Samstag, 16. Juni 2018

Ein Kinofilm und eine unerwartete Begegnung

Gestern war ich im Kino und habe mir den Film "Tully" angesehen. Darin geht es um eine Mutter, die ziemlich überfordert und unglücklich in ihrem Leben mit drei Kindern, darunter ein Neugeborenes und ein sehr herausforderndes Kind, ist und die mit Hilfe einer Nacht-Nanny, die sie nicht nur nachts mit dem Baby, sondern auch im Haushalt und auf psychischer Ebene unterstützt, wieder zu ihrem früheren Ich, ihrer Lebensfreude und Abenteuerlust zurückfindet. Der Film stellt Mutterschaft und Familienleben ungeschönt und realistisch dar und macht klar, dass das Kinderhaben nicht nur keinesfalls zum Lebensglück einer Frau führen muss, sondern sie im Gegenteil sogar unglaublich destabilisieren kann.

Ich war allein, das Kino war fast leer und der Film bewegte mich sehr, denn das Gefühl, mit der Mutterschaft zu hadern und unglücklich zu sein, kenne ich nur zu gut. Als ich anfing zu bloggen, war dieses Gefühl noch sehr präsent. Ebenso gut kenne ich die Sehnsucht nach dem früheren Ich und dem Leben vor den Kindern, was die Liebe zu ihnen aber in keinster Weise schmälert; deshalb spiegelte dieser Film gewissermaßen genau die Ambivalenz, die ich mit mir herumschleppe, seit ich Mutter bin. Schon in meinem allerersten Blogpost überhaupt (Ich sollte nicht ins Kino gehen) habe ich diese ambivalenten Gefühle beschrieben, bezeichnenderweise auch an einem Kino-Beispiel.

Als ich das Kino verließ, war ich ziemlich zerknautscht und verheult, erschöpft von der Arbeitswoche, müde wegen Kopfschmerzen und insgesamt emotional derangiert. Ich wollte nur noch nach Hause und diese Gefühle verarbeiten, bis ich wieder in meiner Mitte sein würde. In diesem Moment klopfte mir jemand von hinten auf die Schulter. Ich drehte mich um - und blickte ins Gesicht meines ersten Freundes, der ebenso überrascht war, mich an diesem Ort, in dieser Millionenstadt Berlin wiedergefunden zu haben. Unsere Beziehung ist 20 Jahre her und wir hatten uns bestimmt 10 Jahre nicht mehr gesehen, aber er sah noch fast genauso aus wie damals und ich hätte ihn auch sofort erkannt. Da er selbst in einen Film gehen wollte, hatten wir nur kurz Zeit zum Reden, aber das war vielleicht ganz gut, denn ich war ziemlich durcheinander.

Die Begegnung mit diesem Freund, der aus einem früheren, kinderlosen (wenn auch nicht problemlosen) Leben stammte, setzte quasi den Emotionen, die in mir waberten, die Spitze auf. Er verkörperte als kinderloser, ungebundener, selbstständig arbeitender Mann, der sich ein wenig unser damaliges Studentenleben bewahrt hatte, in diesem Moment die Sehnsucht nach dem früheren Leben, die durch den Film aufgebrochen war. Ich schämte mich dafür, dass ich so verhärmt, müde, ergraut, augenberingt und zusätzlich noch verheult aussah und ihm das Bild einer gealterten, erschöpften und zerrissenen Zweifach-Mutter darbot. Gleichzeitig war es total skurril, diesem ehemals vertrauten Menschen gegenüber zu stehen und zu sehen, dass dieser sich fast nicht verändert hat, weder äußerlich noch in der Lebensweise, wohingegen ich selbst mich im Vergleich zur damaligen Zeit durchaus verändert und durch die Mutterschaft in vielen Aspekten völlig neu kennengelernt habe.

Bildquelle: Pixabay

All diese Gedanken und Gefühle schwirrten durch meinen Kopf und parallel versuchte ich, in der Kürze der Zeit halbwegs sinnvolle Informationen auszutauschen. Es war wirklich merkwürdig, wie sich quasi der Film durch diese unerwartete Begegnung fortsetzte. Als wir auseinandergingen, hatte ich das Gefühl, gleich zwei bewegende Ereignisse verarbeiten zu müssen. Zum Glück hatte ich danach die nötige Zeit und Ruhe dazu. Als würde der Zufall dieser Begegnung nach so vielen Jahren noch nicht ausreichen, kam sie in einem Moment, der sowieso schon sehr emotional und labil war. Das war sehr verwirrend und hinterließ ein unabgeschlossenes Gefühl. Genau wie der Film "Tully", dessen oberflächlich betrachtetes Happy End für mich keines war.

Und um den Bogen zu meinen beiden wunderbaren Kindern zu schließen: besonders berührt hat mich in dem Film die Figur des (wahrscheinlich autistischen) Jungen Jonah, der mich in seinen Herausforderungen, seinen Ängsten, seinen Eigenarten, seiner Wut, seinen Problemen mit Übergängen und Neuem und seiner Starrheit sehr an meinen Großen erinnerte und mir gleichzeitig wieder einmal die riesengroße, verblüffende und wunderbare Entwicklung, die mein Großer gemacht hat, vor Augen führte. Denn mein Großer war einst ein ähnliches Kind wie Jonah, aber er hat sich unglaublich verändert. Nicht nur ist er stabiler, ausgeglichener, offener und flexibler geworden, sondern auch wir haben in den meisten Bereichen gute Wege für uns alle gefunden. Er ist fröhlich, beliebt, gemeinschaftskonform, anerkannt, anpassungsfähig und kein Außenstehender, der ihn kennt, würde ihn mit dem Jungen Jonah aus dem Film in Verbindung bringen.

Doch wir kennen ihn von Geburt an und wissen um seine (und unsere) Schwierigkeiten. Eine unglaublich tolle Entwicklung hat er gemacht, was wir auch durchaus bemerken und würdigen, aber dies nun so deutlich und bewegend im Vergleich zu Jonah zu sehen, war sozusagen die dritte emotionale Herausforderung an diesem Abend für mich. Und brachte das Thema der Kinder wieder mitten hinein in meine Gedanken, das Kreisen und Ringen um die Mutterschaft.

Denn das Eine gibt es bei mir nicht ohne das Andere. Es gibt nicht nur die Zerrissenheit und das Hadern, sondern auch die Liebe und die Freude über die Kinder. Es gibt den Freiheitsdrang und die Dankbarkeit. Es gibt Streit und Harmonie. Es gibt die unfassbar komische Situation, wenn du deinem Kind eines deiner absoluten und emotionalsten Lieblingsduetts, "One" von Bono und Mary J. Blige vorspielst und es dann sagt: "So, und jetzt bitte Biene Maja!". Das alles umfasst meine Mutterschaft. Dieser Abend, dieser Film und diese Begegnung brachten all dies wieder einmal zu Bewusstsein. Das ist schmerzhaft und schön zugleich, wie das Leben eben oft ist. Insofern war es weitaus mehr als:

Ein Kinofilm und eine unerwartete Begegnung.

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