Montag, 25. Januar 2016

Wie die Kleine den Großen Zärtlichkeiten lehrte

Die Kleine befindet sich gerade auf einem absoluten Zenit ihrer Kuscheligkeit. Bin ich in der Nähe, werden die Ärmchen um meinen Hals gelegt, die Wange an meiner gerieben, Küsse verteilt, gestreichelt, geknuddelt und geherzt. Am Esstisch kommt sie mir so nah wie möglich, will oft auch auf meinem Schoß sitzen und schnurrt wie ein Kätzchen. Bin ich woanders, läuft sie "Mami, Mami" oder "Mimi, Mimi"-rufend durch die Wohnung und sucht mich: "Wo ist meine Mami?" Abends beim Einschlafen kuschelt sie ihr Gesicht an meines, rutscht auf meine Seite rüber und legt ein Ärmchen über meinen Hals. Sie nimmt unsere Gesichter in ihre Hände, sagt "Guck mich mal an" und schaut dann intensiv in die Augen. Trage ich sie auf dem Arm, blickt sie mich oft ganz verliebt und inniglich von der Seite an, gibt mir schmatzende Küsschen und legt ihr Köpfchen auf meine Schulter. Sie sagt ganz oft: "Du bist meine Mami, und Du bist ...s [des Großen] Mami." Am ersten Kitatag nach den Weihnachtsferien säuselte sie abends im Bett: "Mami liebe Mami, ich hab Dich vermisst, wir ham uns lange nich gesehn!". Sehr goldig klingt auch "Ich bin in Mamas Bauch gewachsen." Sie ist so anschmiegsam, liebevoll, zugewandt, herzig und kuschelig, das ist für mich total rührend, wunderschön - und ungewohnt.

Quelle: Pixabay

Denn mein erstes Kind, der Große, ist ein durch und durch unkuscheliges Kind gewesen, das Berührungen unangenehm fand und vermieden hat, das nie Küsse und Liebesbekundungen verteilt hat, das unseren Streicheleinheiten ausgewichen ist und sich meist steif gemacht hat, wenn wir ihn in den Arm nehmen wollten. Schon als Baby hat er unsere Hände weggeschlagen, wenn wir ihn streicheln wollten und hat nur bei schwerer Krankheit auf unserem Bauch gelegen. Wenn ihm Begrenzungen zu eng waren, hat er sich mit voller Wucht nach hinten geworfen, überstreckt und geschrien. Zwar wollte er immer getragen werden, aber bitte nicht in einer ankuschelnden Haltung oder in einer Tragehilfe. Es dauerte sehr lange, bis man mit ihm auf dem Sofa gemütlich ein Buch anschauen konnte und er den Körperkontakt akzeptiert hat. Er ist auch nie oder ganz selten an der Hand gelaufen. Bis heute zuckt er manchmal zurück, wenn ich ihm über die Wange streichen will. Damit umzugehen war für uns Eltern - besonders für mich als Mama - sehr schwer.

Meine verstorbene Schwiegermutter berichtete oft, dass mein Mann als Baby genauso war. Damals haben wir das nicht geglaubt und ihr fehlende Zärtlichkeit unterstellt. Ehrlich gesagt hatte ich vorher noch nie von einem anderen Baby gehört, das Kuscheln so vehement ablehnt, dass man als Eltern wirklich keine Chance hat. Man denkt ja immer, Babys und Kleinkinder brauchen Körperkontakt wie die Luft zum Atmen. Auch jetzt würde ich das wahrscheinlich nicht glauben, hätte ich es nicht selbst erlebt. Aber es war so, von Anfang an, dass er zwar sehr anhänglich, stark fremdelnd und unbedingt tragebedürftig war, aber eben völlig unkuschelig, jedem Körperkontakt ablehnend gegenüber eingestellt. Man merkte, dass es ihm körperlich unangenehm war, angefasst zu werden.

Die Kleine hat sich ihre ausgeprägte Kuscheligkeit also weder von ihm abschauen können, noch hat sie uns oft mit ihm kuscheln sehen, weil er es nicht zugelassen hat. Ihr Wesen ist einfach ganz anders. Sie gibt Zuneigung physisch und sie empfängt sie. Es ist ein Wechselspiel. Wie hat sich das auf den Großen ausgewirkt? Zuerst hat der Große das Geschmuse von der Kleinen nach und nach zugelassen und zurückhaltend erwidert. In letzter Zeit lässt er auch von uns mehr Zärtlichkeiten zu. Er hat es wirklich von ihr gelernt, kann man sagen. Sie hat sich nie von seiner Steifheit abschrecken lassen, sondern vergöttert ihn über alles und zeigt ihm das auch. Wir haben natürlich auch über die letzten Jahre immer wieder versucht, ihm unsere Zuneigung auch körperlich zu zeigen, aber er hat das oft abgewehrt. Nun lässt er immer mehr zu und das ist total schön. Es ist eindeutig das Verdienst der Kleinen, und gäbe es sie nicht, wäre er wohl für immer in seinem Schneckenhaus geblieben. Andere Kinder, in diesem Fall die Schwester, schaffen das, was wir Eltern nicht erreichten. Man merkt natürlich, dass ihm Körperlichkeit immer noch generell eher unangenehm ist und er das nicht so sehr braucht wie die Kleine. Aber schon diese minimalen Veränderungen machen etwas aus und bedeuten uns sehr viel. Jede Mama will doch mit ihrem Kind kuscheln (Papas natürlich auch). Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass mittlerweile doch vieles von dem möglich ist, wonach man sich immer gesehnt hat. Er ist jetzt fast 5.

Die Kleine braucht Zärtlichkeiten tatsächlich wie die Luft zum Atmen und verteilt sie auch großzügig. Der Große hat erst durch die Kleine gemerkt, wie schön es sein kann, sich zu herzen und zu kuscheln. In ganz vorsichtigen Schritten fängt er jetzt selbst an, das zuzulassen und selbst zu versuchen, sowohl körperlich als auch verbal. Das ist für ihn eine riesige Wandlung. Wofür doch kleine Schwestern so gut sind!
 
Hier noch ein interessanter Text vom Blog Weddingerberg: Und wenn das Kind gar keine körperliche Nähe will?

14 Kommentare:

  1. Wie schön, dass der Große dank der Kleinen nun etwas mehr Kuscheleinheiten zulässt.
    Lilly ist (leider) auch absolut kein Kuschelbaby und als ich vor einigen Monaten während ihrer Schreiphasen beim Osteopathen war, ist mir dort mehrfach gesagt worden, dies sei nicht normal und im Endeffekt wurde ihr hier sogar ein "Impfschaden" unterstellt und mir autistische Züge suggeriert. Nun, wer Lilly kennt weiß, dass sie alles ist- aber nicht autistisch. Aber egal wie abstrus, man macht sich- gerade als Erstlingsmama und wenn ziemlich viel schief läuft- dann doch so seine Gedanken und viele unnötige Sorgen.
    So extrem wie du es beschreibst, ist es bei uns nicht- aber es ist trotzdem schade, wenn man als Mama ein ausgeprägtes Knuddelbedürfnis hat, welches das Baby aber gar nicht verspürt. Umso schöner, dass der Große hier ein bißchen zugänglicher wird!
    Alles Liebe, Manati

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    1. Danke Dir und ja, es ist so toll und unglaublich, dass er sich langsam öffnet. Mittlerweile habe ich von vielen solchen Fällen im Netz gelesen. Ob nun eine "Wahrnehmungsstörung" (sei es sensorisch, autistisch oder sonst was) dahintersteckt, kann man sicherlich oft nicht eindeutig sagen, gerade bei kleinen Babys nicht. Es gibt aber mehr Babys als angenommen, die so sind, auch dies sollte mal als Wissen verbreitet werden. Ich war oft verzweifelt, dass er so war, habe auch an uns gezweifelt. Durch die Kleine sehen wir, dass es einfach Typsache ist, wie so vieles andere auch. Das Schönste ist wirklich, dass etwas von ihr auf ihn abfärbt.
      Liebe Grüße!

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  2. Das ist wirklich toll zu lesen ... vor allem, weil wir es hier ähnlich haben. Unser großer kleiner Mann ist auch nur seeeehr selten fürs Kuscheln zu haben, mal ein Küsschen oder ein stürmisches "Hände-um-den-Hals-werfen!" Das war es aber auch.
    Erst seit das Herzensmädchen bei uns ist, hat sich das geändert, denn sie ist wirklich sehr verkuschelt, braucht viel Körperkontakt und fordert ihn auch ein.
    Und langsam wird auch der kleine Mann offener, kuschelt mit uns, nimmt Trost von uns besser an UND - ganz wichtig - ist unfassbar zärtlich mit seiner kleinen Schwester!
    Naja! Meistens! ;)

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    1. Das klingt so toll und scheint ja wirklich genauso wie bei uns zu sein. Mein Großer hat aber leider nicht mal ein Küsschen oder "Hände-um-den-Hals-werfen" mit uns gemacht, wirklich gar nichts an Zärtlichkeiten/Zuneigung ausgeteilt und akzeptiert. Insofern sind es riesen Schritte für solche Kinder, und für Eltern rührend zu beobachten, dass die Geschwister so einen Einfluss darauf haben.
      Liebe Grüße!

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    2. Das freut mich sehr für euch, dass euer kleiner Mann sich euch endlich öffnet.
      Und lasst euch nichts erzählen, da stimme etwas nicht. Manche Menschen sind so, dass sie Berührungen als etwas Schwieriges empfinden und ich glaube wohl, dass dies auch schon als Kind ausgeprägt sein kann - nur wird das leider viel zu oft ignoriert, weil jeder meint, Kinder einfach anfassen zu dürfen.
      Achso, und: Ich mag deinen Stil - es macht mir Freude, deine Texte hier und auf Twitter zu lesen :)

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    3. Dankeschön! Ja, es wird ignoriert, auch weil man eine andere Erwartungshaltung hat. Dass es viele (?) solcher Kinder gibt, weiß man ja nicht unbedingt. Bei ihm war es von Anfang an so und es hat die vielen Baustellen, die wir mit ihm hatten, noch verstärkt. Deshalb umso schöner jetzt! :-)

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  3. Wie wunderbar Geschwister haben etwas magisches und besonderes untereinander.
    Liebe Grüße
    Katharina

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    1. Ja, es hat sich alles sehr schön entwickelt. Am Anfang war ich mir das nicht so sicher...
      Liebe Grüße!

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  4. Das macht mir Hoffnung! Unsere Maus ist auch eher von der Fraktion "Kuscheln wird total überbewertet". Aber ich merke langsam, dass sie auftaut, je älter sie wird. Also kann sich ja noch alles ändern: Sie hat (noch keine) Geschwister, deshalb warte ich gedulig. Mir ist allerdings aufgefallen, dass ihr Kuschelbedürfnis sich von meinem unterscheidet und dass ich immer nur von meiner Erwartungshaltung ausgegangen bin. Kleine Gesten sind für sie schon große Bekundungen :-) Liebste Grüße und danke für deinen Artikel! Anna

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    1. Das ist doch schön! Ich weiß natürlich nicht, wie er sich ohne die Schwester entwickelt hätte, aber ich vermute ganz stark, dass er nicht so aufgetaut wäre. Von daher ist es toll, was sie für eine Bedeutung für seine Entwicklung hat. Es stimmt, man geht immer von der eigenen Erwartungshaltung und den eigenen Bedürfnissen aus, aber selbst mein Mann mit ganz anderen Voraussetzungen fand das sehr ungewöhnlich und schade. Unser Großer war aber auch wirklich sehr extrem, es gab lange Zeit nicht mal kleine Gesten, leider :(
      Umso schöner ist es mittlerweile.
      Liebe Grüße und danke!

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  5. Das ist ja eine schöne Entwicklung bei euch. Wow, wie süß das klingt was du von deiner kleinen schreibst! Ich wage bei meiner Kleinen auf so eine Phase nicht zu hoffen. Ich würde sie am liebsten immer knuddeln, aber sie mag das nur seeeehr selten (wenn sie krank ist, sehr müde, aber nicht zuuu müde und manchmal beim Bücher gucken - immerhin). Und genau wie bei deinem Großen, ist es auch bei ihr so, dass sie eigentlich ein sehr nähebedürftiges Kind ist, also Tragen: ja! Aber streicheln oder kuscheln lieber nicht. Naja, ihre Stofftiere werden aber umarmt und geküsst und die müssen wir dann auch küssen ;))) Sie geht da einen kleinen Umweg.
    Schöner Artikel von dir!

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    1. Der Große hat weder Stofftiere gekuschelt oder geküsst noch seinen heißgeliebten Opa... Also wirklich gar nicht. Das war schon echt hart und ich habe nie gedacht, dass es mal anders wird. Umso schöner jetzt. Hoffentlich ist es nicht nur eine Phase ;-)
      Liebe Grüße!

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  6. So schön, wie Geschwister sich gegenseitig gut tun können =) Genieß die extra Kuscheleinheiten =)

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    1. Ja, unglaublich, oder? Ich hoffe, es bleibt so... und genieße es!
      Liebe Grüße!

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