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Montag, 19. Dezember 2016

Wenn der Wutsturm kommt

Ich sitze auf dem Sofa, immer noch fix und fertig. Mir ist flau im Magen und durch meinen Kopf dröhnt das Wutgeschrei der Kleinen, das schon 3 Stunden zurückliegt. Fast 45 Minuten lang war sie völlig außer sich, hat gewütet und getobt, geschrien und geweint, getreten und Dinge nach mir geworfen. Nichts half. Ich war bei ihr, habe sie begleitet, ohne ungeduldig, sauer oder selbst wütend zu werden. Ich habe zwischendurch geweint, weil ich ihr überhaupt nicht helfen konnte und auch aus Mitleid mit mir selbst, weil sich dieser Wutsturm wiedermal an mir entladen hat. Aber ich bin ganz ruhig geblieben. Ich saß auf dem Fußboden im Flur, wo sie hockte und sich herumwälzte, habe die Arme nach ihr ausgestreckt, wenn ich das Gefühl hatte, sie öffnet sich ein Stück weit. Ich sah es in den zusammengekniffenen Augen in ihrem wutverzerrten, schreienden Gesicht, dass sie gern wollte, aber nicht konnte. Nach einer langen Weile kam sie sogar zwei Mal kurz zu mir und versuchte, sich anzuschmiegen, stieß mich aber gleich wieder von sich und brüllte noch mehr. Es ging noch nicht. Ich war still, habe nichts gesagt, sondern nur gewartet. Jedes Wort, jede Handlung verstärkte das Gebrüll nur. Die Kinder waren spät mit dem Papa nach Hause gekommen. Wir wollten Abendbrot essen, der Große saß schon am Tisch. Er hielt sich die Ohren zu. Der Mann brachte ihn mit seinem Essen ins Kinderzimmer, um ihn zu schützen. Irgendwann, nach einer unendlich scheinenden Zeit, es waren fast 45 Minuten, beruhigte sich die Kleine endlich und war wieder zugänglich. Dann ließ sie auch wieder Körperkontakt zu. Wir aßen zusammen und kuschelten auf dem Sofa.

Woher kam dieser Wutsturm? Früher wäre ich völlig ratlos und überfordert gewesen und hätte mir solch eine heftige Reaktion nicht erklären können. Oft war ich auch gekränkt. Mittlerweile kenne ich meine Kinder und weiß meist, worauf und wie sie reagieren. Ich habe mich auch selbst weiterentwickelt. Und das macht mich ruhiger. Ich denke, es war eine Kombination aus diversen unglücklichen Faktoren. Es war Freitag und die Kinder waren kaputt von der Woche. Die Kleine machte seit kurzem keinen Mittagsschlaf mehr in der Kita und war nachmittags immer enorm knatschig gewesen. Der Mann hatte die Kinder am Vortag und am Wutsturm-Tag von der Kita abgeholt und sie hatten mich an diesen beiden Tagen 10 Stunden lang nicht gesehen. Er war an beiden Nachmittagen mit den Kindern noch bis 18:15 Uhr unterwegs gewesen und das ist für sie extrem anstrengend, besonders im Winter. An den Nachmittagen war laut Aussage des Mannes alles super gewesen, d.h. die Kleine muss sich sehr zusammengerissen haben, da sie bei mir seit Wegfall des Mittagsschlafs immer motzig gewesen war. Nach der stundenlangen Anpassung in der Kita kam also noch das Zusammenreißen beim Papa dazu. Vielleicht war sie auch sauer auf mich, dass sie so lange von mir getrennt sein musste. Sie war also erschöpft, müde, kaputt, hatte mich vermisst, war gleichzeitig sauer und musste ihre Emotionen sehr lange unterdrücken. Als sie nach Hause kam und mich sah, kam das alles hoch. Und wenn sich so vieles in einem Menschen anstaut, muss das irgendwie raus. Dann fehlt nur noch ein Tropfen, der zur Explosion führt.

Bildquelle: Pixabay

Der konkrete Auslöser war: ich hatte für beide Kinder ein Mini-Mitbringsel auf den Tisch gelegt. Als die Kleine das sah und sich irgendwie benachteiligt fühlte, brüllte sie los. Da ihr Mitbringsel sie so sehr aufregte, packte ich es wieder weg. Das regte sie natürlich noch mehr auf. Dann musste ich mich kurz um den Großen im Bad kümmern. Das war zuviel für sie. Der Wutsturm brach sich Bahn und ließ sich nicht mehr stoppen. Zum Glück war ich ausgeruht und ausgeglichen, da ich an beiden Tagen nach der Arbeit noch zwei Stunden allein zuhause war, bis die Kinder kamen. Bin ich gestresst, angeschlagen oder unter Druck, klappt das Geduldigsein und Ruhigbleiben nicht so gut. Zum Glück war auch noch eine andere Betreuungsperson, der Papa, greifbar, der sich um den Großen kümmern konnte. Wenn man allein mit beiden Kindern ist, muss das andere Kind in dieser Zeit komplett zurückstecken und warten. Denn wenn ich mich um das Geschwisterkind kümmere, wird die Wut immer stärker. Und auch nach dem Wutsturm bekommt ja das sich gerade beruhigende Kind meine Aufmerksamkeit. Wenn ich mich dann gleich wieder dem Geschwisterkind zuwende, regt sich das Wutsturm-Kind nämlich wieder auf. Das sind sehr schwierige, kräftezehrende Situationen für alle Beteiligten.

Nachdem die Autonomiephase der Kleinen bisher wirklich - im Vergleich zum Großen - recht glimpflich verlaufen ist und meist gut zu händeln war, weil ihre Wut nicht ganz so heftig und körperlich war, ihre Ausraster berechenbarer waren und sie sich schon immer leichter beruhigen ließ als der Große, durchläuft sie nun seit einigen Monaten doch noch eine deutlich extremere Phase. Sie wird jetzt immer sehr schnell wütend, manchmal ärgert sie jede Kleinigkeit, und sie lässt sich kaum noch von außen beruhigen, sondern man muss wirklich mit ihr zusammen warten, bis der Wutsturm vorbei und sie wieder zugänglich ist. Ich tröste mich immer damit, dass es das letzte Aufbäumen ihrer Autonomiephase ist. Sie ist jetzt 3 1/2 Jahre alt. Und es macht für mich einen großen Unterschied in der "Nachbereitung" solcher Wutstürme, dass man, weil sie ein sehr kuscheliges, anschmiegsames Wesen hat, danach wieder mit ihr knuddeln und schmusen kann. Das war ja beim Großen nicht möglich gewesen und das macht viel aus.

Trotzdem kosten mich solche Ausraster immer noch viel Kraft, ich bin richtig aufgewühlt, weil ich in diesen Momenten soviel Energie aufbringe, um der Kleinen bzw. beiden Kindern gerecht zu werden. Und ich weiß noch, wie ausgelaugt ich nach den häufigen und heftigen Wutstürmen des Großen immer war. Für die Kinder selbst ist das natürlich auch unglaublich anstrengend, aber sie erholen sich schneller. Mir hängt das noch stundenlang nach. Diesmal aber nicht, weil ich mich zermarterte und mit meinen Reaktionen haderte, wie früher oft, sondern ich wusste, ich hatte genau richtig reagiert. Sondern weil es eben Kraft kostet und ich danach liebevoll weiter mache, ohne sie spüren zu lassen, wie erschöpft ich davon bin. Weil ich mitleide, wenn eines meiner Kinder leidet und ich es nicht herausholen kann. Weil ich mich selbst in solchen Situationen sehe, als kleines Kind, das nicht aufgefangen wurde. Weil ich schon eine sehr kräftezehrende Autonomiephase beim Großen hinter mir habe. Und weil sich besonders viel immer bei mir entlädt.

Ich kann das übrigens viel besser zuhause auffangen als draußen in der Öffentlichkeit. Draußen, vor allem in Gegenden, wo wir Leute treffen, die wir kennen, bin ich viel schneller gestresst und ungeduldig. Ich weiß, dass das bei manchen Eltern umgekehrt ist. Bei mir wirkt dann der zusätzliche Druck von außen so, dass ich nicht so reagiere, wie ich eigentlich möchte. Kennt ihr das auch?

Ich hoffe, dass ich die Kleine auch noch durch den Rest ihrer Autonomiephase so geduldig und verständnisvoll begleiten kann wie an diesem Abend. Ich bedauere es, dass ich beim Großen damals noch nicht so weit war, aber die Umstände waren eben tatsächlich andere und man entwickelt sich als Eltern ja auch weiter. Es gibt immer einen Auslöser und eine oder mehrere Ursachen für solche Wutstürme, auch wenn diese für uns auf den ersten Blick vielleicht nicht oder schwer zu erkennen sind. Aber wir sollten es zumindest versuchen. Ich führe mir immer mein Mantra vor Augen, dass die Ruhe der Bezugsperson die wichtigste Voraussetzung zur Beruhigung des Kindes ist. Das hilft durch die Wutstürme hindurch. Auch nach mehreren Jahren als wutsturm-erprobte Mama strengen mich solche Situationen furchtbar an. Aber ich bleibe ruhiger als früher. Und das hilft tatsächlich - dem Kind und uns selbst.

Nach einer Begebenheit am Freitag, 16.12.2016.

 
Mit diesem Beitrag bewerbe ich mich für den scoyo ELTERN! Blog Award 2017. Alle Infos dazu hier.

Freitag, 1. Juli 2016

Warum selbstbestimmtes Einschlafen nicht für jede Familie passt

Im Moment kursiert das Thema des selbstbestimmten Einschlafens in der Elternblogger- bzw. Twitterwelt und wird heiß diskutiert. Erfahrungen werden mitgeteilt, Tipps ausgetauscht und Ermutigungen ausgesprochen. Viele Eltern sind tendenziell von der Idee angetan und dem gegenüber aufgeschlossen, um dem weit verbreiteten abendlichen Einschlafk(r)ampf zu entgehen. Hier, hier, hier oder hier beispielsweise findet ihr Erfahrungsberichte von Familien, wo es gut funktioniert, dazu. Auf Twitter berichten Eltern über kleine Erfolge, erzählen, wie sie trotzdem Abendrituale in den Ablauf integrieren, dass die Kinder so lange (möglichst) allein spielen, bis sie müde werden und die kleineren Kinder dann einfach auf dem Sofa bei den Eltern wegnicken und ins Bett gebracht werden, während die größeren Kinder selbstbestimmt und eigenverantwortlich schlafen gehen. Da es dabei meist zu späteren Bettgehzeiten kommt als beim traditionellen Zubettbringen der Kinder, wird darauf vertraut, dass die Kinder, sofern sie am nächsten Tag müde sind, selbst lernen, dass sie früher ins Bett gehen müssen. Bei den kleineren Kindern wird gehofft, dass sie den entgangenen Schlaf am nächsten Tag nachholen, sofern sie nicht in der Kita sind.

Bildquelle: Pixabay

Ich finde die Idee und Praxis des selbstbestimmten Einschlafens an sich interessant und von dem zugrundeliegenden Gedanken her auch positiv. Die Vorstellung, dass Kinder abends so lange wach sind, bis sie müde werden und selbstbestimmt ins Bett gehen, ist der stärkste Ausdruck einer gleichwürdigen Beziehung zu den Kindern und gibt Kindern maximale Eigenverantwortung. Konkret sieht das in jeder Familie anders aus, über den Ablauf des Abendprozederes gibt es die verschiedensten Berichte. Wann werden die Zähne geputzt, der Schlafanzug angezogen, wird noch ein Teil begleitet durch Vorlesen, was dürfen die Kinder abends machen, wieviel sollen die Eltern zur Verfügung stehen etc. Eltern, die das selbstbestimmte Einschlafen praktizieren, berichten, dass ihre Kinder ziemlich ruhig und selbstständig vor sich hin spielen und die Eltern klar kommunizieren, dass sie zwar ansprechbar, aber abends keine Spielpartner mehr sind. Das setzt Kinder voraus, die relativ gut und lange allein spielen können. Mit viel Geduld, Verständnis und Klarheit kommen solche Kinder an den Punkt, wo sie dies akzeptieren, ihre eigenen (Schlaf-) Bedürfnisse einschätzen und dementsprechend handeln (schlafengehen) können.

Wie so oft wird leider viel verallgemeinert und missioniert, d.h. Eltern, wo das selbstbestimmte Einschlafen klappt, sind davon überzeugt, dass diese "Methode" bei jedem Kind funktioniert und wollen verständlicherweise andere Eltern davon überzeugen. Das Konzept klingt einleuchtend und gibt viel Selbstbestimmung an Kinder bei dem heiklen, umkämpften Thema des Schlafens. In den Familien, wo es tatsächlich funktioniert, ist das sicherlich eine wunderschöne Facette eines angestrebten gleichwürdigen Lebens mit Kindern. Ich glaube allerdings nicht, dass sich dieses Konzept für alle Familien bzw. alle Kinder gleichermaßen eignet und möchte gern ausführen, warum.

Das Kind

Unsere erste und allerwichtigste Lektion, die wir als Eltern schmerzhaft und mühsam lernen mussten, war, dass wir unserem ersten Kind, dem Großen, zum Einschlafen verhelfen mussten, weil er nicht allein abschalten konnte, den Schlaf aber dringend brauchte, um sich von all den Reizen der Umwelt zu erholen. Nein, nicht alle Babys schlafen einfach ein, wenn sie müde sind und nein, nicht alle Babys holen sich den benötigten Schlaf. Das denkt man immer, bevor man selbst Kinder bekommt und es wäre ja auch sehr schön, entspricht aber nicht der Realität. Es gibt Babys und Kinder, die muss man quasi zum Einschlafen "zwingen", das heißt gegen ihren Willen, aber für ihr Bedürfnis, was sie zwar spüren, aber nicht umsetzen können, für Schlaf sorgen. Man muss sie an bestimmte Signale gewöhnen, ihnen diese Signale vorgeben und das Einschlafen begleiten. Man muss immer den gleichen Ablauf vornehmen und sogar eine gewisse Uhrzeit einhalten, nicht aus einem Zeitfanatismus heraus, sondern weil vielleicht das letzte Schläfchen schon 4 Stunden zurückliegt und das Baby sich sonst nur noch in Rage schreit, wenn es über den Punkt ist. Wie gesagt, das trifft nicht auf alle Babys zu, aber auf diejenigen Babys, die sich trotz abgrundtiefer Müdigkeit vehement gegen den Schlaf wehren.

Es ist eine Frage der Selbstregulation, ob ein Baby abschalten, Reize und Eindrücke ausblenden und einschlafen kann. Mein Großer konnte das nicht, er musste IMMER von außen, also von uns reguliert werden, auch und besonders in seinem Schlafverhalten. Es ging ihm (und uns) deutlich besser, als wir auf regelmäßige, zeitlich ziemlich festgelegte und so lange wie möglich ausgedehnte Tagschläfchen mit entsprechender Nachhilfe (Kinderwagen, Trage, Auto) achteten, statt die 20 Min. Kurznickerchen mit nachfolgender schlechter Laune wegen Müdigkeit zu akzeptieren. Meine Kleine konnte im ersten halben Jahr gut abschalten, nicht immer (wie hier beschrieben), aber sehr oft, und schlief auch lang genug, um sich zu regenerieren. Mit 6 Monaten schlug das um und ab dann mussten wir ähnlich nachhelfen wie beim Großen, um sie in den Schlaf zu bringen, auch wenn sie sich nicht annähernd so extrem dagegen wehrte wie der Große. Auch spricht sie sehr gut auf Rituale an, z. B. das Schlafen im Buggy, wenn wir ganztags im Garten sind.

Ich glaube, dass sich dieses angeborene Verhaltensmuster, diese Fähigkeit zur Selbstregulation, auch in der Kleinkindzeit noch zeigt. Mein Großer beispielsweise schläft mittlerweile problemlos ein, wenn sein Ritual stimmt und er das Signal bekommt. NIEMALS aber würde er sich in sein Bett legen und einschlafen, weil oder wenn er müde ist. Er wartet immer auf den Erwachsenen, der ihm sinngemäß sagt: "So, jetzt schlaf mal ein." Er würde auch NIEMALS am nächsten Abend früher ins Bett gehen, wenn er am Morgen müde war. Dazu müsste er die Kausalverbindung zwischen diesen beiden Dingen herstellen und das kann er mit 5 Jahren nicht. Er würde entweder still leiden oder vor permanenter Müdigkeit aggressiv werden, so wie hier beschrieben. Seit er keinen Mittagsschlaf mehr macht, bekommt er an den Wochenenden oft die freie Wahl, ob er schlafen oder ruhig spielen möchte. Noch kein einziges Mal, selbst wenn er hundemüde war, hat er sich selbst für das Schlafen entschieden, obwohl er weiß, dass es ihm gut tun würde. Die Selbstregulation funktioniert nicht genügend. Wenn wir allerdings in der Mittagszeit Autofahren, schläft er als erstes unserer beiden Kinder ein. Er braucht den Schlaf also, wie als Baby. Ich glaube, dass viele Kinder, darunter meine eigenen (vor allem mein Großer), Struktur, Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit brauchen, gerade was das Thema Schlaf angeht.

Ein Beispiel dazu: mein Großer (5) schläft seit ca. einem Jahr nach dem Abendritual und dem Vorlesen bei einem Hörspiel ein, dessen Timer auf 15 Min. eingestellt ist. Er schläft aber erst ein, nachdem das Hörspiel ausgegangen ist, nicht währenddessen. Als der Timer zweimal nicht funktionierte, was wir erst eine Stunde später merkten, war er wach geblieben und lauschte weiter. Es fehlte also das Signal: Hörspiel aus - einschlafen. Das war bezeichnend und bestätigte meine Erfahrungen mit ihm.

Jemand schrieb auf Twitter, das Kind müsse auch erst lernen, an die Selbstregulation zu glauben. Das mag für manche Kinder zutreffen, für meinen Großen würde ich dies verneinen. Er braucht ein Regulativ, und das sind wir oder seine Erzieher oder die Großeltern. Egal, ob beim Einschlafen oder anderen Dingen. Ich bin mir absolut sicher, dass ein eigenverantwortliches Zubettgehen mit ihm nicht funktionieren würde, auch ohne dies ausprobiert zu haben. Rein aus meinem Wissen über seine Fähigkeiten und Bedürfnisse heraus halte ich dies für unmöglich. Und selbst wenn er irgendwann um 23 Uhr aus völliger Erschöpfung einschlafen würde, wäre das für mich kein selbstbestimmtes Einschlafen, sondern das Gegenteil davon. Immer, wenn ich lese, das Kind ist auf dem Sofa eingeschlafen und wird dann ins Bett getragen, sehe ich ein völlig übermüdetes, zusammengesacktes kleines Wesen vor mir, das sicherlich gern 2 Stunden früher von Mama oder Papa in den Schlaf begleitet worden wäre. Denn das Wegnicken wird ja nicht begleitet und die Kinder empfinden es bestimmt nicht als Beginn des langen Nachtschlafes. Außerdem wachen die Kinder dann an einem ganz anderen Ort in der Nacht oder morgens auf, was ich persönlich nicht optimal finde. Aber auch da mögen verschiedene Kinder unterschiedlich tolerant sein.

Speziell bei uns wäre ein großer Knackpunkt, dass die Kinder sich abends allein beschäftigen sollten. Das ist sowieso immer schwierig und abends, bei Müdigkeit und nach einem anstrengenden Tag, wird es mit Sicherheit nicht einfacher, ihnen das zu vermitteln. Sie haben einfach gar keine Kraft mehr dafür. So, wie wir tagsüber bei jedem Schritt in der Wohnung begleitet oder verfolgt werden, würde es auch abends sein. An selbstständiges Spielen glaube ich da nicht, was meine Kinder angeht, auch nicht mit einem monatelangen Lernprozess. Sie waren noch nie Kinder, die still vor sich hin spielten, während wir Eltern auf dem Sofa saßen. Vermutlich würden sie aus Erschöpfung permanent nach dem Handy oder Tablet verlangen, dadurch aber noch weniger herunterkommen. Hinzu kommt, dass wir tagsüber ja 7-10 Stunden getrennt sind und sie das Bedürfnis nach Nähe und Spiel mit uns haben, was nachvollziehbar ist, aber eben gegen unsere Bedürfnisse am Abend steht. Und damit kommen wir zu der Elternseite.

Die Eltern

Wenn es bei der Betrachtung der Kinderseite vor allem um die unterschiedlich ausgeprägte Fähigkeit zur Selbstregulation ging, die eine wichtige Voraussetzung für das Funktionieren des selbstbestimmten Einschlafens ist, so beinhaltet die Perspektive der Elternseite vor allem die Bedürfnisse der Eltern, die naturgemäß so unterschiedlich sind wie die Eltern selbst. Es gibt Eltern, die im Zusammensein mit ihren Kindern entspannen und auftanken und problemlos 10, 12 oder 16 Stunden mit ihnen zusammensein können. Es gibt andere Eltern, zu denen wir gehören, die den Abstand brauchen. Beides hat seine Berechtigung und jeder muss das machen, was ihm/ihr gut tut. Wenn nun Eltern, die dringend die abendliche Pause und Ruhe brauchen, ihrem Bedürfnis nicht Rechnung tragen, weil sie ein als positiv empfundenes Konzept wie das selbstbestimmte Einschlafen von Kindern gern durchsetzen möchten, so werden solche Eltern in kurzer Zeit unzufrieden und erschöpft sein, da sie ihre benötigte Auszeit nicht bekommen. Das wäre in jeglicher Hinsicht nicht nur kontraproduktiv, sondern psychisch und physisch schädlich für die Eltern.

Bei mir kommt das Extrem hinzu, dass ich eigentlich nur dann richtig entspannen kann, wenn ich allein bin. Da dies abends nicht möglich ist, besteht das Mindeste an Entspannungsmöglichkeit darin, dass die Kinder schlafen (meist gegen 20:30 Uhr). Tagsüber habe ich nur eine minimale Zeitspanne, wo ich allein bin, mein Mann gar keine, und deshalb ist es für uns enorm wichtig, den abendlichen Abstand zu haben. Ich merke zum Beispiel sofort meine Gereiztheit an Abenden, an denen ich mehrfach zur Kleinen ins Schlafzimmer muss, so wie ich auch die zerrissenen, unberechenbaren Abende mit Baby furchtbar fand. Das sind meine ganz persönliche Disposition und die strukturellen Voraussetzungen unseres Tagesablaufes. Sie sprechen deutlich gegen das selbstbestimmte Einschlafen unserer Kinder zum jetzigen Zeitpunkt. Für alle Zeiten möchte ich das gar nicht ausschließen, Kinder verändern sich, Eltern verändern sich, Bedürfnisse verschieben sich und werden stärker oder schwächer. Im Moment jedoch führt die Analyse der Voraussetzungen bei Eltern und Kindern bei uns nicht zum Versuch des selbstbestimmten Einschlafens.

Zusammenfassung:

Ich glaube, dass das Konzept des selbstbestimmten Einschlafens für Kinder mit schwacher Regulationsfähigkeit nicht geeignet ist und auch nicht funktionieren wird. Dazu gehören die meisten Schreibabys, High-Need-Kinder oder hoch reaktive Kinder. Sie benötigen sehr lange ein Regulativ von außen, eine deutliche Struktur und einen Wegweiser. Was mich persönlich an dem Konzept stört, ist die manchmal behauptete Selbstbestimmung bei sehr kleinen Kindern, die neben ihren Eltern auf dem Sofa einschlafen. Das ist für mich ein reines Erschöpfungseinschlafen. Ich finde es jedoch toll, wenn es bei größeren Kindern tatsächlich dahingehend funktioniert, dass sie nicht nur merken, wann sie müde werden, sondern auch darauf reagieren, indem sie ins Bett gehen. Aber auch darin sind nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene sehr unterschiedlich. Ich selbst habe früher oft bis tief in die Nacht gepuzzelt oder am PC gespielt, wider meine Müdigkeit und die Vernunft. Und heutzutage schreibe ich spät abends meine Blogtexte, mangels eines anderen ruhigen Zeitfensters am Tage. Auch dabei übergehe ich meine Müdigkeit und Erschöpfung fast täglich, zugunsten meiner Freizeit und meines Hobbys.

Ich möchte noch einmal betonen, dass ich das Konzept des selbstbestimmten Einschlafens grundsätzlich positiv finde und Familien bewundere, wo es tatsächlich funktioniert. Ich denke aber, dafür müssen viele Voraussetzungen stimmen, darunter die Selbstregulationsfähigkeit des Kindes und die Art der Elternbedürfnisse. Deshalb passt es beileibe nicht für jede Familie und ich plädiere für Verständnis und Toleranz für unterschiedliche Wege.

Was meint ihr dazu, praktiziert ihr das selbstbestimmte Einschlafen oder würde es bei euch wahrscheinlich ebenfalls nicht funktionieren? Welche Bedürfnisse habt ihr als Eltern am Abend, welche Disposition bringen eure Kinder mit? Bitte diskutiert respektvoll und tolerant.

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