Samstag, 29. November 2014

Defizite

Heute war schwierig. Der Große ist seit Tagen so empfindlich, wegen jeder Kleinigkeit beleidigt und wütend und fällt zum Teil in alte, überwunden geglaubte Aggressionsmuster zurück. Außerdem merkt man wieder einmal deutlich sein Defizit beim Verstehen (oder Akzeptieren) von Ansagen und Zusammenhängen. Dass man zuerst die Weihnachtsdeko fertig aufbaut und danach Plätzchen bäckt, kann man ihm zwanzigmal sagen - er kommt trotzdem immer wieder zwischendurch damit an. Wenn man dann irgendwann genervt reagiert, ist er beleidigt, fragt aber 5 Minuten später wieder danach. Das ist nur eines von ganz vielen Beispielen. Manchmal ist es echt zum Verzweifeln. Dann denke ich wie so oft in diesen Situationen: Bin ich zu anspruchsvoll? Erwarte ich zuviel von einem 3 3/4-jährigen Kind? Kann er das noch gar nicht verstehen? Doch wenn ich mir seine gleichaltrigen Freunde anschaue, dann sehe ich, dass man das beherrschen kann, auch mit knapp 4 Jahren. Und wenn schon nicht verstehen, dann doch wenigstens akzeptieren. Aber das funktioniert in den allerseltensten Fällen. Nicht um uns zu ärgern, nicht weil er dumm ist, sondern weil die grundlegende Fähigkeit fehlt, Zusammenhänge und Abläufe zu erkennen und sich dann auch in diese zu "fügen".

Wenn ich in diesem Punkt die Kleine mit ihren 1,5 Jahren mit dem Großen im gleichen Alter vergleiche, ist sie ihm um Längen voraus bzw. nicht nur voraus, sondern in einer komplett anderen Dimension. Sie versteht Zusammenhänge nach 2-3 Malen, verinnerlicht diese und verhält sich (meist) entsprechend. Sie besitzt diese Fähigkeit einfach, man kann sie nicht antrainieren. Nun kann es natürlich sein, dass sie eine "Blitzmerkerin" und außerordentlich weit in diesem Bereich ist, während der Große "normal", also altersentsprechend entwickelt ist. Mein Gefühl sagt mir aber das Gegenteil, und die Unterschiede zwischen beiden Kindern hat man schon von Babyzeiten an gemerkt. Mir macht das mangelhafte Verständnis des Großen sehr zu schaffen, weil ich selbst sehr schnell und fast intuitiv Zusammenhänge erfasse und mein Verhalten entsprechend anpasse. Also eher wie die Kleine ticke. Ich werde dann sehr schnell ungeduldig, will den Großen aber natürlich nicht überfordern. Unter Druck kann er seine Fähigkeiten viel schlechter abrufen. Wenn er da ein Defizit hat, würde ich ihn gern unterstützen. Dies habe ich von früh an versucht, ihm immer wieder Dinge hundertmal geduldig erklärt, alles angekündigt, alles wiederholt etc. Viel mehr, als ich es jemals bei der Kleinen gemacht habe. Aber ich habe wirklich das Gefühl, es fruchtet nicht. Und das macht extrem ratlos.

Solch ein Mensch wird im späteren Leben sehr veränderungsresistent sein, weil er nie aus seinen Fehlern lernen wird. Weil er den Zusammenhang nicht versteht. Auch dies ist schon jetzt deutlich zu erkennen. Das ist auch einer der Gründe, weshalb man bei ihm mit sogenannten Konsequenzen überhaupt nicht weiterkommt. Dass man eine Konsequenz versteht, würde bedeuten, den Zusammenhang zwischen einem positiven oder negativen Verhalten oder Vorkommnis und der Folge zu begreifen. Das aber findet im Gehirn des Großen nicht (oder auf eine für mich nicht nachvollziehbare Weise) statt. Deshalb prallen Konsequenzen an ihm völlig ab. Auch dies ist keine Erziehungsfrage, sondern von der individuellen kognitiven Disposition abhängig. Für Eltern eine schwierige, um nicht zu sagen unlösbare Situation.

Die Mama Miez hat letztens einen Post geschrieben, in dem ich den Großen zum großen Teil wiedererkannte: Motzmaeulchen oder Die Aber-Regel. Es gibt also noch andere solche Kinder... Und man  muss dazu sagen: all das beschreibt den Großen in seinem familiären Umfeld. Im äußeren Leben (Kita etc) versteht er Zusammenhänge, Abläufe, Konsequenzen sehr wohl und verhält sich entsprechend. Deshalb wirkt er dort enorm angepasst. Das muss er zuhause ja gar nicht sein. Aber ein wenig Ausgewogenheit wäre für alle Beteiligten nervenschonender.

2 Kommentare:

  1. Zuerst einmal ‐ ich kann die Verzweiflung, wenn ein Kind gerade in einer extremen
    Trotzphase steckt, sehr gut nachempfinden. Das kann wirklich an die Konsistenz gehen!
    Vielleicht helfen dir ja meine Worte etwas: Dein "Großer" ist mit 3 3/4 tatsächlich noch
    sehr, sehr klein! Man neigt dazu, von den "Großen" sehr (zu?) viel zu verlangen, sobald
    kleinere Geschwister da sind. Und von seinem Verhalten mit noch nicht einmal 4 (und
    zudem in einer starken Autonomiephase) auf sein Verhalten und daraus resultierende
    Probleme als Erwachsener zu schließen ist völliger Quatsch. Lass dich von so etwas
    nicht verrückt machen, sonst wird es noch sehr schwer für dich werden. Es werden
    nämlich immer wieder Phasen kommen, die schwierig sind. Da hilft vielleicht ein wenig
    das "Mama‐Mantra": "es ist nur eine Phase, es geht vorbei. Ommmm!" Zudem meine ich
    hier folgendes zu erkennen: dein Sohn ist vom Wesen her total anders als du. Das ist für
    dich sehr schwer. Meine Große ist auch ganz anders als ich. Ich bin eine Macherin, am
    liebsten schnell und effektiv. Meine Große ist eine Träumerin. Puh, was ist mir das
    manchmal schwer gefallen. Dann hat mir mal jemand gesagt, dass es in vielen Familien
    mindestens 1 Kind gibt, das uns geschickt wurde, um etwas zu lernen. Denn nicht nur
    unsere Kinder lernen von uns!! Ich kann meine Traumtänzerin mittlerweile nicht nur
    akzeptieren, sondern bewundere ihre Fähigkeiten, und ihre Art, der Welt zu begegnen.
    Jedes Kind ist anders. Und jedes Kind ist wunderbar! Vielleicht hilft dir das ein wenig,
    deinen Großen so anzunehmen wie er ist und das nicht als Problem, sondern als
    Geschenk zu sehen! Ich würde es dir von Herzen wünschen!

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    1. Vielen Dank für Deinen lieben Kommentar! In vielem hast Du sicherlich Recht. Der Höhepunkt seiner Autonomiephase ist zum Glück vorbei, aber es gibt immer wieder "Rückfälle". Das ist sicherlich normal. Dass der Große dasjenige meiner beiden Kinder ist, von dem ich lernen soll und das mir vieles abfordert, ist auf jeden Fall richtig und habe ich schon bemerkt, als er noch ein ganz kleines Baby war. Ich denke aber, dass er mir in vielen Wesenszügen eher ähnlich ist und ich ihn in seinen Befindlichkeiten sehr gut verstehe, und umso schwerer fällt es mir, die Bereiche zu akzeptieren, wo er komplett anders ist als ich. Das wird ihm sicherlich umgekehrt genauso gehen: die Mama, die ihn von allen seinen Nächsten bestimmt am besten versteht und auffangen kann, ist in einigen Situationen so fern und so anders als er. Das ist ein Dilemma, mit dem wir beide umzugehen lernen müssen. Aber ich bin genau wie Du eine Macherin und ein Mensch, der sich und andere gern verändern möchte. Das Schlimmste für mich ist Stagnation. Und wenn dann mein Gegenüber nicht so mitmacht, wie ich es mir vorstelle/wünsche, bin ich sehr frustriert. Ich habe diese Situation im privaten Umfeld und möchte nicht, dass mein Großer in eine ähnliche Richtung steuert. Der Blick in seine Zukunft ist vielleicht ein wenig übertrieben, aber durchaus begründet. Und es ist eben keine Phase, sondern ein roter Faden, der sich seit seiner Babyzeit durchzieht. Wahrscheinlich so ähnlich wie bei Deiner "Traumtänzerin". Was mich vielleicht ein wenig beruhigen könnte, ist, dass ich mir viele Fähigkeiten selbst antrainierte, als ich schon erwachsen war. Wenn ich ihm dies vorlebe, habe ich die Hoffnung, dass er ein wenig davon mitnimmt. Und insgesamt wird mir das Akzeptieren seiner Schwierigkeiten bestimmt umso leichter fallen, je älter er wird und es selbst schafft, seine vielen positiven und tollen Seiten zu aktivieren und zu zeigen. Die sind nämlich zahlreich vorhanden, aber oft verschüttet durch die vielen Kämpfe, die er mit sich selbst und wir mit ihm ausfechten...
      Ich danke Dir nochmal sehr herzlich für Deine Gedanken!

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