Donnerstag, 28. Juli 2016

Das Desinteresse des Großen an seiner Baby-Schwester

Ich lese und höre immer wieder verzückte Berichte, wie sehr kleine Kinder bei der folgenden Schwangerschaft mitfiebern, wie sie sich wünschen und freuen, große Schwester/ großer Bruder zu werden und wie sie nach der Geburt das Baby beknuddeln, umsorgen, die Tätigkeiten der Mama nachahmen (z.B. an Puppen), den Kinderwagen schieben und stolz "ihr" Baby präsentieren. Ich weiß nicht, ob da lediglich einige wenige Momentaufnahmen geschildert werden oder ob das in vielen Familien tatsächlich in diesem Ausmaß der Fall ist. Bei uns war das nämlich nicht so.

Als ich schwanger wurde, war der Große noch nicht mal anderthalb Jahre alt. Natürlich haben wir ihn, je größer der Bauch wurde, auf das Geschwisterchen vorbereitet, ihm Dinge erklärt und gezeigt, mit ihm Bücher wie dies hier gelesen etc. Wir haben ihm gesagt, dass Mama dann ins Krankenhaus geht und er mit Papa allein zuhause ist. Wir haben mit ihm zusammen einige Babysachen wieder hervorgeholt (Spielzeug, Kleidung) und deren Funktion erklärt. Arztbesuche habe ich aber nie mit ihm zusammen absolviert, er hat auch keinen Geschwisterkurs besucht und es wurde nichts in der Wohnung umgeräumt. Sein Kinderzimmer inkl. Wickeltisch für's Baby (er ließ sich nicht mehr darauf wickeln) blieb unverändert, sein Bett behielt er, der Autokindersitz blieb gleich und es gab wirklich kaum Veränderungen in seiner häuslichen Umgebung. Ein neues Beistellbett stellten wir im Schlafzimmer auf, die neue Babyschale kam ins Auto (beides war schon verkauft) und der Kinderwagen wurde um ein Buggyboard erweitert. Ansonsten wollten wir ihm mit so wenig äußerer Veränderung wie möglich Sicherheit und Vertrauen vermitteln, um die unbekannte Situation zu meistern. Für ihn sollte alles gleich bleiben. Zu diesem Zeitpunkt hat ihn jegliche Veränderung total aus der Bahn geworfen.

Man merkte ihm auch nicht an, dass er realisierte, was auf ihn zukam. Er wirkte relativ unbeteiligt und ich kann mich nicht erinnern, dass er mal sein Ohr an meinen Bauch legte oder mit dem Baby sprach. Vielleicht hat er es gemacht, aber wenn, dann so selten und kurz, dass ich es kaum wahrgenommen habe. Er hat auch nie begeistert erzählt, dass er bald großer Bruder wird. Klar, er sprach ja auch noch nicht wirklich viel. Für meine Schwangerschaft interessierte er sich eigentlich nicht, und auch andere Schwangere und Babys lassen ihn bis heute kalt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er nie von selbst gesagt hätte, dass er noch ein Geschwisterchen möchte, so wie man es immer von vielen Seiten hört. Selbst das endgültige Still-Ende während der Schwangerschaft bedeutete für ihn keinen großen Einschnitt, soweit ich das beurteilen kann. Er hörte einfach von einem Tag zum anderen damit auf.

Von den Beschwerlichkeiten der zweiten Schwangerschaft bekam er nicht so viel mit. Übelkeit und Schlappheit sieht man nicht, tragen musste ich ihn weiterhin sehr viel, auch wenn ich immer wieder an ihn appellierte, und als ich in den letzten Wochen oft starke Vor- oder Übungswehen hatte und kurz innehalten musste, stand er einfach still neben mir und wartete. Zum Glück, denn als er mit 2 Jahren anfing, Laufrad zu fahren, wäre er sonst über alle Berge gewesen, während ich unterwegs minutenlang verkrampfte. Als ich wegen Übertragung zum CTG ins Krankenhaus musste, fuhren wir zwar gemeinsam hin, aber mein Mann ging währenddessen mit ihm auf den Spielplatz. Zumindest hatte er so das Krankenhaus schon mal gesehen. Aber er wirkte vor der Geburt insgesamt nicht aufgeregt oder neugierig oder stolz oder unsicher oder eifersüchtig. Er fieberte einfach kaum mit. Allerdings war er auch das erste Kind aus unserem Bekanntenkreis, das ein Geschwisterkind bekam.

Als die Kleine geboren wurde, war er 26 Monate alt. Er kam nach der Kita mit dem Papa zu uns ins Krankenhaus, schaute sich das Baby und mich im Krankenhaushemd kurz an und spielte dann mit seinem Bagger, dem Geschenk des Babys. Klar haben wir auch Aufnahmen, wo er das Baby streichelt, neben ihr im Krankenhausbett liegt oder mein Mann erzählte mir, wie er zuhause abends nach uns fragte. Wirklich süß war, wie sie uns abholten und er wacker mit dem Papa zusammen die Babyschale trug. Insgesamt aber war er relativ zurückhaltend in seinem Interesse für seine Schwester und das setzte sich zuhause fort.



Für das Stillen und Wickeln hat er sich nicht wirklich interessiert, auch nicht, wenn man ihn einbeziehen wollte. Er hat auch nicht meine Handlungen nachgeahmt, wie ich das oft bei anderen Mamas lese und höre. Weder stillte, fütterte, trug, wickelte oder badete er seine Kuscheltiere (für Kuscheltiere hat er sich ja auch nie begeistert) oder seine Babypuppe, die ihm die Großeltern zur Geburt der Schwester schenkten, noch holte er mich, wenn das Baby weinte. Eher saß er in solchen Fällen stumm und unbeteiligt daneben, so wie er auch neben ihr saß, wenn wir spielten, ohne ihr etwas zu zeigen oder sie zu bespaßen. Er hat seine Schwester nie als Subjekt, das er anleiten und beschäftigen könnte, gesehen. Er hat für sich oder mit uns gespielt und sich nicht weiter um sie gekümmert. Nicht groß mit ihr geredet, ihr kein Spielzeug gebracht, sie nicht getröstet, gestreichelt, geknuddelt, abgeknutscht. Sie hat ihn natürlich trotzdem angehimmelt, aber wir fanden das von seiner Seite aus im Vergleich zu anderen Kindern ziemlich wenig Interesse und Begeisterung für das Geschwisterchen. Wenn er von der Kita nach Hause kam, tangierte es ihn nicht, wo die Kleine war. Er hat nie geäußert, dass er auch bei mir schlafen wolle, nur weil die Kleine bei mir schläft. Klar war er erst 26 Monate + alt und noch sehr stark von seinen eigenen Problemen und Unausgeglichenheiten (Autonomiephase) in Beschlag genommen, aber uns erschien sein Desinteresse ungewöhnlich. Allerdings hat er sich eben auch nie - bis heute nicht - für andere Babys interessiert. Vielleicht ist das vergleichbar mit der Tatsache, dass ich keine Baby-Mama bin, wie hier beschrieben.

Je mobiler sie wurde, umso "gefährlicher" wurde sie für ihn und er sah sich genötigt, sein Eigentum zu verteidigen. Er hatte und hat immer noch ein sehr starkes Eigentumsempfinden, auch seiner Schwester gegenüber. Er hat keinen Beschützerinstinkt und keine Lehrmeister-Ambitionen. In der Kita hat sie immer seine Nähe gesucht, er nie ihre, soweit ich das aus Erzählungen der Erzieher beurteilen kann. Er hat selten mit ihr geschäkert oder herumgealbert, sie auch später kaum einmal getröstet. Das setzt sich tendenziell bis heute fort. Wie gesagt, ich bin mir ziemlich sicher, dass er sich niemals aktiv ein Geschwisterchen von uns gewünscht hätte, so wie man es besonders von Mädchen oft hört. Ich muss ehrlich sagen, dass ich damals enttäuscht von seinem Desinteresse war, weil ich es so anders erwartet und gehört hatte. Damals kannten wir ihn ja auch noch lange nicht so gut wie heute. Aus heutiger Sicht muss ich sagen, dass besonders ich immer viel zu hohe Erwartungen zu dem, was eben "normal" ist, an ihn hatte. Irgendwie hat man ja immer die Vorstellung, dass das große Kind das kleine knuddelt und umsorgt. Meine allgemeinen Gedanken über die Geschwisterbeziehung der beiden findet ihr hier.

Eifersucht war übrigens so lange kein Thema, wie sein "System" stimmte, nämlich dass der Papa sich um ihn kümmerte und ich mich ums Baby. Er hatte sich ja in den Wochen vor ihrer Geburt emotional sehr stark an den Papa gebunden. Wenn der Papa in seiner Anwesenheit das Baby nahm, wurde er sehr unleidlich. Wenn alles im Lot war und das Baby bei mir war, war Eifersucht anfangs kaum ein Problem. Das ließ nach ein paar Monaten nach, als er sich mir langsam wieder annäherte und sein "System" aufgeweicht wurde. Danach und mit der zunehmenden Mobilität der Kleinen wurde die Eifersucht etwas sichtbarer. Vor allem die Eifersucht in Hinblick auf das Teilen-Müssen der Aufmerksamkeit. Insgesamt aber war das, was ich seiner Autonomiephase anlaste, schwerwiegender als jegliche Eifersucht und Entthronung, auch wenn sich das natürlich gegenseitig verstärken kann. Man musste bei ihm nie Sorge habe, dass er grob mit der Kleinen ist, ihr bewusst wehtut oder sich zu überschwänglich zeigt. Dafür hat sie ihn einfach zu wenig interessiert.

Wie war oder ist das bei euch, haben eure größeren Kinder in eurer nächsten Schwangerschaft mitgefiebert oder waren sie relativ desinteressiert? Wie haben sie das Baby nach der Geburt aufgenommen? Haben sie euer Verhalten nachgeahmt, waren sie vom Baby begeistert oder war es eher wie bei uns? Sind eure Kinder generell babybegeistert oder dahingehend auch eher leidenschaftslos?

4 Kommentare:

  1. Recht interessant & ähnliches kenne ich sogar aus den Bekanntenkreis, wo sich die Mutter gewünscht hätte das ihre Tochter mehr Interesse zeigt.
    Bei uns war es ehrlich gesagt ein Traum, unsere Tochter war begeistert & hat sich viel gekümmert, so wie man es oft hört & wünscht. Bei unseren Sohn sieht es wieder anders aus. Er hat zwar kein jüngeres Geschwisterkind, aber dafür gibt es viele im engen Freundeskreis. Er hat null Interesse an den Babys, selbst wenn sie neben ihn weinen gibt es keine Reaktion oder es wird nach einen Erwachsenen gerufen. Ich glaube für ihn wäre ein jüngeres Geschwisterkind nichts.

    Lg Coline

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    1. Oh, das klingt toll bei euch! Und die Reihenfolge war ja dann genau richtig. Ich glaube, meine Kleine hätte sich auch mehr für ein Baby interessiert. Wohingegen der Große keine kleine Schwester, sondern eher einen großen Bruder bräuchte, der ihm alles zeigt. Nun ja.
      LG!

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  2. Wir haben in unserer Familie beides: unsere älteste Tochter war schon immer verrückt nach Babys und ist schon mit einem Jahr jedem Kinderwagen hinterher gelaufen, um das Baby zu sehen. Dementsprechend begeistert war sie, als sie mit knapp 2 Jahren große Schwester wurde und wir endlich ein eigenes Baby zu Hause hatten. Sie war unglaublich fürsorglich und ich musste sie oft abhalten, zu viel zu machen, da sie die kleine Babyschwester andauernd halten und irgendwas mit ihr machen wollte.
    Als Kind Nr. 3 geboren wurde, war die Große (zu dem Zeitpunkt 4 1/2) wieder hin und weg. Die jetzt Mittlere (2 1/2) hat sich überhaupt nicht für ihr kleines Geschwisterchen interessiert. Sie hatte aber auch zuvor schon nie großes Interesse an Baby gehabt.
    Meiner Meinung steckt ein gewisses Interesse an Babys im Kind drin - oder halt nicht. So wie es zig andere Vorlieben hat oder halt auch Dinge, die es nicht mag. Aber ich kann deine Enttäuschung nachvollziehen. Man malt sich alles so rosig aus, und dann kommt alles anders. Aber das trifft ja eigentlich auf das gesamte Leben mit Kindern zu... ;-)

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    1. Das stimmt, das hast Du Recht! Spannend, wie unterschiedlich es bei Deinen Kindern war. Und das (mangelnde) Interesse scheint nicht am Geschlecht zu liegen. Ich glaube auch, dass es Veranlagung ist, wie vieles andere auch. Zu dem Zeitpunkt war es einfach ziemlich enttäuschend.
      Liebe Grüße und danke!

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