Mittwoch, 24. Mai 2017

Eine Fahrradtour mit und ohne Launen

Wir sind gerade im Urlaub und haben für den Vormittag eine Fahrradtour mit den Kindern geplant. Wir wollen uns dafür 2 Fahrräder ausleihen; der Große hat sein eigenes mit und die Kleine will in den Kindersitz. Die Sonne scheint, es ist wunderbares Fahrradwetter und wir freuen uns auf eine schöne Runde um den See mit vielen Zwischenstationen. Die Strecke von ca. 9 km kennen wir schon, denn das war unsere erste gemeinsame Fahrradtour mit dem damals 4-jährigen Großen, der frisch Fahrradfahren gelernt hatte. So können wir die Kinder gut vorbereiten und sie wissen, worauf sie sich freuen können (Bisons, Spielplatz, Eisessen).

Tour 1:

Wir sind alle fertig und bereit zum Losgehen, während der Große wieder einmal beim Anziehen streikt. Trotz Klamotten-Alternativen, viel Geduld und der Aussicht auf einen schönen Tag weint er, verweigert und wälzt sich wie immer herum. Irgendwann ist er vor der Tür, wütet und beschimpft uns und sein Fahrrad, das er zum 6. Geburtstag bekam, und schreit, dass er nicht mitfährt und überhaupt, dass er gar nichts mehr mit uns machen will. Wer jetzt denkt, er wolle nur keinen Fahrradausflug machen, irrt. Diese Situation haben wir fast jeden Tag, egal ob Alltag oder Urlaub, und es wird einfach nicht besser.

Die Kleine und ich gehen schon zur Rezeption, um die Fahrräder auszuleihen. Es dauert alles ein wenig, bis die Räder angepasst sind. Der Große weint die ganze Zeit vor unserem Ferienhaus. Der Mann versucht ihn zu animieren und hat schon jetzt keine Lust mehr. Irgendwann kommen sie dann doch heulend. Der Fahrradkindersitz befindet sich auf dem größeren Fahrrad, das der Mann fahren soll. Waaahh, die Kleine will aber bei Mama sitzen! Der Sattel lässt sich nicht niedriger (für mich) einstellen. Es geht nicht. Die Kleine steht kurz vor einem Heul-Wutausbruch. Ich zeige ihr, dass ich mit dem großen Fahrrad wirklich nicht fahren kann. Sie grummelt, aber sagt dann: "Na gut, dann fahr ich bei Papa". Puh!

Der Große jammert immer noch, aber nun geht es endlich los. Das erste Stück der Tour ist eine herrliche Bergab-Strecke. Ich fahre mit dem Großen zusammen und wir brausen den Berg hinunter. Das macht Spaß und er hört auf zu meckern. Auf den ersten Kilometern sind dann tatsächlich alle ruhig und zufrieden. Die Natur ist wunderbar, aber die Anspannung steckt noch in allen drin und ich nehme nur einen Bruchteil meiner Umgebung wahr. Da unsere Starts in den Tag fast immer so anstrengend sind, lässt sich das nicht mehr so einfach abschütteln.


Wir machen eine kleine Pause an einem Skulpturen-Aussichtspunkt. Der Große möchte auf einen Säbelzahntiger klettern. Die Kleine kommt dazu und will auch oben sitzen. Das findet aber der Große nicht gut: "Immer will sie das, was ich mache!", und geht meckernd weg. Der Mann faucht irgendwas Genervtes und der Große ist noch beleidigter. Er beschimpft erneut den Papa und die ganze Welt. Die Stimmung ist schon wieder unterirdisch. Irgendwann schaffe ich es, den Großen wieder zu beruhigen, und wir fahren weiter.

Wir kommen zu einem Aussichtspunkt an einer Bisonweide. Die Kleine wollte unbedingt Bisons sehen, darauf hat sie sich die ganze Zeit gefreut. Es sind keine zu sehen. Ihre Laune rutscht in den Keller. Auf Familien-Fotos hat sie nun keine Lust mehr und knatscht vor sich hin. Zum Glück ist sie mit Snacks zufriedenzustellen. Weiter geht es wieder eine tolle Brausestrecke entlang. Auf den Wiesen am Westufer des Sees grasen cremefarbene Charolais-Kühe. Das sieht sehr idyllisch aus, ich mache Fotos, aber die Kleine hat darauf weiterhin keine Lust.


Wir machen Halt an einem Aussichtspunkt mit Kletterparcours. Leider gibt es nur einen für meine 2 Kinder. Das reicht nicht. Sie fangen an zu streiten und ärgern sich gegenseitig, bis der Große wieder schimpfend das Weite sucht. Es ist so nervend. Die Umgebung ist wunderschön und ich versuche krampfhaft, das Gute-Laune-Fähnchen hochzuhalten. Der Mann hat längst aufgegeben und gibt nur noch eskalationsfördernde Bemerkungen von sich. Wir fahren in Richtung Seepromenade und kommen zu einem Spielplatz. Dort wird konfliktfrei (!) geklettert. Beim Aufbruch merkt man allerdings schon der Kleinen an, dass etwas in ihr gärt, sie jammert, will nicht in den Kindersitz, sich nicht anschnallen lassen, keinen Helm aufsetzen. Ich glaube, sie ist müde und will zu mir, also schnalle ich sie an, aber mitfahren muss sie weiterhin beim Mann. Sie weint etwas, aber als wir Pferde sehen, geht es wieder.


Unsere letzte Station ist der Eisladen an der Seepromenade. Jeder bekommt ein leckeres Eis und wir sitzen herrlich im Schatten auf einer Bank am See. Ein Traum. Die Kleine bedient sich an meinem Eis, naja, was soll's. Wir sind jetzt echt kaputt und die zunehmende Mittagswärme wird unangenehm. Es gibt Streit ums Getränk, die Kleine gibt es nicht frei, der Große hat Durst. Wieder will sie nicht in den Kindersitz, sondern mit mir fahren bzw. es ist jetzt alles doof. Sie schreit und schimpft und bockt und verweigert. Ich versuche mit Engelszungen, sie zu beruhigen, wir wollen losfahren, es ist heiß, wir haben Hunger und noch einen Anstieg vor uns. Der Mann ist super genervt, ich rede auf die Kleine ein, sie schreit und der Große grummelt. Wir unterhalten die halbe Seepromenade mit unserem Schauspiel.

Irgendwann geht es nicht mehr, wir kriegen sonst einen Sonnenstich. Es sind nur ca. 23 Grad, aber die Sonne hat Kraft und wir sind direkt am See. Die Kleine muss jetzt in den Kindersitz, schreit, weint, tritt, tobt und boxt den Papa für den Rest der Strecke in den Rücken. Sie schnallt sich selbst den Helm ab und fährt helmlos. Das letzte Stück ist ein Anstieg, wir keuchen alle, der Große fängt an zu meckern. Der Mann strampelt mit der schreienden Kleinen den Berg hinauf. Nach insgesamt 2,5 h wieder im Ferienhaus angekommen, dirigieren wir die Kinder ins dunkle, kühle Schlafzimmer. Dort beruhigen sie sich schnell und machen erstmal Pause. Wir Eltern kümmern uns ums Mittagessen und unsere eigene Verfassung und sind fix und fertig - weniger von der Fahrradtour als vielmehr von den Launen und Befindlichkeiten der Kinder. Ein Genuss war das nicht, für keinen. Im Gegenteil. Ich erzähle dem Mann, was für Touren andere Eltern mit ihren Kindern machen, sei es mit Fahrrad, im Auto, mit dem Zug oder Flugzeug. Nichts davon würde mit unseren Kindern funktionieren. Wir hatten reichlich Proviant mit, haben Pausen gemacht, Spielgelegenheiten und Interessantes für die Kinder eingebaut, die Strecke war nicht zu schwer und sehr abwechslungsreich, das Wetter eigentlich ideal. Trotzdem kann man das nur als gescheiterten Vormittag bezeichnen.

Tour 2:

Am Nachmittag wagen wir uns nicht nochmal auf eine Familien-Fahrradtour. Da wir die Räder aber bis zum nächsten Morgen gemietet haben, sage ich zum Mann, er solle doch abends nochmal alleine die Runde um den See fahren. Das macht er und kommt nach 25 Minuten wieder. Huch, ich hatte gedacht, er genießt es und ist den ganzen Abend unterwegs. Da er schon wieder zurück ist und die Kleine schnell einschläft, kriege ich auch noch Lust auf eine Tour. Also nach kurzer Überwindung um 20:20 Uhr noch auf's Rad geschwungen, um allein die gleiche Runde wie am Vormittag abzufahren.

Ich brause den Berg hinunter und spüre die Freiheit, die Geschwindigkeit und die laue Abendluft. Die Sonne schimmert über dem See, der friedlich daliegt. Bald geht es in den Wald hinein. Ruhe und Einsamkeit umfängt mich. Zwei Hasen flüchten vor mir, ein Bussard steigt auf. Es duftet nach Blüten. Ich merke, dass ich diesen Geruch auf der Tour mit den Kindern nicht wahrgenommen hatte, so wie ich vieles nicht wahrnehme, wenn ich mit ihnen unterwegs bin. Ich empfinde viel tiefer und intensiver, wenn ich allein, ohne Kinder bin. Die frisch-grünen Blätter, die Stille des Waldes, das Bei-Mir-Sein, das Freiheitsgefühl, es ist herrlich. Ich genieße die Abendstimmung mit allen Fasern.


Ich fahre an den Skulpturen vorbei und denke mit Grauen an die Streitereien der Kinder am Vormittag. Ich treffe andere Fahrradfahrer, die ebenfalls den Abend genießen. Am Bison-Aussichtspunkt mache ich Halt, es sind immer noch keine Bisons zu sehen, aber das Panorama ist phantastisch. Es ist absolut herrlich, ich bin total glücklich. Der Blick auf den See in einer fast menschenleeren Gegend. Dann geht es mit Geschwindigkeit bergab, ich jauchze und strecke die Beine ab. Die Charolais-Kühe sind immer noch da und grasen in der Abenddämmerung. Auf der großen Wiese am See haben sich Wildgänse eingefunden, die ich eine Weile beobachte. Diese Stille!

Auch die letzte Etappe fahre ich ruhig und glücklich und lasse die Tour auf einer Bank mit Blick auf den See ausklingen. Am Wegesrand sind Getreidefelder, Vögel zwitschern, Pärchen gehen spazieren, Rennradfahrer und Inline-Skater nutzen die tollen Routen. Nach etwas über einer Stunde komme ich zuhause an und bin selig. So fühlt sich für mich Glück, Genuss und Freiheit an. Der Kontrast zu der Tour am Vormittag ist krass. Nicht nur empfinde ich es mit den Kindern viel einschränkender und weniger intensiv und nach nun 6 Jahren des Mamaseins denke ich, das wird sich auch nicht mehr ändern, sondern es ist auch höchst anstrengend, ständig zwei oder vielmehr drei Menschen in ihren Missstimmungen, Emotionen und Launen regulieren und vermitteln zu müssen. Es saugt mich aus, es kostet unheimlich viel Kraft, die mir beim Genießen schöner Momente dann fehlt. Aber bei der Abend-Tour allein habe ich mich gespürt, habe Kraft getankt und genossen. Das war so schön!


2 Kommentare:

  1. Liebe Frühlingskindermama,

    was für zwei ergreifende Berichte, die in ihrer mentalen Stimmung nicht unterschiedlicher sein könnten. Ein und dieselbe Freizeitbeschäftigung, die einem - ist man alleine - so viel seelische Kraft und Freude gibt, kann mit Kindern zum Alptraum werden. Sehr deutlich wird in deinen Berichten klar, dass Kinder einen enormen Einfluss auf den Familienalltag haben, dass Stimmung und Missstimmung, Leid und Glück oft so nah beieinander liegen. Auch wir mussten solche Situationen am eigenen Leib erfahren, da unser Sohn im Alter von 4 Jahren ebenfalls sehr schwierig war und seine Trotzphase über mehrere Jahre extrem auskostete. Aber ich kann euch beruhigen. Das geht vorbei! Heute ist unser Sohn 15 und die Radtouren mit unseren beiden Kindern sind eine wahre Freude. Wie heißt es so schön: Alles wird gut!
    Viele liebe Grüße und herzlichen Dank für diesen ehrlichen, einfühlsamen und nachdenklich stimmenden Reisebericht.
    Christine

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    1. Dankeschön, auch für Dein Verständnis und Nachempfinden. Ja, man kann manchmal alles noch so perfekt planen, mit Kindern kommt es dennoch anders;-)
      Dass ihr mittlerweile schöne Radtouren habt, macht Mut! Ich mag es eigentlich sehr gern, mit den Kindern Fahrrad zu fahren, und möchte mich nicht durch negative Erfahrungen davon abbringen lassen. Alles wird gut!
      Liebe Grüße!

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