie schnelle Überreizung, schlechtes Abschalten, unstillbares Schreien, starkes Fremdeln, Einforderung von Struktur und gewohnten Dingen etc. erkennen kann, konstatiert aber, dass "vielen Eltern [...] die Besonderheit dieses Verhaltens gar nicht auf[fällt], besonders wenn es sich um das erste Kind handelt" (S. 41). Das kann ich aus unserer Geschichte heraus nicht bestätigen, ich habe von Anfang an Erklärungen für das in meinen Augen auffällig ungewöhnliche und kräftezehrende Verhalten meines Großen gesucht. Auch in der Kleinkindzeit sieht man deutlich die Anzeichen für eine Hochsensibilität von Kindern, vor allem beim Thema Essen und Kleidung, Körperpflege (Waschen, Friseur, Nägelschneiden etc.), Fixierung auf wenige Bezugspersonen, Überforderung im Kindergartenalltag, Geräuschempfindlichkeit, Konfliktscheu usw. Eltern können hier durch viel Verständnis und Einfühlsamkeit großen Einfluss auf die Entwickung des Kindes nehmen.

Eine besondere Herausforderung für hochsensible Kinder ist die Schulzeit, die man gerade für diese Kinder sehr gut vorbereiten sollte. Aus diesem Kapitel habe ich angesichts der bei uns bald bevorstehenden Einschulung viele interessante Anregungen und Tipps mitgenommen. Die Umstellung auf diesen (wie auch auf jeden) neuen Lebensabschnitt kann bei hochsensiblen Kindern deutlich mehr Zeit einnehmen als bei anderen. Schule ist in fast allen Komponenten wesentlich anstrengender als der Kitaalltag. Das Kind braucht also noch mehr Regenerationsmöglichkeiten und Ruheoasen. Der Beziehung des Kindes und der Eltern zum Lehrer/zur Lehrerin kommt eine enorm große Bedeutung zu. Da hochsensible Kinder auf jegliche Art von Druck negativ reagieren, müssen bis dahin Strategien gefunden werden, um mit dem steigenden schulischen Druck umzugehen. Auch das Thema Freundschaften bringt nun besondere Herausforderungen mit sich, die Ansprüche an die Anpassungsfähigkeit an die Peergroup wachsen und Klassenfahrten sowie Teamsport sind nicht immer positive Erfahrungen für hochsensible Kinder. Perfektionismus, geringe Frustrationstoleranz, Kritikempfindlichkeit, Ruhebedürftigkeit, starkes Gerechtigkeitsempfinden, mangelndes Selbstbewusstsein machen sich während der Schulzeit noch deutlicher bemerkbar als vorher.

Besonders in der Pubertät, dieser extremsten Phase der Selbstfindung, hat die Veranlagung hochsensibler Jungen keinen Platz. Vieles, woran andere Jugendliche Freude haben, ist für Hochsensible Folter (Konzerte, Disko, Fußballspiele, Partys). Sie fühlen sich deshalb schnell ausgegrenzt und einsam, wenn sie bis dahin nicht einen oder mehrere Gleichgesinnte gefunden und diese Freundschaften auch gepflegt haben. Eine gute Methode nicht nur zum Finden von Gleichgesinnten, sondern auch zum Aufbau von Selbstbewusstsein ist das möglichst frühzeitige Aussuchen eines passenden Hobbys, wodurch sowohl Selbst- als auch Fremdbestätigung erlangt werden kann. Hierbei sollten gerade die Eltern unterstützend wirken und gemeinsam mit dem Kind/ Jugendlichen eine Leidenschaft/ ein Hobby suchen, was fordert, ohne zu überfordern, das den Kontakt zu Gleichgesinnten herstellt und Bestätigung gibt. Wenn dies nicht vorhanden ist, besteht gerade für hochsensible Jungen in der Pubertät das Risiko, an falsche Freunde zu geraten: "Werden sie von einer Gemeinschaft freundlich und ohne Bewertung ihrer Persönlichkeit aufgenommen, stellen sie deren Motive möglicherweise nicht mehr infrage." (S. 140) Deshalb ist es unabdingbar, das eigene Kind mit all seinen Facetten anzunehmen und ihm Wege zu zeigen, wie es Selbstbewusstsein und Resilienz erlangen kann. Bei der späteren Berufswahl sollten nicht nur die Interessen, sondern auch die Rahmenbedingungen (Großraumbüro, Außenkontakte, Flexibilität) berücksichtigt werden.

Zum Abschluss des Buches folgen in gebündelter Form wichtige Tipps für Eltern hochsensibler Kinder, eine Zusammenfassung und ein paar Anlaufstellen sowie Literaturvorschläge.

Zusammenfassung:

Das Buch liest sich sehr gut und flüssig, ist verständlich und praxisnah geschrieben. Ein paar Vorkenntnisse über Hochsensibilität sollte man schon besitzen. Die Fallbeispiele veranschaulichen die theoretischen Aspekte, man findet Situationen wieder, die jeder, der ein hochsensibles Kind hat, schon erlebt hat. Für mich war besonders die ausführliche Behandlung der Schulzeit unglaublich interessant und ich habe in diesem Kapitel viele sehr gute Ratschläge gefunden, die ich berücksichtigen werde. Vieles mache ich schon richtig und doch bleibt die Sorge vor den großen Herausforderungen der Schulzeit. Das Buch hat mir sehr geholfen, meinen diffusen Ängste etwas zu ordnen und zu beruhigen. Ich werde dezidiert auf die beschriebenen Punkte achten und hoffe, dadurch zu einer sicherlich nicht unanstrengenden, aber von Verständnis und Unterstützung getragenen Schulzeit für meinen Großen beizutragen.

Einige Äußerungen haben mir überhaupt nicht gefallen und mich sehr an veraltete pädagogische Muster erinnert, z.B.: "Achten Sie darauf, dass Ihr Kind solche Wutanfälle nicht dazu benutzt, seinen Willen durchzusetzen.[...] Diese Unterscheidung müssen Sie treffen, um Ihrem Kind klare Grenzen aufzuzeigen und sich nicht von ihm manipulieren zu lassen." (S. 43) oder auch "Vermeiden Sie es, gerade auch bei Schulkindern, bis zum Einschlafen am Bett sitzen zu bleiben." (S. 94) Solche pauschalen Aussagen kann ich nicht nachvollziehen, man sollte sich aber auch nicht zu sehr daran festbeißen.

Insgesamt kann ich die Lektüre dieses Buches jedem, der sich für das Thema hochsensible Kinder, speziell bei Jungen, interessiert, empfehlen. Viele der beschriebenen Aspekte passen auf beide Geschlechter und einige Bereiche sind für hochsensible Jungen besonders brisant. Sicherlich ist es für hochsensible Jungen noch schwieriger, ihren Weg zu finden, als für Mädchen. Der Rolle der Eltern bzw. Bezugspersonen kommt hier große Bedeutung zu. Im Buch finden sich äußerst wertvolle Tipps für das liebe- und verständnisvolle Navigieren durch die Kindheit und Jugend eines hochsensiblen Jungen.

Die Eckdaten:
Uta Reimann-Höhn: Ist unser Sohn hochsensibel? Hochsensibilität bei Jungen erkennen und verstehen*, Herder Verlag, Januar 2017, 192 Seiten, ISBN 978-3451614040, € 19,99

*Affiliate Link
 

Donnerstag, 16. Juni 2016

Über Selbstwirksamkeit und Resilienz hochsensibler Kinder: "Komm raus, ich seh dich!" (Rezension mit Verlosung)

Es ist wiedermal Zeit für eine weitere Buchrezension: ein neues, phantastisches Buch über hochsensible Kinder ist im Februar 2016 im Festland Verlag erschienen, das ich gern vorstellen und verlosen möchte. Hier sind meine bisherigen Rezensionen zu finden. Das Buch Komm raus, ich seh dich!: Von Glück, Selbstwirksamkeit und Wachsen hochsensibler und hochbegabter Kinder von Britta Karres ist auch, wenn man fast alles, was zu diesem Thema auf dem Buchmarkt ist, gelesen hat, unbedingt einer Lektüre wert. Die Autorin ist u.a. in einer Erziehungsberatungsstelle tätig und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Thema Hochsensibilität und Hochbegabung bei Kindern. Man merkt dem Buch positiv an, dass sie Menschen praktisch berät, ja, man kann es schon fast als Coaching-Buch lesen und viele konkrete Tipps daraus ziehen.

Das Buch ist sehr gut strukturiert und gegliedert, ein Schwerpunkt liegt auf der Schulzeit und den damit verbundenen immensen Herausforderungen für hochsensible Kinder. Nach einer Einführung folgt das ausführliche Kapitel "Hochsensibel stark werden mit den Eltern". Der Titel deutet schon an, welch große Rolle den Eltern hochsensibler Kinder zukommt. Entscheidend beim Umgang mit diesen Kindern ist nicht nur, die Kinder angemessen, verständnisvoll und wertschätzend zu begleiten, sondern auch sich selbst zu erkennen und zu reflektieren, unabhängig davon, ob man nun ein hochsensibles Elternteil oder nicht ist: "Wenn wir verstehen wollen, was unser Kind wirklich braucht, müssen wir erst unsere eigene Persönlichkeit kennen und sie klar von der des Kindes unterscheiden." (S. 20)

Alles steht unter dem Begriff der Selbstwirksamkeit, einer Fähigkeit, die "ihre entscheidende Prägung in der Kindheit erfährt. Selbstwirksamkeit setzt Resilienz - also seelische Widerstandskraft - voraus, die teils angeboren, teils auch trainierbar ist." (S. 10) Dabei kommt Eltern hochsensibler Kinder eine wichtige Rolle zu. "Das Erlernen und Einüben von Selbstwirksamkeit ist eine lebenslange Aufgaben, die in der häuslichen Erziehung begonnen wird." (S. 262f.) Es geht beispielsweise um Selbstachtung, Empathie, Impulskontrolle und Stressverarbeitung. Diese Fähigkeiten sind in unterschiedlichem Ausmaß angeboren, bei hochsensiblen Kindern aufgrund ihres "depressiven Realismus'" eher labil und störanfällig. Kommt dann noch die Prägung der Eltern dazu, die ihre eigenen Gefühle meist unterdrücken mussten, dann überträgt sich das leicht auf das hochsensible Kind und das Familiensystem gerät aus dem Gleichgewicht. "Unser Verhalten beeinflusst hochsensible Kinder noch stärker als normal sensible und daher ist es noch wichtiger, mit diesem Einfluss verantwortungsvoll umzugehen." (S. 101)

Genauso wichtig, wie das hochsensible Kind zu unterstützen, ist deshalb für Eltern, ob hochsensibel oder nicht, sich ihrer eigenen Geschichte, ihrer Prägung, ihrer Erinnerungen und Handlungsmuster bewusst zu werden und zu versuchen, daran zu arbeiten. Dafür sind im Buch wertvolle Tipps enthalten, die die Selbstwirksamkeit von Eltern trainieren sollen, denn "Selbstwirksame Eltern - selbstwirksame Kinder" (S. 94). Ich habe wirklich hilfreiche und augenöffnende Ansätze beim Lesen mitgenommen und auch Probleme aus einem anderen Blickwinkel betrachten können. Man bemerkt deutlich, welche Defizite man selbst als hochsensibles Elternteil hat, weil man eben nicht als Kind in seinen besonderen Eigenschaften und Bedürfnissen ernst genommen worden ist.

Auch wird beschrieben, welche Gefahren beim Blick auf ein hochsensibles Kind lauern, z.B. die eigene Betroffenheit, Überengagement, Überidentifikation, Festlegungen, übergroße Erwartung von Dankbarkeit und der implizite Wunsch, das Kind möge die eigenen Kindheitswünsche der Eltern erfüllen. Diese kritischen Punkte finde ich immer sehr erhellend zu lesen und erkenne mich zum Teil selbst wieder. Das wiederum ist der erste Schritt zur Veränderung. Sehr wichtig ist, das Kind als eigenständige Persönlichkeit wahrzunehmen und es nicht auf bestimmte, unabänderliche Charakterzüge festzunageln, denn: "Was Charakter und was momentanes Bedürfnis ist, bleibt im jüngeren Kindesalter noch sehr variabel und sollte auch so betrachtet werden, um die Möglichkeit der Entwicklung nach allen Seiten offen zu halten." (S. 111)

Es folgt ein sehr anregendes, reiches und praxisnahes Kapitel über "Die Fünf Schritte zur starken, hochsensiblen Persönlichkeit". Hier werden anhand von konkreten Beispielen Strategien erörtet, wie man hochsensiblen Kindern an schwierigen, belastenden Punkten Hilfe zur Selbsthilfe geben kann. Es geht um Selbstberuhigung, den Umgang mit Stress, Achtsamkeit, Verständnis, Verbalisierung von Gefühlen, Selbstbestimmtheit, Optimismus, Wertschätzung, Respekt, Einfühlungsvermögen, Beziehungsfähigkeit, Vertrauen, Bestärkung und Selbstachtung. Jedes dieser Schlagwörter wird theoretisch und praktisch erläutert und Hilfsmittel im Alltag wie Rituale, Musik, Sport, Berührungen, Familienregeln oder beispielsweise Anker vergegenwärtigt. "Anker können Gesten, Wörter, Gerüche, Lieder oder Berührungen sein und entstehen einerseits durch Zufall" (S. 135), können aber auch gezielt eingesetzt werden, um bestimmte Emotionen abrufbar zu machen. "Hat ein Kind gerade ein Erfolgserlebnis, können Sie dieses Hochgefühl festigen und für die Zukunft abrufbar machen, indem Sie ganz gezielt dieses Gefühl mit einem Sinneseindruck koppeln." (S. 136). Immer, wenn zukünftig der Anker aktiviert wird, entsteht das Hochgefühl und damit eine Selbst-Ermutigung. In dem Kapitel sind noch mehr solcher wertvollen Tipps enthalten.

Im letzten, umfangreichen Kapitel "Hochsensibel stark und erfolgreich in der Schule" werden so ausführlich wie selten in Büchern über hochsensible Kinder die Herausforderungen des Schulalltags beschrieben und das Potential, aber auch die Gefahren einer Schulkarriere geschildert. Zwar habe ich selbst noch kein Schulkind, hege aber jetzt schon viele der geäußerten Gedanken und Befürchtungen hinsichtlich des Schulstarts meines Sohnes im nächsten Jahr. Problematisch können sein: die Lautstärke, der Wettkampf, mangelnde Anerkennung von Individualität, fehlende Selbstbestimmung, die Tendenz hochsensibler Kinder, Autoritäten zu hinterfragen, die mündliche Mitarbeit, die Flucht ins Träumen bei zu hohem Reizvolumen, der Perfektionismus, die leichte Verunsicherung, Prüfungsängste sowie die Ambivalenz aus intellektueller Unterforderung und gleichzeitig sozialer und emotionaler Überforderung sowie Reizüberflutung. "Die Schule ist auf die Bedürfnisse der nichthochsensiblen Mehrheit ausgerichtet." (S. 223) Eltern und Lehrer haben nun gleichermaßen die Verantwortung, verständnisvoll, wertschätzend, motivierend auf hochsensible Schulkinder einzugehen. Besonders entscheidend ist eine vertrauensvolle, offene Beziehung zwischen den Eltern und dem Bezugslehrer. Eltern müssen eine Vermittlerrolle einnehmen, was sich manchmal als Balanceakt zwischen einem im Schulalltag leidenden hochsensiblen Kind (psychosomatische Beschwerden sind sehr häufig) und der herrschenden Schulpflicht darstellen kann.

Das Schul-Kapitel richtet sich auch explizit an Lehrer, die sehr viel Einfluss auf das Klima in einer Schulklasse und die Entwicklung ihrer Schüler nehmen können. Lehrer sollten sich - genauso wie Eltern - immer wieder hinterfragen und reflektieren, anstatt die Schuld für problematische Entwicklungen ausschließlich bei den Schülern oder in den Elternhäusern zu suchen. Denn: "Im Umgang mit Kindern ist unsere psychische Verfassung nicht nur unsere Privatsache, denn sie wirkt unmittelbar auf die seelische Entwicklung der Schüler ein." (S. 220) Leider werden Fähigkeiten wie psychologisches Geschick und seelische Stärke in der pädagogischen Ausbildung kaum vermittelt. Die Autorin stellt einige sehr gute Tipps und Ratschläge vor, wie die Schulkarriere hochsensibler Kinder erleichtert werden kann, z.B. durch das Einrichten von Rückzugsräumen. Ein speziell für die Schule entwickeltes Konzept der Achtsamkeit erwies sich als sehr wirksam und erfolgreich und sollte weitere Verbreitung erfahren. Der Schultyp ist dabei für hochsensible Kinder gar nicht unbedingt entscheidend, sondern das Schulklima, was maßgeblich vom Lehrpersonal geprägt wird. Emotionale und soziale Komponenten sind nachweislich stark für den Lernerfolg und das Wohlfühlen in der Schule verantwortlich. Es ist deshalb immens wichtig, dass Lehrer und Eltern Hand in Hand arbeiten und ihren hochsensiblen Kindern bzw. Schülern Wertschätzung und Verständnis entgegenbringen und sie entsprechend anleiten, um den Drahtseilakt zwischen der nötigen Anpassung an die Mehrheit und dem Wunsch, sich selbst treu zu bleiben, zu meistern.

Das Buch ist wirklich eine Fundgrube sehr fruchtbarer Ansätze, Gedanken und Tipps, regt zum Nachdenken und Reflektieren an und ist mit seiner Praxisorientierung Eltern (und sicherlich auch Lehrern) eine große Hilfe im Umgang mit hochsensiblen Kindern. Zitate von hochsensiblen Kindern und deren Eltern veranschaulichen die Problempunkte, und auch schwierige Themen wie Schulverweigerung werden sachlich und konstruktiv dargestellt. Das Buch ist eine große Bereicherung auf dem Buchmarkt zum Thema hochsensible Kinder und kann jedem Interessierten empfohlen werden.

Die Eckdaten:
Britta Karres: Komm raus, ich seh dich!: Von Glück, Selbstwirksamkeit und Wachsen hochsensibler und hochbegabter Kinder, Festland Verlag, Februar 2016, 288 Seiten, ISBN 978-3950412116, € 21,50

Verlosung

Ich freue mich, ein weiteres Exemplar des Buches Komm raus, ich seh dich! verlosen zu dürfen. Um in den Lostopf zu hüpfen, hinterlasst mir bitte hier einen Kommentar darüber, was euch an dem Thema interessiert und, falls ihr ein hochsensibles Schulkind habt, wie es in der Schule klarkommt. Zusätzlich würde ich mich freuen, wenn ihr mir auf Facebook folgt und mir hier ein Herzchen gebt. Ist aber keine Bedingung. Bitte gebt euren Namen an, sonst kann ich euch nicht berücksichtigen!

Die Verlosung läuft bis zum 26.06.2016, 23:59 Uhr. Unter allen bis dahin eingehenden Kommentaren wird der Gewinner/die Gewinnerin ausgelost und hier sowie auf Facebook bekanntgegeben. Die Verlosung steht in keinem Zusammenhang mit Facebook. Versand nur innerhalb Deutschlands. Mindestalter 18 Jahre. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Viel Glück!

Vielen Dank an den Festland Verlag für das Rezensions- und das Verlosungsexemplar.


Dieser Beitrag enthält Affiliate Links.

27.06.2016:
Gewonnen hat die liebe Sarah. Herzlichen Glückwunsch und viel Freude beim Lesen!
 

Mittwoch, 23. September 2015

Der Regen kämpft mit meiner Fröhlichkeit (Buchrezension)

Wieder einmal möchte ich ein gerade frisch erschienenes Buch über hochsensible Kinder rezensieren und somit meine bisherige Sammlung an Rezensionen zu diesem Thema (siehe hier und hier) ergänzen. Das Buch mit dem poetischen Titel Der Regen kämpft mit meiner Fröhlichkeit (Affiliate Link) ist im Mellingburger Verlag erschienen und wurde mir vom Autor Arne Salig freundlicherweise als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Bei jedem neuen Buch über hochsensible Kinder bin ich gespannt, wie das Thema verarbeitet wird und ob ich etwas Neues erfahren kann. In jedem Fall finde ich es sehr erfreulich, dass sich immer mehr Menschen damit beschäftigen und es dadurch bekannter und hoffentlich auch akzeptierter wird.

Den Titel, eine Aussage des Sohnes von Arne Salig, finde ich sehr aussagekräftig und passend für das Stimmungsbild hochsensibler Kinder. Zu Beginn gibt es eine kurze Einführung mit einem kleinen historischen Rückblick sowie einen Test aus 31 Fragen, der alle relevanten Aspekte beinhaltet. Danach geht der Autor ausführlich auf die Hauptcharakteristika hochsensibler Kinder ein. Besonders schön und traurig fand ich die gesammelten Aussagen hochsensibler Erwachsener über ihre Gefühle als Kinder und Jugendliche (S. 31-33). Wer sich hier wiedererkennt, ist mit ziemlicher Sicherheit hochsensibel.

Arne Salig legt wie viele andere Autoren Wert darauf, festzustellen, dass es nicht das eine ausschlaggebende Merkmal hochsensibler Kinder gibt, sondern die verschiedenen Charakteristika ganz unterschiedlich ausgeprägt sein können. Für alle gilt jedoch: "Hochsensible Kinder nehmen Eindrücke und Emotionen deutlich intensiver wahr und verarbeiten diese aufgrund ihrer komplexen Art zu denken auch noch intensiver." (S. 41). Sind also gewissermaßen einer doppelten Reizüberflutung ausgesetzt. Oder wie es der Sohn von Salig beschreibt: "Mein Gehirn läuft gerade über!" (S. 41) Spannend jedoch auch die direkt darauffolgende Aussage: "Von außen betrachtet wirken ironischerweise jedoch gerade diese geistig hochaktiven Kinder oft antriebs- und lustlos." (S. 41) Das habe ich so noch nirgends gelesen, kann es aber aus eigener Erfahrung mit meinem Sohn nur bestätigen und habe oft Schwierigkeiten, diese Diskrepanz zu akzeptieren, weil sie den Familienalltag sehr beeinträchtigt. Leider geht er im Buch nicht weiter darauf ein.

Danach folgt ein Erfahrungsbericht einer Mutter eines 3 1/2-jährigen Mädchens, die eindeutig sagt, dass sie ihr Kind und dessen Besonderheiten nicht als negativ, aber als unglaublich anstrengend empfindet. Anhand ihrer Notizen aus dem Baby- und Kleinkindalter ihrer Tochter kann man ähnlich wie in einem Test versuchen zu erkennen, ob die Charakteristika zum eigenen Baby/ Kind passen. Das fand ich sehr hilfreich, wird doch auf die Babyzeit in vielen anderen Büchern nur sehr kurz eingegangen. Auch hier erkannte ich meinen Großen in unzähligen Aussagen, darunter auch solchen wie "... war von allem schnell gelangweilt" und "...brauchte schon immer viel Input" (S. 49) wieder. Aufgrund des Widerspruchs zur schnellen Überreizung brachten mich solche Aspekte immer etwas zum Zweifeln, deshalb ist es umso interessanter zu lesen, dass es bei anderen hochsensiblen Kindern auch so war/ist.

Es schließen sich weitere Erfahrungsberichte aus dem Alltag mit hochsensiblen Kindern an, die alle die vielfältigen Facetten dieser Kinder zeigen. Interessanterweise stammen alle diese Berichte von Müttern. Beobachten Väter ihre Kinder tendenziell nicht so intensiv, können sie mit dem Thema weniger anfangen oder sehen sie die Unterschiede zu nicht-hochsensiblen Kindern einfach nicht? Diese Fragen wären mal eine nähere Betrachtung wert. Erschreckend klangen einige Aussagen von Erzieherinnen, dass das Thema auch über zwei Jahrzehnte seit Beginn der Forschung nicht nur nicht bekannt ist, sondern sogar vom pädagogischen Personal belächelt wird. Selbst eine Erzieherin aus einer kirchlichen Kita berichtet, dass das Thema dort nicht ernst genommen, sondern "eher als ein esoterisches oder spirituelles wahrgenommen wird" (S. 61). Hier muss dringend Schulung und Umdenken erfolgen, ebenso im kinderärztlichen und therapeutischen Bereich, damit adäquat auf hochsensible Kinder, die keine Diagnosen und Therapien, sondern Verständnis, Akzeptanz und Unterstützung brauchen, eingegangen werden kann.

Das Buch schließt mit vielen praktischen Tipps für Eltern, Erzieher und Lehrer, die vor allem den folgenden Grundsatz beherzigen sollten: " Was die hochsensiblen Kinder statt selbstbemitleidender Entschuldigungsstrategien brauchen, sind Lebensstrategien, die auf Selbsterkenntnis und Selbstakzeptanz beruhen." (S. 100) Es ist eine "Gratwanderung zwischen Achtsamkeit, Rücksicht und Verständnis auf der einen Seite und einem entspannten Umgang mit der Hochsensibilität auf der anderen Seite" (S. 100). Die Grundlagen dafür werden zuhause gelegt. Doch auch in Betreuungseinrichtungen, wo ganz andere Dynamiken herrschen als zuhause, muss sich weitergebildet werden. Gerade die wichtige "Hilfe zur Selbsthilfe" (S. 75) kann man gut im Gruppenalltag vermitteln, unterstützen und üben. Doch dazu müsste das Thema erstmal in pädagogische Lehrpläne aufgenommen werden und eine Bereitschaft da sein, es nicht einfach als ein neues "Modethema" anzusehen. Dahin scheint es noch ein weiter Weg zu sein.

Das Buch ist trotz des geringen Umfangs sehr hilfreich, gut lesbar und mit interessanten Erfahrungsberichten gefüllt. Auf 106 Seiten kann natürlich auf viele Aspekte nur kursorisch eingegangen werden. Trotzdem ist es aber an keiner Stelle oberflächlich, sondern tatsächlich eine wertvolle Ergänzung zur schon vorhandenen Literatur über hochsensible Kinder (siehe rechte Seitenleiste).

Hier noch einmal der Link zum Buch (Affiliate Link): Der Regen kämpft mit meiner Fröhlichkeit: Die Seele des hochsensiblen Kindes, erschienen im Juli 2015 im Mellingburger Verlag.
Ich danke Arne Salig für das Rezensionsexemplar und wünsche ihm viele interessierte und engagierte Leser.

Dienstag, 15. September 2015

Meine Gedanken zur Schule (Blogparade #Einschulung)

Das Thema Schule beschäftigt mich schon seit einigen Wochen sehr stark und so kommt es gerade passend, dass Mama notes eine Blogparade zum Thema #Einschulung gestartet hat. Die Tochter von Mama notes kommt nächstes Jahr in die Schule und sie macht sich aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen mit dem Schulsystem verständlicherweise Gedanken darüber, was ihren Kindern gut tut und wie sie eine Entscheidung bezüglich der passenden Schule treffen kann. Das geht mir genauso, ich wälze ähnliche Gedanken und beteilige mich deshalb gern.

Mein Großer kommt erst in 2 Jahren (2017) in die Schule. Er wäre zwar nächstes Jahr schon ein Kann-Kind, aber das kommt für uns nicht infrage. Viele bescheinigen ihm ja, dass er schon jetzt, mit 4 1/2 Jahren, wie ein Schulkind wirken würde, aber in meinen Augen ist er weder kognitiv noch emotional bereit dafür, auch in einem Jahr nicht. Also 2017. Die Anmeldung dafür findet im Oktober 2016 statt. Da die meisten Tage der offenen Tür allerdings auch erst jedes Jahr im Oktober angeboten werden, wäre eine umfangreiche Informationssammlung durch diverse Schulbesuche im nächsten Jahr zu spät für eine Entscheidungsfindung. Deshalb habe ich jetzt schon begonnen, mich im Netz über Schulen, Modalitäten und Tage der offenen Tür zu informieren und mir einige Termine in den nächsten Wochen herausgesucht.

Wir haben in unserem Wohnviertel das Glück, eine Vielzahl von unterschiedlichen Schulen vorzufinden. Es gibt neben diversen staatlichen Grundschulen in direkter Umgebung eine Freie Schule, eine bilinguale Schule, eine Montessorischule, eine evangelische Schule, eine Freie Demokratische Schule, eine private "Schule Eins" etc. Etwas weiter weg wären eine Waldorfschule, eine Alternativschule und andere Privatschulen. Da wir in einem kinderreichen Bezirk leben, werden sicherlich alle Schulen mit vielen Anmeldungen überhäuft. Aber es gibt mir ein gutes Gefühl, zumindest theoretisch eine große Auswahl zu haben. Selbst, wenn unser Großer dann letztendlich doch auf die normale Einzugs-Grundschule kommen sollte, weiß ich, dass ich mich zumindest informiert und eine bewusste Entscheidung in Abgrenzung zu anderen Möglichkeiten getroffen habe. Das ist für mich immer sehr wichtig, wie schon hier beschrieben.

Meine eigenen Erinnerungen an die Schulzeit (erst in der DDR, dann im vereinten Deutschland) sind eigentlich durchgehend negativ. Ich war gut in der Schule, ich habe Abitur gemacht und ein Hochschulstudium absolviert. Trotzdem denke ich mit Grausen an die Schulzeit zurück. Ob das am "System" Schule lag, an den Lehrern, am Gruppenzwang oder am Leistungsdruck, weiß ich nicht. Wahrscheinlich an allem ein bisschen. Fakt ist, ich denke ungern an das Schulthema und ich muss mich disziplinieren, um in meinen Aussagen über Schule gegenüber dem Großen neutral zu bleiben. Dabei mache ich mir jetzt schon Sorgen, wie er in der Schule klarkommen wird. Vor allem vor dem Hintergrund, dass er mir in einigen Aspekten so ähnlich ist: zurückhaltend, ruhebedürftig, lärmempfindlich, gerechtigkeitsliebend und ein überschaubares Umfeld und Struktur benötigend. Ich weiß aber auch, dass vieles von einzelnen Personen und der "Chemie" abhängt. Deshalb ist es nicht zwangsläufig so, dass eine kleine, überschaubare freie oder Privatschule automatisch die bessere Wahl für ihn wäre. Es hängt von so vielen Faktoren ab, ob und wo man sich wohlfühlt, die man meist vorher gar nicht beurteilen kann.

Bestes Beispiel dafür sind seine Kitaeingewöhnungen. Seine erste Kita war ein kleiner Kinderladen von 24 Kindern, zu dem Zeitpunkt, da frisch eröffnet, gerade mal mit ca. 10 Kindern gefüllt. Ich dachte, das wäre genau richtig für ihn, würde ihn nicht überfordern, das junge Personal wäre engagiert und nicht festgefahren, die familiäre Atmosphäre würde uns allen Sicherheit geben. Die Eingewöhnung war extrem schwierig und schmerzhaft und für mein Gefühl nie erfolgreich abgeschlossen. Das lag an vielen Faktoren, vor allem an der schlichtweg nicht vorhandenen Einfühlungskraft seiner damaligen Bezugserzieherin und merkwürdigerweise auch an dem kleinen Rahmen (der Kinderladen war in einer umgebauten Wohnung), der ihn einengte (mich übrigens auch). Als wir dann in seine jetzige, größere Kita wechselten, fühlte er sich ziemlich schnell wohl, bewegte sich freier, mochte den Garten und hatte eine verständnisvolle Bezugserzieherin, die weiß, wie sie ihn zu nehmen hat. Es ist also nicht zwangsläufig so, dass das, was wir für das Kind passend finden, auch wirklich passt. In dem Fall Kita war es eben genau das Gegenteil. Vieles hängt von den Persönlichkeiten und den allgemeinen Rahmenbedingungen ab. Deshalb bin ich mit dem Schulthema noch einmal vorsichtiger geworden.

Früher, bevor ich selbst Kinder hatte, war ich mir sicher, dass ich meine Kinder auf keine staatliche Schule schicken würde. Zu tief sitzen die eigenen Erfahrungen, die Erzählungen von Eltern älterer Kinder und die Sorgen und Befürchtungen um Leistungsdruck, Unterordnung, pädagogisch mieses Personal, Gruppenzwang und das Verloren-Gehen echter Freude am Lernen und Entdecken. Ich habe in meiner eigenen Schulzeit Lehrer erlebt, bei denen man sich nicht vorstellen konnte, wie sie jemals die Erlaubnis, ihren Beruf auszuüben, bekommen haben. Die Lehramtsstudenten an der Uni, neben denen ich manchmal in der Mensa saß, empfand ich als besonders unreflektiert und kindisch und konnte mir nicht vorstellen, ihnen jemals mein Kind anzuvertrauen. Ich habe in meiner Schullaufbahn nur einen einzigen Lehrer erlebt, der nicht nur mit Leidenschaft für sein Fach, sondern auch mit pädagogischem Geschick unsere Klasse betreute. Das ist ernüchternd. Aber: wenn es mehrere dieser Lehrer an einer Schule gäbe, wäre es unerheblich, ob es eine staatliche oder eine Privatschule ist. Doch das weiß man eben vorher nicht.

Was ich aber jetzt weiß, ist, dass für Kinder, gerade für meinen Großen, sein bekanntes Umfeld, sein Kiez, seine Freunde, seine gewohnten Wege, seine Anlaufstellen sehr sehr wichtig sind und ihm Stabilität geben. Und Stabilität ist in einer Lebensphase wie dem Schulstart, verbunden mit dem Milchzahnwechsel und der Sechs-Jahres-Krise (5.-7. Lebensjahr), grundlegend. Ein paar Kitafreunde, ein schon bekanntes Gebäude und das nachmittägliche Eis im vertrauten Eiscafe sind für das persönliche Wohlfühlen meines Großen sicherlich anfangs wichtiger als die optimale Schulform. Unsere Einzugsgrundschule ist zwar leider sehr groß, hätte aber zum Beispiel den Vorteil, dass ein eventuell anschließendes Gymnasium direkt über's Eck wäre. Er würde also die gesamte Schulzeit in diesem seinem gewohnten Umfeld verbringen. Die Privatschulen gehen oft bis zur 10. Klasse, manche beinhalten auch die Gymnasialstufe. Ich weiß auch, dass Struktur für ihn wichtig ist und jemand, der ihn an die Hand nimmt und anstupst. Er ist bis jetzt kein sehr initiativfreudiges Kind, sondern braucht immer Anregungen und Anstöße. Ein relativ freies, selbstbestimmtes Lernen würde ihn wahrscheinlich überfordern, so sehr ich mir das auch wünschen würde. Er braucht jemanden, der ihn bei Entscheidungen unterstützt, und möglichst auch nicht zu viel Auswahl. Sonst überfordert ihn das. Ich weiß nur nicht, ob ich diese Aspekte eher an einer staatlichen oder an einer privaten Schule sehe.

Ich möchte mein sensibles Kind natürlich gern in pädagogisch guten Händen und an einer engagierten Schule wissen und auch perspektivisch denken. Wo wird er am besten gefördert, wo am meisten auf ihn eingegangen? Wo gibt es Kinder, die ähnlich sind wie er, das heißt, wo wird er akzeptiert und geht nicht unter? Wo findet er auch Herausforderungen, die zu seiner Weiterentwicklung beitragen? Wo sind Eltern zu finden, die ähnliche Einstellungen haben wie wir? Ein Potpourri an Fragen über die für die nächsten Jahre vermutlich wichtigste Entscheidung, die wir für das Leben unseres Großen (und damit wahrscheinlich auch für das seiner kleinen Schwester) treffen müssen. Zum Glück haben wir noch ein Jahr Zeit bis zur Entscheidung. Aber ich fühle mich sicherer, wenn ich mich jetzt schon damit beschäftige. Auch wenn es mir ein bisschen Angst einjagt. Ich werde weiter berichten und die Blogparade von Mama notes intensiv verfolgen.