Hier kommt das Interview:
Herzlichen Glückwunsch zu eurem ersten, lang erwarteten Buch „Der entspannte Weg durch Trotzphasen“*! Danke, dass ihr euch Zeit genommen habt, meine Fragen zu beantworten.
Ihr seid die Autorinnen des großen und beliebten Blogs
„Das gewünschteste Wunschkind aller Zeiten treibt mich in den Wahnsinn“. Wie
kam es dazu, dass ihr ein Buch geschrieben habt?
Danielle: In
den letzten Jahren fragten uns immer öfter Leser|innen, ob wir nicht
auch mal ein Buch schreiben können. Wir überlegten eine Weile hin und
her, welches Thema dafür geeignet sei, weil wir nicht einfach nur die
Blogtexte aneinanderreihen wollten. Uns fiel auf, dass wir kein
bedürfnis- und beziehungsorientiertes Buch speziell über die
sogenannte Trotzphase kannten und entschieden, dass wir das schreiben
wollten. Wir überlegten, zu welchem Verlag ein solches Buch am besten
passen würde und waren uns recht schnell einig, dass es bei BELTZ am
besten aufgehoben wäre. Glücklicherweise sah der Verlag das auch so und
ließ sich auf das Abenteuer "Blog-Buch" ein.
Wie habt ihr euch das Schreiben des Buches aufgeteilt?
Und wann schreibt jede von euch ihre Texte? Trefft ihr euch regelmäßig zum
brainstormen für den Blog oder habt ihr beide feste „Arbeitsgebiete“?
Danielle: Wir
stellen immer wieder fest, dass wir uns in allen Belangen nahezu
perfekt ergänzen. Ich (Danielle) bin die Frau für alles Strukturelle,
Snowqueen diejenige, die es schafft, aus einem groben Konstrukt ins
Detail zu gehen und diese miteinander zu verknüpfen. Beim Buch war es
dann so, dass ich erst einmal alle Blogtexte zusammengesucht habe, die
wir gern zum Thema im Buch haben wollten, diese in die perfekte
Reihenfolge brachte, kürzte und auch schon teilweise miteinander durch
Übergänge verband. Im Verlauf dessen stellten wir dann fest, dass wir
einiges nochmal stark überarbeiten wollten. Im Blog z. B. haben wir
einen Artikel über die Wut der Eltern, aber der bezieht sich vor allem
auf das Babyalter. Also erweiterte Snowqueen dann diesen Text für das
Buch.
Snowqueen ist
noch in Elternzeit schreibt morgens 4-5 Stunden in ihrem Stammcafé,
wenn die Kinder in der Kita und in der Schule sind. Ich
wiederum habe einen Tag in der Woche frei und nutzte diesen für das
Buch. Trotzdem wir gar nicht so weit voneinander entfernt wohnen, sehen
wir uns sehr selten. Wir tauschen uns jedoch nahezu täglich rege über
WhatsApp aus. Für den Blog haben wir eigentlich keine festen
Themengebiete. Klar, jede von uns hat thematische Vorlieben, aber da wir
auch nach keinem Redaktionsplan arbeiten, schreibt jede von uns einfach
für sich an dem Thema, das sie gerade als interessant empfindet.
Seid ihr selbst in der Autonomiephase eurer Kinder an
eure Grenzen gekommen? Habt ihr den Umgang damit bei eurem jüngeren Kind als
einfacher empfunden, aufgrund eurer Erfahrungen, oder war es wieder eine neue
Herausforderung?
Danielle:
Meine Tochter hat die Autonomiephase weitestgehend ausgelassen. Ich
habe mich von Anfang an bemüht, ihr die größtmögliche
Entscheidungsfreiheit zu lassen und wann immer es möglich war, "Ja!" zu
sagen. Sie ist aber auch von Natur aus sehr, sehr vernünftig und
kompromissbereit, so dass kaum Konfliktpotential da war (was jedoch kein
dauerhafter Zustand geblieben ist ;-). Mein Sohn hingegen ist ein
regelrechtes Temperamentsbündel - da wäre ich ganz sicher an meine
Grenzen gekommen. Glücklicherweise hatte ich mich durch den Blog so
intensiv mit dem Thema beschäftigt, dass ich die Wutanfälle sehr gut
aushalten und begleiten konnte.
Snowqueen:
Ich hatte bei meinen großen Töchtern gerade Dr. Karp gelesen (Das glücklichste Kleinkind der Welt*) und war daher für das Einsetzen der
Autonomiephase bestens gewappnet. Ich habe alle ihre Wutanfälle
gespiegelt und damit ging das echt glimpflich an uns vorbei. Also es gab
definitiv eine Autonomiephase bei ihnen, anders als bei Danielles
Tochter, aber ich konnte damit gut umgehen. Bei meinem Sohn, der jetzt
genau in diesem Alter ist, weiß ich nun noch einiges mehr über die
Vorgänge im Gehirn und mich stresst an seinen wenigen Wutanfällen
wirklich überhaupt nichts mehr. Ich begleite ihn dabei und werde selber
nicht mehr wütend. Dadurch ist seine Autonomiephase bisher (sie geht ja
noch eine Weile) sogar noch entspannter als die meiner Töchter damals.
Ihr steht im Blog und im Buch für einen
bindungsorientierten, empathischen, reflektierten Weg mit viel pädagogischem
Hintergrund, aber ohne erhobenen Zeigefinger, und bekommt viel positives
Feedback dafür. Manche LeserInnen fühlen sich aber auch unter Druck gesetzt,
weil ihr veraltete Verhaltens- und Erziehungsmuster aufzeigt und ihnen dadurch
bewusst wird, wieviel sie „falsch“ im Umgang mit ihren Kindern machen. Wie geht
ihr damit um?
Danielle: Es
ist uns sehr wichtig, immer wieder deutlich zu machen, dass es DEN
EINEN perfekten Weg bei der Erziehung nicht gibt. Dazu sind Kinder,
Eltern und deren eigene Erziehung viel zu unterschiedlich. Letztendlich
können wir nur davon erzählen, was wir machen und aus welchen Erwägungen
wir diesen Weg gewählt haben. Was dabei leicht übersehen wird: Wir
präsentieren meist nur das Ergebnis unserer Überlegungen und zeigen, was
bei uns am besten funktioniert hat - doch auf dem Weg dahin hatten wir
auch mit Rückschlägen und Niederlagen zu kämpfen. Diese in allen
Einzelheiten zu schildern, würde zum einen inhaltlich den Rahmen
sprengen (wir neigen ja ohnehin schon zu einer gewissen
Ausführlichkeit), zum anderen ist für die Leser ja nicht so sehr
interessant, was bei uns nicht funktioniert hat. Wir haben aber
im Laufe der Zeit gemerkt, dass das teilweise den Eindruck erweckt, dass
wir stets alles im Griff hätten und niemals Probleme im Umgang mit
unseren Kindern, so dass manch einer sich schlecht fühlt, weil ihm das
ganz anders geht. Daher erzählen wir nun auch von Situationen, in denen
wir das Gefühl hatten, zu versagen. Das hilft zwar bei der Problemlösung
erstmal nicht wirklich weiter, zeigt aber hoffentlich, dass wir
letztendlich alle nur tagtäglich versuchen, unser Bestes zu geben und
dass das einfach nicht immer gelingt.
In eurem Buch erklärt ihr die physiologischen Grundlagen
der Autonomiephase, übersetzt das Verhalten von Kleinkindern und zeigt
Strategien für einen konstruktiven Umgang mit diesen heftigen Gefühlen auf. Was
ist eure wichtigste Botschaft an Eltern, die gerade täglich unzählige Konflikte
mit ihrem Kleinkind auszufechten haben?
Danielle: Nehmt es nicht persönlich, wenn Eure Kinder wüten, sie brauchen euch gerade jetzt dringend! Die
Trotzphase ist aus mehreren Gründen anstrengend. Zum einen werden wir
schnell selbst wütend, weil wir die Situation nicht im Griff haben, uns
unfähig fühlen oder uns die Gefühle unserer Kinder überfordern. Zum
anderen haben wir große Angst, dass diese Phase nie vorbei geht, wenn
wir nicht richtig handeln. Wenn man aber weiß, dass das Kind noch gar
nicht in der Lage ist, seine Wut zu steuern oder gar zu kontrollieren
und dringend auf unsere Fremdregulation angewiesen ist, dann
verschwinden unsere Ängste ganz schnell. So, wie wir nichts falsch
machen, wenn wir unser schreiendes Baby immer wieder hoch nehmen und
trösten, so machen wir auch nichts falsch, wenn wir verlässlich ein
wütendes Kind ruhig begleiten - ohne es für sein Verhalten zu
verurteilen oder auszuschimpfen.
Ein sehr wichtiges und
erhellendes Kapitel eures Buches heißt „Die Wut der Eltern“. Ihr sagt, dass
viele Konflikte deshalb entstehen, weil Eltern „trotzig“ sind. Fühlen sich
viele Eltern während der Autonomiephase ihrer Kinder so überfordert, weil sie
selbst nicht angemessen durch ihre eigene begleitet worden sind? Was steckt
hinter der Wut der Eltern?
Danielle: Tatsächlich
ist es so, dass die meisten von uns damit aufgewachsen sind, dass Wut
ein unerwünschtes Gefühl ist. Von kleinauf wurden wir angehalten,
negative Gefühle wegzuschieben und nicht zu zeigen. Hinzu kommt, dass
möglicherweise unser Selbstwertgefühl in der Kindheit immer wieder
verletzt wurde, das meiste davon haben wir schon aktiv verdrängt und
vergessen. Im Aggressionsgedächtnis bleiben diese Erfahrungen jedoch
lebenslang unverarbeitet gespeichert. In Konflikten mit unseren Kindern
brechen diese alten Emotionen wieder hervor, wir fühlen uns wütend
und hilflos. Es ist ganz wichtig, sich dieses Mechanismusses bewusst zu
werden - und vor allem klar zu machen: Das Verhalten meines Kindes ist
nicht der Grund für meine Wut, sondern nur der Auslöser - es ist nicht
verantwortlich für meine Wut und sollte sie daher auch nicht abbekommen.
Meint ihr tatsächlich, dass Eltern es relativ „entspannt“
durch die Autonomiephase schaffen können? Was sind - kurz gefasst – die wichtigsten und
hilfreichsten Tipps dafür, die ihr im Buch ausführlicher vorstellt?
Danielle: Ja,
das denken wir tatsächlich. Uns stresst vor allem der Gedanke, dass wir
versagen könnten und aus dem Kind ein Tyrann wird. Daher sind wir
unsicher, ob wir das Verhalten "durchgehen" lassen sollen oder ob wir
uns dem Kind einfach liebevoll zuwenden sollten. Wenn wir wissen, dass
das Kind einfach noch gar nicht anders kann, als wütend zu toben, dann fällt es uns viel leichter, mit den Wutausbrüchen umzugehen.
Die
wichtigsten Tipps in Kürze: Beschäftige Dich damit, was Dein Kind schon
kann - und vor allem: was nicht. Versuche, Deine eigene Kindheit zu
verarbeiten. Erkenne die Kooperationsbereitschaft Deines Kindes und
würdige sie so oft wie möglich. Gestehe Deinem Kind ein hohes Maß an
Selbstbestimmung zu. Frage Dich bei einem "Darf ich... ?" Deines Kindes
immer wieder: "Warum eigentlich nicht?". Tröste Dein Kind möglichst
immer.
So verschieden wie Kindercharaktere
sind, so unterschiedlich verläuft auch die Autonomiephase, selbst bei
Geschwistern. Das war bei meinen beiden Kindern sehr deutlich zu sehen. Auch
hat mich die Wut und emotionale Überforderung meines Sohnes viel mehr
mitgenommen, als es jetzt bei meiner Tochter der Fall ist, die nun auch schon
fast am Ende ihrer Autonomiephase steht. Woran liegt das?
Danielle: Das
zweite Kind profitiert von einem entscheidenden Vorteil: Die Eltern
wissen, dass Phasen vorbei gehen. Erstlingseltern halten ihr schreiendes
Kind im Arm und sind dabei oft vollkommen hilflos und verzweifelt. Ist
die Phase vorbei, dann blicken sie zurück und stellen meist zweierlei
fest: Es geht tatsächlich vorbei und es war gar nicht so schlimm. Mit
der Autonomiephase verhält es sich meist genauso. Dieses Wissen hilft
beim nächsten Kind ungemein. Zusammen mit der Erkenntnis, dass man gute
Mittel und Wege gefunden hat, die bei der Bewältigung helfen, sorgt das
dafür, dass man deutlich entspannter ist. Und es ist tatsächlich so:
sind die Eltern entspannt, ist meist auch das Kind entspannt.
Habt ihr schon ein weiteres
Buch geplant oder besinnt ihr euch erstmal wieder mehr auf euren Blog?
Snowqueen: Ja,
ein zweites Buch ist tatsächlich schon geplant und in Arbeit. Im Moment
können und dürfen wir allerdings noch nichts Näheres darüber sagen,
aber es wird wieder sehr interessant.
Und zum Schluss: Anfangs wart
ihr als Autorinnen recht unnahbar und seid im Laufe der Zeit immer persönlicher
geworden. Zumindest ist das mein Eindruck. Beschreibt euch mal gegenseitig
kurz und prägnant in euren Grundcharakteristika, als Individuen, als Mütter und
als Autorinnen.
Danielle:
Wir stellen wirklich immer wieder fest, dass wir uns perfekt ergänzen.
Alles, wofür ich einen Faible habe, ist für Snowqueen ein Graus:
Faktenrecherche, Technik, Buchhaltung. Sie ist überaus liebenswert mit
leicht chaotischen Tendenzen und hat das einzigartige Talent, Dinge so
in Worte zu fassen, dass einen beim Lesen bunte Wellen verschiedenster
Emotionen überrollen. Beim Korrekturlesen fließen bei mir regelmäßig
Tränen, weil mich die Texte wirklich bewegen. Snowqueen ist außerdem
außerordentlich einfühlsam, direkt und ehrlich.
Ich danke euch von ganzem Herzen für das Interview, wünsche eurem Buch viele aufmerksame Leserinnen und Leser, die mit euren Tipps neue Wege im Umgang mit ihren Kindern beschreiten, und hoffe, dass ihr uns noch lange als Blog- und Buchautorinnen erhalten bleibt. Danke!
Ich finde die beiden Wunschkind-Autorinnen unglaublich sympathisch und ihre Blogbeiträge immer sehr bereichernd, augenöffnend und hilfreich. Mit ihrem neuen Buch übertreffen sie sich selbst: sehr persönlich und ohne erhobenen Zeigefinger schildern sie nicht nur die theoretischen Grundlagen der Konflikte in der Autonomiephase, sondern beschreiben auch unzählige praktische Beispiele, geben konkrete Tipps und Hilfestellungen und sogar teilweise Einblick in ihr Familienleben. Wer sich für diese Phase in der Kindesentwicklung interessiert oder selbst gerade mit seinem Kind mittendrin steckt, kommt nicht an diesem Buch vorbei. Ich bedauere zutiefst, dass es dieses Buch noch nicht gab, als wir mit unserem Großen seine sehr schwierige und für beide Seiten anstrengende Autonomiephase durchlebten. Es hätte mir sehr geholfen! Es hilft mir aber auch aus der Rückschau, vieles zu verstehen, vor allem meine eigene Wut. Das Kapitel über die Wut der Eltern gehört für mich zu den spannendsten und nachdenklich machenden Stellen des Buches und die Reflexion über dieses Thema wird sicherlich einige Veränderungen in den Lesern bewirken. Ich hoffe, dass dieses Buch vielen ratlosen, überforderten, verzweifelten Eltern hilft, ihre Kinder empathisch, liebe- und verständnisvoll durch die Autonomiephase zu begleiten. Danke, Snowqueen und Danielle für das Buch, euren Blog, euer Herzblut und Engagement!
Die Eckdaten des Buches:
Danielle Graf, Katja Seide: Das gewünschteste Wunschkind aller Zeiten treibt mich in den Wahnsinn: Der entspannte Weg durch Trotzphasen*, Beltz Verlag, Sept. 2016, 288 S., ISBN 978-3407864222, € 14,95
Danke an den Beltz Verlag bzw. die Autorinnen für das Rezensionsexemplar.
Bisherige Rezensionen auf Elternblogs:
ÖkoHippieRabenmütter: Wie ich mal Gehirn studierte. Oder: Das Wunschkind-Buch
Zwergenzimmerchen: Der entspannte Weg durch Trotzphasen
GluckeundSo: "Der entspannte Weg durch Trotzphasen" - Rezension
Aufbruch zum Umdenken: Meine persönliche Rezension zum Buch - DGWAZTMIDW - der entspannte Weg durch Trotzphasen
Corinnas kleine Welt: Wie ein guter Freund
Mutter & Söhnchen: Wie ich durch ein Buch meine Kinder besser verstehen lernte
Bin ich ein Eichhörnchen?: Wunschkind
* Affiliate Link (gleicher Preis für euch, kleine Provision beim Kauf für mich)
Danke an den Beltz Verlag bzw. die Autorinnen für das Rezensionsexemplar.
Bisherige Rezensionen auf Elternblogs:
ÖkoHippieRabenmütter: Wie ich mal Gehirn studierte. Oder: Das Wunschkind-Buch
Zwergenzimmerchen: Der entspannte Weg durch Trotzphasen
GluckeundSo: "Der entspannte Weg durch Trotzphasen" - Rezension
Aufbruch zum Umdenken: Meine persönliche Rezension zum Buch - DGWAZTMIDW - der entspannte Weg durch Trotzphasen
Corinnas kleine Welt: Wie ein guter Freund
Mutter & Söhnchen: Wie ich durch ein Buch meine Kinder besser verstehen lernte
Bin ich ein Eichhörnchen?: Wunschkind
* Affiliate Link (gleicher Preis für euch, kleine Provision beim Kauf für mich)
Ein sehr schönes Interview. Es ist spannend auch ein wenig hinter die Kulissen schauen zu dürfen. Vielen Dank dafür!
AntwortenLöschenLG Wiebke
Ja, finde ich auch!
LöschenLiebe Grüße!
Ja, ein sehr informatives Interview. Auch die Sichtweise der Autorinnen gefällt mir:nicht nur die Kinder sind verschieden, sondern auch die Eltern. Jeder muss für sich sein Maß, seinen Stil finden, es muss zur Persönlichkeit passen. Immer wieder ein hilfreicher Gedanke.Vielen Dank!
AntwortenLöschenCornelia
Ja genau, sie sind so undogmatisch und alltagspraktisch, ganz anders als so manche Strömung in dieser "Erziehungsratgeber-Szene". Sehr sympathisch.
LöschenLiebe Grüße!